Trockenstandort statt Rasen hinter dem Pfarrhaus Dübendorf ZH: Im ersten Frühling sah es so aus.
Schweiz

Arche Noah für Bienen, Würmer und Schlangen – in Dübendorf rettet Kirchgemeinde bedrohte Arten

Immer mehr Tier- und Pflanzenarten sind gefährdet – unter anderem weil ihre Lebensräume verschwinden. Kirchen können hier Gegensteuer geben. Dübendorf ist ein Beispiel. «Im Umfeld kirchlicher Bauten gibt es ein riesiges Potential für die Förderung der Artenvielfalt», sagt die Umweltbeauftragte Stefanie Huber.

Barbara Ludwig

Wieder ist ein heisser Sommertag angesagt, um acht Uhr morgens scheint bereits die Sonne auf den Streifen Land entlang dem katholischen Pfarrhaus in Dübendorf ZH. Hier blühen gerade Nachtkerzen, Nelken, Pfefferminz, Wildrosen und – besonders zahlreich – Gelbe Skabiosen. Wildbienen, Hummeln und Schmetterlinge umschwärmen die Blüten.

Eine Biene besucht die Blüte einer Gelben Skabiose.
Eine Biene besucht die Blüte einer Gelben Skabiose.

Pius Döbeli (57), von Beruf Elektriker, ist Pfarreiratspräsident und Mitglied im Umweltteam der römisch-katholischen Kirchgemeinde Dübendorf. Er sagt, er sei nun selber überrascht ob der grossen Zahl von Insekten. «Es kreucht und fleucht. An diesem Standort finden die Bienen auch im Sommer viel Nahrung.»

Pius Döbeli, Pfarreiratspräsident und MItglied im Umweltteam der Kirchgemeinde Dübendorf ZH.
Pius Döbeli, Pfarreiratspräsident und MItglied im Umweltteam der Kirchgemeinde Dübendorf ZH.

Genug finanzielle Mittel einsetzen

Früher war hier eine Rasenfläche, die gewässert werden musste und optisch doch nichts hergab. Das Umweltteam der Kirchgemeinde entschied, an dieser sonnenexponierten Stelle einen Trockenstandort einzurichten. Grasnarbe und Humus wurden entfernt und durch Kies und Geröll ersetzt. Die meisten Pflanzen wurden gesetzt oder gesät. Diese Massnahme zur Förderung der Artenvielfalt sei standortgerecht, sagt Döbeli. «Es funktioniert, weil es hier so trocken ist.»

Trockenstandort beim Pfarrhaus Dübendorf ZH im Sommer 2023: Verschiedene Pflanzen wuchern wild durcheinander.
Trockenstandort beim Pfarrhaus Dübendorf ZH im Sommer 2023: Verschiedene Pflanzen wuchern wild durcheinander.

Professionalität sei wichtig bei der Auswahl der Pflanzen und der Aufbereitung des Standorts, ergänzt Stefanie Huber (40). «Es ist besser, etwas mehr Geld in die Hand zu nehmen, damit die Massnahmen dann auch eine Wirkung zeigen.» Huber ist Umweltbeauftragte der Kirchgemeinde und damit Präsidentin des Umweltteams, zudem arbeitet sie als Umweltberaterin für andere Kirchgemeinden und das Programm Energiestadt.

Möglichst vielen Arten einen Lebensraum bieten

Beim Trockenstandort hinter dem Pfarrhaus sei der Erfolg augenfällig. «Die Menschen sehen: Hier gibt es Leben. Und es sieht auch schön aus. Massnahmen dieser Art kann man gut erklären.»

Ähnlich sichtbar sei auch der Erfolg beim Weiher in Fällanden ZH, der auf einem Grundstück der Pfarrei St. Katharina angelegt wurde, so Huber. Fällanden gehört zusammen mit Schwerzenbach ZH zum Seelsorgeraum Dübendorf. Seither gedeihen dort schöne Blumen, zudem wurde eine Natter im Teich gesichtet.

Pfarrei St. Katharina in Fällanden ZH: In diesem Weiher wurde eine Ringelnatter gesichtet.
Pfarrei St. Katharina in Fällanden ZH: In diesem Weiher wurde eine Ringelnatter gesichtet.

