Bernd Nilles, Geschäftsleiter Fastenaktion
Konstruktiv

Bernd Nilles: «Die Schöpfungszeit ist für mich ein Pendant zur Fastenzeit»

«Während der Schöpfungszeit staune ich über die Wunder der Natur und trauere um all die Zerstörung durch den Menschen», sagt Bernd Nilles. Ein Gespräch übers Energie-Sparen, das neue Leitbild von Fastenaktion – und warum die Kirche Geschlechtergerechtigkeit leben muss.

Raphael Rauch

Was bedeutet Ihnen die Schöpfungszeit persönlich?

Bernd Nilles*: Ich bin sehr froh, dass Papst Franziskus die Schöpfungszeit aufgewertet hat. Für mich ist sie ein natürliches Pendant zur Fastenzeit. Es geht darum, den Reichtum, den uns die Erde bietet, nachhaltig zu pflegen. Es geht um die Schöpfung Gottes und um die Sorgen um unser gemeinsames Haus, wie Franziskus es sagt. In dieser Zeit staune ich über die Wunder der Natur und trauere um all die Zerstörung durch den Menschen.

Gletschersterben in der Schweiz.
Gletschersterben in der Schweiz.

Wegen des Ukraine-Krieges ist Energie-Sparen in aller Munde. Macht Sie es wütend, dass ausgerechnet ein Krieg uns dazu zwingt, eine Energiewende einzuleiten?

Nilles: Wir brauchen keinen Krieg, um zu wissen, dass wir unser Verhalten und unsere Energiepolitik ändern müssen. Fastenaktion benennt seit den 1980er-Jahren die globalen Auswirkungen des Klimawandels. Seit Jahren weisen wir darauf hin, dass Klimagerechtigkeit auch bedeutet, uns von fossilen Energieträgern zu lösen. Da die Politik dies zu zögerlich gemacht hat, müssen die Menschen in der Schweiz sich nun um hohe Preise und kalte Heizungen sorgen. Wir brauchen dringend die Wende zu erneuerbaren Energien, vor allem für die besonders Verwundbaren auf der Welt: Inseln, die wegen des Klimawandels untergehen werden. Oder Menschen, die wegen des Klimawandels nichts mehr anbauen können, ihr Land verlassen müssen und Hunger leiden.

«Nach den Klimagesprächen ändern die Teilnehmenden ihr Verhalten. Der Klima-Fussabdruck war um 1,5 Tonnen CO2 geringer als bei der Kontrollgruppe.»

Sie versuchen, über sogenannte «Klimagespräche» mit den Menschen in einen Dialog zu kommen. Bringt das was?

Nilles: Ja! Viele Menschen machen sich Sorgen über den Klimawandel – wissen aber nicht, was sie im Alltag ganz konkret ändern können. Wir haben unsere Klimagespräche extern evaluieren lassen. Und die Uni Bern kam zu dem Ergebnis: Nach den Klimagesprächen ändern die Teilnehmenden ihr Verhalten. Der Klima-Fussabdruck war um 1,5 Tonnen CO2 geringer als bei der Kontrollgruppe. Es lohnt sich also, seinen Lebensstil zu ändern. Nach Privatpersonen melden sich jetzt auch Firmen, Institutionen und Kirchen bei uns, um sie ihren Mitarbeitenden anzubieten.

Aus Fastenopfer wird Fastenaktion.
Aus Fastenopfer wird Fastenaktion.

Sie arbeiten zurzeit an einem neuen Leitbild. Warum?

Nilles: Für eine Organisation wie Fastenaktion ist es wichtig, eine klar formulierte Orientierung und Vision zu haben. Dies stärkt unsere Identität und auch die Identifizierung mit Fastenaktion. Wir formulieren klar, warum es uns braucht, was wir bewirken wollen und wie wir arbeiten. Das bisherige Leitbild war 24 Jahre alt, stammte aus dem Jahr 1998. Da war ein Update notwendig! 

«Ein gutes Leitbild ist wie die Seele einer Organisation.»

Was ist ein Leitbild überhaupt?

Nilles: Ein gutes Leitbild ist wie die Seele einer Organisation. Es ist nicht so formal wie die Statuten und nicht so detailliert wie die Strategie. Es ist das bindende Glied, das alles zusammenhält.

In Ostafrika leiden 26 Millionen Menschen wegen Dürre an Hunger.
In Ostafrika leiden 26 Millionen Menschen wegen Dürre an Hunger.

Was ist der zentrale Gedanke des Leitbildes?

Nilles: Eine gerechte Welt ohne Hunger und ein Leben in Würde sind möglich. Und es lohnt sich, dafür zu kämpfen! Für dieses Ziel müssen wir die Schöpfung in ihrer Vielfalt bewahren und auch die kommenden Generationen im Blick haben. Es geht um ein an christlichen Werten orientiertes Handeln auf Augenhöhe mit unseren Partnerorganisationen, den Menschen im globalen Süden und den vielen Unterstützerinnen und Unterstützern in der Schweiz.

