Treffen der Schweizer Basisgruppen 2017 in St. Gallen.
Schweiz

Basisgruppen: «Wir tun einfach»

Sie leben Gemeinschaft, sind biblisch inspiriert und demokratisch organisiert. Warum Basisgruppen ein Modell für Kirche sein könnten – ihre Blütezeit aber dennoch vorbei ist.

Sylvia Stam

«Die Basisgruppen hätten das Potenzial zu einem Christentum, das nicht priesterzentriert ist», sagt Regina Bayer-Birri. Sie gehört zur Basisgruppe (BG) Halden St. Gallen, die sich seit 40 Jahren alle 14 Tage trifft.

Im Zentrum der Abende steht der Austausch, umrahmt von Gebet und gemeinsamem Essen. Die Themen sind vielfältig: Biblische Texte, Klimapolitik, neue Schulformen und ihre Auswirkung auf sozial benachteiligte Kinder, Umgang mit eigenen Grenzen.

Glaube und sozialpolitische Verantwortung

«Unsere Inspiration ist die befreiende Botschaft Jesu. In der BG leben wir verbindlich Gemeinschaft. Indem wir sozialpolitisch Verantwortung übernehmen, versuchen wir, die Welt auf das Reich Gottes hin mitzugestalten», sagt José Amrein-Murer, Mitglied der BG Küssnacht am Rigi, über das Wesen der BG.

Austausch der Schweizer Basisgruppen 2017 in St. Gallen.
Austausch der Schweizer Basisgruppen 2017 in St. Gallen.

Sozialpolitische Verantwortung übernehmen die Mitglieder einzeln: Als Seelsorgerin, als Lehrer, Therapeutin oder Gewerkschafter, in Quartiertreffs, in der Flüchtlingsarbeit oder in der Politik.

Basisdemokratisch organisiert

Weil sich dieses Engagement aus der Botschaft Jesu nähre, seien die BGs zutiefst biblisch, sagt Amrein-Murer, der mit der Bethlehem Mission Immensee in Kolumbien im Einsatz war. Sie sind zudem basisdemokratisch: Die BGs haben keine Leitung und gestalten die einzelnen Abende reihum.

Drei der vier Deutschschweizer BGs kommen ohne Priester aus. Das gemeinsame Feiern von Gottesdiensten steht auch nicht im Zentrum, sie finden bei den St. Gallern «ganz selten» statt, bei anderen mehrmals jährlich.

Konfession unwichtig

Dass man auch ohne Priester Brot und Wein teilen kann, ist für die BGs selbstverständlich. «Wir feiern gemeinsam und überlassen es Gott zu entscheiden, ob das als Eucharistie oder Agape gilt. Für uns ist es auf jeden Fall eine intensive Gotteserfahrung», so Amrein-Murer. Die Konfession der Mitglieder ist so unwichtig, dass er nicht auf Anhieb sagen kann, wer katholisch und wer reformiert ist.

Ausflug ins Tessin: Die Basisgruppen Küssnacht und Luzern Nord.
Ausflug ins Tessin: Die Basisgruppen Küssnacht und Luzern Nord.

Auch Othmar Odermatt, Mitglied der BG Luzern Süd und Pfarreiseelsorger, sagt: «Wir fragen nicht, was man darf und was nicht, wir tun einfach.» Alle Mitglieder der BG, auch ohne theologischen Hintergrund, seien versiert genug, einen Gottesdienst zu gestalten.

Modell für Corona-Zeiten?

In den Strukturen der katholischen Kirche kommen die BGs nur indirekt vor, was einige bedauern. «Ohne Verbundenheit fliessen die Erfahrungen der BGs nicht in die grössere Glaubensgemeinschaft ein», sagt Josef Moser, Arbeiterpriester und Mitglied der BG Luzern Nord. 

Fürbitten mit Brot und Wein.
Fürbitten mit Brot und Wein.

In Corona-Zeiten treffen sich auch die BGs nicht. Das Prinzip könnte aber als Modell stehen für das, was in Corona-Zeiten vermehrt gefordert ist: Dass Gläubige sich im Kleinen organisieren. Der Begriff «Selbstermächtigung», der im Nachklang zu «Querida Amazonia» vielerorts zu lesen war, gefällt zwar nicht allen Befragten, weil er nach Machtkampf rieche. Doch im Kern benennt er ein Wesensmerkmal der BGs.

Kein Nachwuchs

Trotz dieses Potenzials wird in den Gesprächen deutlich, dass die Blütezeit der BGs in dieser Form vorbei ist. Die pensionierte Lehrerin Regina Bayer-Birri spricht von einer «sterbenden Bewegung». Die meisten Mitglieder sind im Pensionsalter, Nachwuchs gibt es keinen. Den Grund sehen alle in der hohen Verbindlichkeit, zu der viele Menschen nicht mehr bereit seien.

Othmar Odermatt ist überzeugt, dass viele Menschen ähnlich unterwegs sind, jedoch nicht unter dem Namen BG. Auch José Amrein-Murer bleibt optimistisch: «Die BGs mit ihrer biblischen Inspiration sind vom Kern her so stimmig, dass es solche Gruppierungen immer wieder geben wird, solange es kirchliches Leben gibt.»


Treffen der Schweizer Basisgruppen 2017 in St. Gallen. | © André Brugger
14. April 2020 | 13:06
Lesezeit: ca. 2 Min.
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Basisgruppen Schweiz

Die Basisgruppen-Bewegung Schweiz (BG) ist ein Zusammenschluss von Gruppen, «in denen Christinnen und Christen zusammenfinden, um sich von der biblischen Botschaft bewegen und gemeinsam eine Spiritualität des Alltags lebendig werden zu lassen», heisst es im Leitbild. Zu Grunde liegt die Überzeugung, dass «der christliche Glauben als Kraft zur Veränderung hin zu einem gerechteren friedvolleren Leben für alle und zu einem sorgfältigeren Umgang mit der Schöpfung wahrgenommen und wahrgemacht werden will».

Die BGs der Deutschschweiz entstanden in den 1980er Jahren, inspiriert durch Vorbilder in Lateinamerika und durch die Befreiungstheologie. Heute gibt es vier Deutschschweizer BGs, zu denen insgesamt knapp 30 Personen gehören. In der Romandie gibt es fünf BGs mit je zwischen 20 und 60 Mitgliedern. Die Schweizer BGs treffen sich einmal jährlich, darüber hinaus gehen einzelne Delegierte an europäische Treffen. Auf europäischer Ebene sind die BGs derzeit dabei, ihre Erfahrungen zu verschriftlichen, damit dieses Erbe der Nachwelt erhalten bleibt. (sys)