«Im Umfeld kirchlicher Bauten gibt es ein riesiges Potential für die Förderung der Artenvielfalt», sagt die Umweltbeauftragte. Dabei gehe es aber nicht um die Förderung bestimmter Arten. «Wir fördern vielmehr Lebensräume, die möglichst vielen einheimischen Tier- und Pflanzenarten Platz bieten.»

Döbelis Mutter fand die neue Trockenwiese «schlimm»

Die Wirkung von Massnahmen ist für Laien nicht immer offensichtlich. Pius Döbeli zeigt beim Rundgang um die Kirche «Maria Frieden» auf zwei unterschiedliche Flächen, die nahe beieinander liegen: ein klassischer Rasen hinten, vorne eine Trockenwiese, ungepflegt und unspektakulär, da zurzeit kaum etwas blüht.

Vorne eine "ungepflegte" Trockenwiese, hinten ein Stück klassischer Rasen.
Vorne eine "ungepflegte" Trockenwiese, hinten ein Stück klassischer Rasen.

Hier habe man fette Erde abgetragen und durch magere ersetzt, um die Artenvielfalt zu fördern, sagt Döbeli. Seiner Mutter habe das gar nicht gefallen, sie habe es «schlimm» gefunden. Bei der hinteren Fläche hat man am klassischen Rasen festgehalten und dennoch eine Neuerung eingeführt – das Düngen mit Hühnermist.

Organisch statt synthetisch düngen sei ökologisch sinnvoll, sagt Huber. «In einem solchen Boden können mehr Arten leben. Würmer, Käfer, Bakterien – auch wenn das verborgen bleibt.»

Stefanie Huber, Umweltbeauftragte der Kirchgemeinde Dübendorf ZH, gefallen die Rispenhortensien.
Stefanie Huber, Umweltbeauftragte der Kirchgemeinde Dübendorf ZH, gefallen die Rispenhortensien.

Bringe man den Hühnermist korrekt aus, stinke es auch nicht. Man habe da schon etwas Angst vor Reklamationen gehabt. Um solchen vorzubeugen, stelle man jeweils Info-Tafeln auf. «Das schützt auch den Hauswart, dem die Leute sonst leicht Vorwürfe machen», ergänzt Pius Döbeli.

«Sehr wichtig sind die Hauswarte und Seelsorgenden.»

Stefanie Huber, Umweltbeauftragte Kirchgemeinde Dübendorf

Manche Gläubige in Dübendorf stünden Neuerungen skeptisch gegenüber, sagen Döbeli und Huber. Umso wichtiger ist es laut der Umweltbeauftragten deshalb, behutsam vorzugehen, die Menschen über die geplanten Massnahmen zu informieren und die relevanten Leute einzubeziehen. «Sehr wichtig sind die Hauswarte und die Seelsorgenden, nebst den Mitgliedern der Kirchenpflege», weiss Stefanie Huber.

Traditionen kontra Ökologie

Die Kirchgemeinde Dübendorf mit ihren drei Pfarreien in Dübendorf, Fällanden und Schwerzenbach engagiert sich seit 2015 im Bereich Biodiversität. 2017 erhielt sie das Label «Grüner Güggel» als Anerkennung ihrer ökologischen Massnahmen. Das Zertifikat wird vom Verein «Oeku – Kirchen für die Umwelt» verliehen. Bislang hat die Kirchgemeinde rund ein Dutzend Massnahmen zur Förderung der Artenvielfalt umgesetzt.

Zu echten Nutzungskonflikten sei es bislang selten gekommen, sagt Huber. Es sei eher so, dass gewisse Traditionen ökologischen Massnahmen entgegenstehen. Kirchgängerinnen und -gänger seien etwa an den englischen Rasen gewohnt, ans Rosenbeet vor der Kirche oder – wie hier in Dübendorf – an die Hortensien am Fuss des freistehenden Kirchturmes. «Wichtig ist deshalb, bei den Menschen ein Umdenken zu fördern und das Verständnis dafür, dass ökologische Massnahmen sinnvoll sind.»

«Wegen der Trockenheit wollen wir den klassischen Rasen nicht mehr.»

