Barbara Hallensleben ist Professorin in Freiburg i.Ü.
Schweiz

Barbara Hallensleben: «Vorwärts machen» kann jeder gläubige Christ und jeder Bischof zu jeder Zeit

Die nationale synodale Versammlung kommt in Einsiedeln zusammen. Haben die Papiere, die heute verabschiedet werden, lehramtlichen Charakter? «Die Gesamtheit der Gläubigen kann im Glauben nicht irren», sagt die Dogmatikerin Barbara Hallensleben (65).

Raphael Rauch

Welche lehramtliche Autorität hat ein Bischof? Ist ein Bischof nur der Filialleiter einer römischen Zentrale – oder kann ein Bischof kraft der Bischofsweihe eigene lehramtliche Aussagen treffen? 

Barbara Hallensleben*: Man sollte die Filialleiterinnen und Filialleiter nicht beleidigen. Sie tragen vor Ort eigenständig Verantwortung. Gewinn oder Bankrott hängen von ihnen ab. Und wenn die Ware der katholische Glaube der Kirche ist, dann wird sie noch dazu nicht aus einer römischen Zentrale geliefert, sondern vor Ort produziert.

Synodalität im Kleinen: Bischof Joseph Bonnemain im Gespräch mit der Zürcher Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding.
Synodalität im Kleinen: Bischof Joseph Bonnemain im Gespräch mit der Zürcher Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding.

Wann hat etwas, was ein Bischof verkündet, lehramtlichen Charakter?

Hallensleben: Nicht nur jeder Bischof, sondern jeder Christ, Mann und Frau, hat Anteil daran, die Glaubenslehre zu bezeugen und weiterzugeben. In Lumen Gentium steht: «Die Gesamtheit der Gläubigen (…) kann im Glauben nicht irren.» Die Trennung zwischen einer «lehrenden» und einer «hörenden» Kirche ist durch das II. Vatikanische Konzil relativiert worden. Alle sind «Hörende», wie Papst Franziskus im Rahmen der Synode betont, alle sind auch «Lehrende», die Gehör verdienen. Am Anfang steht immer das gemeinsame Hören auf das Wort Gottes.

Papst Franziskus empfängt die Bischöfe der Schweiz 2021 im Vatikan.
Papst Franziskus empfängt die Bischöfe der Schweiz 2021 im Vatikan.

Wie soll das praktisch funktionieren?

Hallensleben: Nicht über individuelle Ansprüche, sondern über gemeinschaftliche Glaubensprozesse. Wenn alle Recht haben, hat niemand mehr Recht, und am Ende setzen sich diejenigen durch, die am besten reden und Lobbyarbeit machen können. Statistisch gesehen glaubt sogar unter Christen nur jeder zweite, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Müssen wir, sobald es 49 Prozent oder weniger sind, das Glaubensbekenntnis ändern? Oder vielleicht eher unsere katechetische Praxis hinterfragen?

«Bischöfe sind nicht einfach die Protokollanten oder Notare der Äusserungen aller Gläubigen.»

Es geht nicht um die Mehrheitsmeinung, sondern um die Befähigung, durch Gottes Geist ein Gespür für die Wahrheit zu entwickeln und Freude am Glauben zu haben. Bischöfe und Papst sind nicht einfach die Protokollanten oder Notare der Äusserungen aller Gläubigen, sondern stehen an der Schnittstelle zwischen der heutigen Glaubensgemeinschaft, der Glaubensüberlieferung in ihrer vielfältigen Gestalt – und sie sind Gott selbst Rechenschaft schuldig für das Heil ihrer Herde.

Der Bischof von Basel, Felix Gmür
Der Bischof von Basel, Felix Gmür

Die Bischofskonferenzen sind in der katholischen Kirche eine offizielle Instanz des Lehramtes – neben dem Papst, den Konzilien, den Weltbischofs-Synoden und den einzelnen Bischöfen. Wann hat etwas, was eine Bischofskonferenz verkündet, lehramtlichen Charakter?

Hallensleben: Während meines Studiums in Münster wurde viel über die damals erstarkenden Bischofskonferenzen diskutiert. Damals stand ein ganz anderes Argument im Vordergrund: Wenn der Bischof der verantwortliche Hirte seiner Diözese ist, verliert er dann nicht seine lehramtliche Autorität, wenn er sich gegebenenfalls der Mehrheitsentscheidung seiner Bischofskonferenz unterwerfen muss? Für die Bischofskonferenzen gilt dasselbe Prinzip wie für den Glaubenssinn aller Christen im Gottesvolk: Ihr Charisma ist nicht individuell, sondern nur gemeinschaftlich wahrzunehmen und auszuüben. Niemand darf sich gegen alle anderen auf seine persönliche «Lehre» berufen.

