Bischof Jean-Marie Lovey
Schweiz

Bischof Jean-Marie Lovey: «Missbrauchstäter verlangte von mir eine Anpassung des Urteils»

Im Bistum Sitten hat ein Priester zwei Kinder über Jahre hinweg misshandelt. Der Täter streitet die Taten ab und hielt sich nicht an die Sanktionen. Bischof Jean-Marie Lovey informierte deswegen die aktiven Priester über den Missbrauchstäter. «Er darf nicht mehr als Priester auftreten». Und: Der Bischof von Sitten will mit Gesprächsabenden Vertrauen zurückgewinnen.

Jacqueline Straub

«Er wurde nach kirchlichem Recht als Missbrauchstäter verurteilt», sagt Bischof Jean-Marie Lovey über den Missbrauchsfall eines Priesters in seinem Bistum Sitten, der grauenhafte Dimensionen offenbarte.

Ein Vater hat zusammen mit einem Priester seine beiden Kinder missbraucht. Die Übergriffe fanden von Ende der 1970er- bis Anfang 1990er-Jahre statt. Die betroffenen Kinder litten an psychischen Folgen, von Depressionen bis Suizidversuchen.

Kirchliche Höchststrafe

Der Priester wurde schon im Oktober 2023 wegen mehrfacher Vergewaltigung und mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern kirchenrechtlich schuldig gesprochen. Von der Staatsanwaltschaft wurde das Strafverfahren 2021 wegen Verjährung eingestellt.

«Im Kirchenrecht gibt es keine Verjährung für Missbrauch von Minderjährigen. Er wurde mit der kirchlichen Höchststrafe belegt: der Versetzung in den Laienstand», sagt Bischof Jean-Marie Lovey nun gegenüber dem Walliser Boten.

Sofortige Voruntersuchung eingeleitet

Nachdem Vorwürfe im Jahr 2018 gegen den Priester an die Fachgremiums «sexuelle Übergriffe im Umfeld der Kirche» (ASCE-Kommission) eingegangen waren, wurde sofort eine kanonische Voruntersuchung auf der Grundlage des Kirchenrechts eingeleitet. «In diesem Fall waren die Hinweise derart gravierend, dass es keine Zweifel gab, was zu tun ist», sagt Bischof Jean-Marie Lovey.

Dennoch: Erst zehn Monate nach dem Eingang der anonymen Meldung über den Missbrauchstäter reichte Bischof Jean-Marie Lovey Anzeige gegen den Priester bei der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Wallis ein. Es sei «durchaus möglich», dass der Täter und der beschuldigte Vater Beweismittel vernichtet haben könnten. «Deshalb begrüsse ich die neuen Richtlinien der Bischofskonferenz, wonach Missbrauchsmeldungen nun direkt auch der Staatsanwaltschaft oder der Polizei gemeldet werden.»

Priester mit Priesterkragen.
Priester mit Priesterkragen.

Der beschuldigte Priester gab die Taten nicht zu. «Er hat systematisch erklärt, er erinnere sich nicht und verharmloste die Anschuldigungen», so Lovey. Gegen die kirchenrechtliche Verurteilung legte er über seinen Anwalt Rekurs ein. «Er verlangte von mir eine Anpassung des Urteils. Das lehnte ich ab.» Dieser legte einen zweiten Rekurs in Rom ein, der abgewiesen wurde.

Bischof informierte andere Priester über Täter

«Rom wies mich an, Sanktionen gegen den Priester zu verhängen. Der Priester war damals schon pensioniert. Er übernahm aber immer noch Vertretungen in Pfarreien. Ich befahl ihm, alle kirchlichen Tätigkeiten zu unterlassen. Er wurde vom kirchlichen Dienst komplett suspendiert. Zudem arbeitete er für ein Flüchtlingswerk. Ich habe von ihm verlangt, dass er demissioniert. Er darf nicht mehr als Priester auftreten», sagt Lovey. Da sich der Priester nicht an die Sanktionen gehalten hatte, informierte Bischof Jean-Marie Lovey die aktiven Priester über den Missbrauchstäter. «So konnten sie verhindern, dass er in der Kirche eine Rolle übernahm.»

Seit 2001 gilt: Missbrauchsfälle, die Minderjährige betreffen, müssen ausnahmslos nach Rom gemeldet werden.
Seit 2001 gilt: Missbrauchsfälle, die Minderjährige betreffen, müssen ausnahmslos nach Rom gemeldet werden.

Der kirchenrechtlich verurteilte Priester muss den Opfern eine Genugtuung bezahlen und die Verfahrenskosten übernehmen. «In der Regel sind das Beträge um die 20’000 Franken pro Opfer», so Lovey.

Gelegenheit zum Gespräch

Die Missbrauchsfälle haben nicht nur im Bistum Sitten viel Vertrauen der Menschen verspielt. «Wir können nur kleine Schritte machen, um das Vertrauen wiederzugewinnen. Wir haben die Menschen eingeladen, mit uns zu sprechen. Das ist vielen Gläubigen ein echtes Bedürfnis. Einmal im Monat bin ich im Jodernheim in Visp. Wer mit mir sprechen will, hat dort die Gelegenheit dazu.»

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Um Transparenz zu schaffen, hat das Bistum Sitten die Westschweizer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Vicario Consulting beauftragt, «die Angemessenheit der Versorgung und Betreuung von Missbrauchsopfern, die Qualität der Arbeit der zuständigen Stellen und anderes rund um die Missbrauchsfälle zu untersuchen», so Lovey. «Wir machen vielleicht noch nicht alles schnell und gut genug. Aber wir arbeiten ernsthaft daran, diese Situation zu verbessern.»

Anlaufstellen für Missbrauchsbetroffene

Eine Liste mit kirchlichen und weiteren Anlaufstellen für Missbrauchsbetroffene ist hier zu finden.

Für eine unabhängige Beratung ist die «Opferhilfe Schweiz» zu empfehlen.


Bischof Jean-Marie Lovey | © Jacqueline Straub
30. Januar 2024 | 11:55
Lesezeit: ca. 3 Min.
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