«Neu ist auch, dass wir uns als Schweizer Organisation der internationalen Zusammenarbeit bezeichnen.»

Welche Aspekte des Leitbildes sind neu?

Nilles: Das Recht auf Nahrung für alle und ein Leben und Wirtschaften innerhalb planetarer Grenzen sind neu im Leitbild. Neu ist auch, dass wir uns als Schweizer Organisation der internationalen Zusammenarbeit bezeichnen.

Patricia Danzi leitet die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Mit ihr arbeitet Fastenaktion zusammen.
Patricia Danzi leitet die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Mit ihr arbeitet Fastenaktion zusammen.

Aber das waren Sie doch schon immer, oder?

Nilles: Ja, aber der bisherige Begriff des Hilfswerks brachte weniger die Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit den Partnerorganisationen im Süden zum Ausdruck. Nur wenn wir die Menschen in den Projekten als gleichwertige Akteurinnen und Akteure ansehen, kann eine nachhaltige Entwicklung erfolgen. Und nur dann können Abhängigkeiten vermieden werden.

«Im Leitbild findet sich auch ein klares Bekenntnis gegen jede Form der Diskriminierung.»

Was machen Sie im neuen Leitbild noch stark?

Nilles: Wir stellen klar, dass wir aus der katholischen Jugendbewegung hervorgegangen sind. Und wie wichtig uns die christliche Sozialethik sowie Menschenrechte und Wissenschaft sind. Im Leitbild findet sich auch ein klares Bekenntnis gegen jede Form der Diskriminierung. Wir wollen eine Organisation sein, die für Gerechtigkeit einsteht, sie aber auch lebt, einschliesslich Geschlechtergerechtigkeit. Ursachen von Armut und Umweltzerstörung wollen wir konsequent ansprechen, mutig Stellung nehmen, dabei aber stets parteipolitisch unabhängig sein. Wie bisher setzen wir aktiv auf Netzwerke und die ökumenische Zusammenarbeit und gestalten aktiv die Fastenzeit in Kirche und Öffentlichkeit.

Adam und Eva im Paradies: Glasfenster der Kapelle am Zürcher Unispital.
Adam und Eva im Paradies: Glasfenster der Kapelle am Zürcher Unispital.

Mit Ihrer Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit widersprechen Sie dem Lehramt der katholischen Kirche. Ist Fastenaktion ein Motor für Veränderung?

Nilles: So einen Widerspruch kann ich nicht erkennen. Schauen wir in die Bibel: «Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.» Oder zitieren wir Papst Franziskus: «Die Beanspruchung der legitimen Rechte der Frauen aufgrund der festen Überzeugung, dass Männer und Frauen die gleiche Würde besitzen, stellt die Kirche vor tiefe Fragen, die sie herausfordern und die nicht oberflächlich umgangen werden können.» Genau diese Herausforderung gilt es aktiv aufzugreifen. Deshalb ja, Fastenaktion ist ein Motor für positive Veränderungen, die Armut und Hunger mindern. Um das zu erreichen, brauchen wir Geschlechtergerechtigkeit, ohne diese bleibt Ungerechtigkeit.

Dorothee Thevenaz-Gygaz ist neue Ökologie-Verantwortliche des Bistums Lausanne-Genf-Freiburg
Dorothee Thevenaz-Gygaz ist neue Ökologie-Verantwortliche des Bistums Lausanne-Genf-Freiburg

Bischof Charles Morerod hat vor einem Jahr Ihre Kollegin Dorothée Thévenaz Gygax zur Beauftragten für Ökologie ernannt. Was konnte sie inzwischen bewegen?

Nilles: Die Ernennung unserer Abteilungsleiterin hat uns sehr gefreut. Dorothée hat zuerst eine Ökologiekommission geschaffen. Dazu hat sie Personen aus verschiedenen Berufsfeldern und dem Pastoralbereich als Mitglieder der Kommission gewonnen. Die Kommission soll dabei helfen, die in «Laudato si’» geforderte ökologische Umkehr im Umfeld der Kirche anzustossen und umzusetzen. Es soll ein Bewusstsein für eine nachhaltige und schöpfungsgerechte Lebensweise geschaffen werden. Es geht auch darum, Synergien zwischen bestehenden Angeboten und den Diözesanregionen zu schaffen sowie neue Angebote und Weiterbildungen auf den Weg zu bringen. Es sollen zudem gemeinsame Leitungsformen im Geiste der Synodalität und ökumenischen Offenheit gefördert werden. Auch soll eine Kommunikationsstrategie für die gesamte Diözese entwickelt werden.

* Der Katholik Bernd Nilles ist Geschäftsleiter von «Fastenaktion».


Bernd Nilles, Geschäftsleiter Fastenaktion | © Christoph Wider
7. September 2022 | 06:01
Lesezeit: ca. 4 Min.
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