Die Bischöfe Joseph Maria Bonnemain und Markus Büchel in Näfels GL.
Die Bischöfe Joseph Maria Bonnemain und Markus Büchel in Näfels GL.

Das heisst?

Hallensleben: Auf die Bischofskonferenz bezogen heisst das: Was die Bischofskonferenz im strengen Sinne der Glaubenslehre vorlegt, hat nur dann Autorität, wenn es sich in Übereinstimmung mit der Lehre der katholischen Gesamtkirche und ihren übrigen Bezeugungsinstanzen befindet. Treten hier Konflikte auf, muss ein geistlicher Prozess der «Unterscheidung der Geister» initiiert werden. Oft in der Geschichte war es dann ein Ökumenisches Konzil, das neue Klarheit und Verbindlichkeit schuf.

Teilnehmende der nationalen synodalen Versammlung in Einsiedeln.
Teilnehmende der nationalen synodalen Versammlung in Einsiedeln.

Welchen lehramtlichen Charakter haben die Papiere, die am Montag in Einsiedeln bei der nationalen synodalen Versammlung diskutiert und verabschiedet werden?

Hallensleben: Das grösste Missverständnis besteht vielleicht darin, das Lehramt der Kirche vorwiegend in satzhaften Wahrheiten oder gar in papiernen Texten zu sehen. Einer meiner Doktoranden hat die Entwicklung des Ausdrucks «Lehramt» seit dem 19. Jahrhundert untersucht. Zunächst unterschied man zwischen dem «ausserordentlichen» Lehramt des Papstes in Form feierlich definierter Sätze – und dem «ordentlichen» Lehramt des Papstes und der Bischöfe, das sich in der tagtäglichen Glaubensverkündigung zeigt. Weil auch Papst und Bischöfe für diese Aufgabe immer öfter die Form von «Papieren» verwenden, wurde diese Unterscheidung unbrauchbar. Das II. Vatikanische Konzil spricht jetzt vom «authentischen» Lehramt von Papst und Bischöfen, dem Autorität, aber nicht zwingend Unfehlbarkeit zukommt, und dem unfehlbaren Lehramt, das entweder der Papst oder die Bischöfe in Gemeinschaft mit ihm wahrnehmen. In diesem Falle gilt wieder die Einmütigkeit aller Bezeugungsinstanzen, auch wenn sie gerade nicht an einem Ort versammelt sind.

Jugendliche diskutieren im Oktober 2021 über den synodalen Prozess in Einsiedeln.
Jugendliche diskutieren im Oktober 2021 über den synodalen Prozess in Einsiedeln.

Die Dokumente in Einsiedeln, insofern sie von der kirchlichen Gemeinschaft unter der Leitung der Bischöfe verabschiedet werden und soweit sie sich auf Fragen des Glaubens und der gläubigen Lebensform beziehen, haben in einem weiten Sinne Anteil am authentischen, nicht unfehlbaren Lehramt der Kirche. Sie gehören zu einem weltweiten synodalen Prozess und sind aus sich heraus hingeordnet auf einen Konsens, der von der Gesamtheit des Bischofskollegiums unter der Leitung des Papstes mitgetragen wird – und dann vielleicht im engeren Sinne «lehramtlich» werden. 

«Ich hoffe auf eine Erneuerung einer diakonalen Kirche mit den zugehörigen Diensten – für Männer und Frauen!»

Wo können Schweizer Bischöfe autonom vorwärts machen – und wo nicht?

Hallensleben: «Autonom» ist in der Kirche niemand, weil wir uns nicht selbst «Gesetz» (nomos) sind. Und «vorwärts machen» kann jeder gläubige Christ und jeder Bischof zu jeder Zeit. Die Vermehrung von Glaube, Hoffnung und Liebe war in jeder Generation die beste Wegbereitung für eine lebendige Erneuerung des kirchlichen Lebens und für manchmal sehr radikale Reformen. Wenn Sie mich persönlich fragen, so hoffe ich zur Zeit am meisten auf eine Erneuerung einer diakonalen Kirche mit den zugehörigen Diensten – für Männer und Frauen!

* Barbara Hallensleben (65) ist Professorin für Dogmatik und Theologie der Ökumene in Freiburg i.Ü. Sie ist Konsultorin des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Mitglied der Internationalen orthodox-katholischen Dialogkommission und Mitglied einer Studienkommission zum Frauendiakonat.


Barbara Hallensleben ist Professorin in Freiburg i.Ü. | © Francesco Pistilli
30. Mai 2022 | 05:59
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