Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur
Schweiz

Bischof Bonnemain zu Missbrauch: «Für mich war die Studie schon lange eine Herzensangelegenheit»

Für den Churer Bischof Joseph Bonnemain ist klar: Missbrauchsopfer haben das Recht, dass sich die Kirche «schonungslos» mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzt. Doch die Berichterstattung der Medien im Nachgang zur Publikation der Pilotstudie empfindet er als «einseitig».

Barbara Ludwig

Joseph Bonnemain setzt sich seit 2002 mit dem Thema Missbrauch auseinander, wie er im Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» vom Samstag sagt. Deshalb sei ihm bewusst gewesen, dass die Autorinnen der Pilotstudie zum Missbrauch in der katholischen Kirche Schweiz auf mehrere hundert Fälle stossen würden – und dass dies entsprechende Reaktionen auslösen könnte.

«Mich hat jedoch geschmerzt, dass sich die Journalisten auf einige Beispielfälle konzentriert und exemplarisch darüber berichtet haben», bekennt der Churer Bischof. Bonnemain räumt ein, dass dies legitim sei, weil es sich bei den Fällen – laut den Forscherinnen – nur um die Spitze des Eisbergs handelt.

«Differenzierung und Einordnung hat mir gefehlt»

Dennoch sei dies «einseitig», sagt er und erklärt weiter: «Die Opfer haben ein Recht, dass wir uns schonungslos mit unserer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen.» Aber: Nicht alle dieser tausend Fälle seien Vergewaltigungen, nicht alle beträfen Minderjährige, nicht alle hätten gestern stattgefunden. «Diese Differenzierung und Einordung hat mir gefehlt.»

Bischof Joseph Bonnemain.
Bischof Joseph Bonnemain.

Manche Medien hätten auch nicht wahrgenommen, was die Kirche in den vergangenen 20 Jahren alles unternommen habe, um Missbrauch zu verhindern – etwa in der Prävention. Es stimme nicht, dass die Kirche die Studie nur wegen des Drucks von aussen in Auftrag gegeben habe. «Für mich war dies schon lange eine Herzensangelegenheit», so Joseph Bonnemain. Lange bevor er Bischof wurde, befasste sich Bonnemain sich als Sekretär der Kommission «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Schweizer Bischofskonferenz mit der Thematik.

Kritische Fragen an sich selbst

Bonnemain gibt sich in dem Interview aber auch selbstkritisch. Er frage sich, ob er den missbrauchten Frauen und Männern genügend Verständnis entgegengebracht habe. «War ich empathisch genug, oder habe ich ihnen zur oberflächlich zugehört? Habe ich richtig gehandelt und nichts unterlassen?» Eine Antwort gibt er hier nicht.

Ermittlungen gegen Bischöfe: Ergebnis bis Ende 2023

Bonnemain äussert sich auch zu seiner Aufgabe als Sonderermittler. Der Churer Bischof muss im Auftrag des Vatikans Vorwürfe gegenüber mehreren Mitbrüdern untersuchen und wird dabei von zwei Experten unterstützt. «Mein Ziel bleibt es, bis Ende dieses Jahres zu einem Ergebnis zu gelangen», sagt er.

Priesterweihe in Chur.
Priesterweihe in Chur.

Auf die Frage, inwiefern der Zölibat ein Grund für Missbrauch sei, antwortet er: «Er ist sicher ein Faktor, aber nicht die Hauptursache.» Die Kirche müsse besser überprüfen, ob eine Person für ein zölibatäres Leben geeignet sei, stellt der Bischof fest. In Zeiten des Priestermangels könne es eine Versuchung sein, «alle zu nehmen, die sich melden». Dies wäre aber eine falsche Reaktion.

Pflichtzölibat bald abgeschafft?

Bonnemain hält es für «durchaus möglich», dass der Pflichtzölibat in den nächsten Jahren abgeschafft wird. Papst Franziskus habe sich entsprechende Gedanken gemacht. «Doch er sagt, das werde vielleicht sein Nachfolger machen.»

Aus Sicht von Bonnemain hat es «nie einen dogmatischen Grund» gegeben, den Zölibat zur Pflicht zu erklären. «Es ist eine Gabe Gottes.»


Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur | © Bernard Hallet
25. November 2023 | 13:05
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