Pius Döbeli, Pfarreiratspräsident und Mitglied Umweltteam

Hortensien lieben es schattig und kühl. Wegen zunehmender Hitze und Trockenheit ist der Platz beim Kirchturm je länger desto ungeeigneter für die Ziersträucher. Pius Döbeli zeigt auf ein vertrocknetes Exemplar. «Pflanzen, die nicht mehr standortgerecht sind, sollte man durch andere ersetzen», sagt Pius Döbeli. Auf der einen Seite des Turms wurde bereits ein Versuch mit der Rispenhortensie gestartet – die ebenso prachtvolle Blüten entwickelt.

Pius Döbeli zeigt eine vertrocknete Hortensie.
Pius Döbeli zeigt eine vertrocknete Hortensie.

Dann steuert Döbeli einen Standort an, wo sich die veränderten klimatischen Bedingungen ebenfalls bemerkbar machen: Braune Flecken, verdorrtes Gras auf einer Wiese rund um die Marienkapelle. Hier war einst der klassische Rasen: tiefgrün, gepflegt, einheitlich. Das ist passé. «Wegen der Trockenheit wollen wir den klassischen Rasen nicht mehr», sagt Döbeli. Ein solcher sei heute zu aufwendig, weil er bewässert werden müsse. Stattdessen habe man eine Blumenwiese eingesät.

Auf dem Areal der Kirchgemeinde Dübendorf unerwünscht: Die kanadische Goldrute, ein Neophyt.
Auf dem Areal der Kirchgemeinde Dübendorf unerwünscht: Die kanadische Goldrute, ein Neophyt.

Neophyten unerwünscht

Ausser einigen Mohnblumen ist davon im Moment nicht viel zu sehen. Dafür spriessen nicht wenige kanadische Goldruten. «Es gibt das Risiko der Neophyten. Das bedeutet, dass man auch auf solchen Flächen gefordert ist», erklärt der Pfarreipräsident. Pius Döbeli und Stefanie Huber schreiten gleich zur Tat und reissen sämtliche Goldruten aus. Der Kampf gegen die Neophyten – das ist eine Aufgabe, die das Umweltteam übernommen hat. Die Hauswarte freut’s.

Kirchliche Fachstelle unterstützt Biodiversitätsinitiative

Im September 2020 reichten Umwelt- und Heimatschutzorganisationen die Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft» ein. Die sogenannte Biodiversitätsinitiative will den Bund und neu auch die Kantone mit einer Anpassung der Bundesverfassung zum Schutz und zur Schonung von Biodiversität und Landschaft verpflichten. Im Kern soll es mehr Flächen geben, auf denen möglichst viele Pflanzen und Tiere leben können. Die Initianten fordern dafür mehr Gelder der öffentlichen Hand.

Dem Trägerverein gehören verschiedene Organisationen wie etwa Pro Natura und die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz an. Die Fachstelle «Oeku Kirchen für die Umwelt» zählt zu den Organisationen, die das Volksbegehren unterstützen, wie aus der Website der Initiative hervorgeht.

Parlament uneins über Gegenvorschlag

Dem Bundesrat geht die Initiative zu weit. Er stellte ihr deshalb einen indirekten Gegenvorschlag entgegen. Es geht um eine Änderung im Natur- und Heimatschutzgesetz und weiteren Erlassen. Der Bundesrat will in diesen Änderungen festlegen, dass Biodiversitäts- und Schutzgebiete insgesamt 17 Prozent der Schweizer Landesfläche ausmachen sollen. Derzeit liegt der Anteil dieser Schutzflächen bei 13,4 Prozent.

Das Parlament ist gespalten. Der Nationalrat hat der Vorlage im Herbst vergangenen Jahres zugestimmt – jedoch die Zahlen-Vorgabe gestrichen; der Ständerat beschloss im Juni Nichteintreten. Damit ist die Vorlage aber noch nicht vom Tisch, wie die Nachrichtenagentur SDA-Keystone am 13. Juni berichtete. Dies sei erst dann der Fall, wenn auch der Nationalrat nicht mehr darauf eintreten sollte oder ein Rat die Vorlage ein zweites Mal nicht behandeln will. Die Initiantinnen und Initiantinnen wären laut SDA-Keystone mit dem Vorschlag in der jetzigen Form zufrieden. (sda/bal)


Trockenstandort statt Rasen hinter dem Pfarrhaus Dübendorf ZH: Im ersten Frühling sah es so aus. | © zVg
14. August 2023 | 09:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!