And the Oscar goes to...

In der Nacht vom 12. auf den 13. März vergibt die Academy in Hollywood die Oscars. In insgesamt 23 Kategorien werden die beeindruckendsten Filme des vergangenen Jahres prämiert. Für die Filmtipp-Redaktion stehen die Favoriten für den Hauptpreis Bester Film schon fest: ein Science Fiction, der die Gemeinschaft feiert und eine Bubenfantasie, die das Kino rettet und Versöhnung propagiert.

Sarah Stutte und Silvan Maximilian Hohl

Das schräge Zeitreisespektakel: «Everything Everywhere All At Once»

Martial Arts-Ikone Michelle Yeoh kämpft sich als chinesische Einwanderin und desillusionierte Wäschereibesitzerin Evelyn in dem verrückt-anrührenden Indie-Science-Fiction-Film «Everything Everywhere All At Once» durch immer verwirrendere Parallelwelten. Einmal, um ihre eigene Stimme zu finden und dann, um das Leben ihrer Tochter zu retten.

Damit hat sie eindeutig den Oscar als beste Hauptdarstellerin verdient und Jamie Lee Curtis sollte für ihre brillante Leistung auch gleich als beste Darstellerin in einer Nebenrolle prämiert werden. Den Film an sich muss die Jury allein schon aufgrund seiner Kreativität und Spielfreude als besten Film des Jahres auszeichnen.

Mein wundervoller Waschsalon: Evelyn (Michelle Yeoh) und Deirdre Beaubeirdre (Jamie Lee Curtis).
Mein wundervoller Waschsalon: Evelyn (Michelle Yeoh) und Deirdre Beaubeirdre (Jamie Lee Curtis).

Fantastisch und zugleich essenziell

Die Story der beiden Regisseure Daniel Kwan und Daniel Scheinert wirkt zwar auf den ersten Blick chaotisch, dann aber doch wieder recht klar. Denn während die Protagonistin sich auf die Reise durch optisch beeindruckende Fantasie-Welten macht, setzt sich die Science-Fiction-Geschichte mit sehr bodenständigen Themen auseinander.

Waschsalonbesitzerin Evelyn (Michelle Yeoh) beschützt ihre Familie.
Waschsalonbesitzerin Evelyn (Michelle Yeoh) beschützt ihre Familie.

Es geht um das Gefühl der Entfremdung, von sich selbst, der Heimat, den Wurzeln. Das Bedauern über ungenutzte Chancen und Träume. Die Enttäuschungen über die kleinen Kämpfe des Alltags. Letztendlich geht es um das Leben selbst, in dem manche Dinge nur flüchtig einen Sinn ergeben. Damit werden auch christliche Elemente angesprochen, wie die Bedeutung der Familie, sich einer Gemeinschaft zugehörig zu fühlen, das Streben danach, ein guter Mensch zu sein und andere so zu akzeptieren, wie sie sind.

Waschsalonbesitzerin Evelyn (Michelle Yeoh) hat in den unterschiedlichen Paralleluniversen unterschiedliche Kräfte.
Waschsalonbesitzerin Evelyn (Michelle Yeoh) hat in den unterschiedlichen Paralleluniversen unterschiedliche Kräfte.

Gefühlsachterbahn garantiert

«Everything Everywhere All at Once» ist ein Irrsinn, der sich in grenzenlosem Einfallsreichtum und rasantem visuellen Witz niederschlägt. Doch das, was die Geschichte antreibt, ist das Herz, das in der leidenschaftlichen Performance von Michelle Yeoh laut und hörbar schlägt und die Emotionen auf das Publikum überträgt. So hat man am Ende sicher gelacht, geweint, über das eigene Leben nachgedacht und etwas gesehen, das man im Kino nicht alle Tage zu sehen bekommt. (sst)

Der ultimative Kinoretter: «Top Gun: Maverick»

Selbstverständlich muss «Top Gun: Maverick» als Bester Film bei den diesjährigen Oscars ausgezeichnet werden. Ein Actionfilm, der den Krieg zelebriert und der klassische Rollenbilder zementiert, fragen Sie sich vielleicht? Nun, die Dinge sind etwas komplizierter.

«Top Gun: Maverick» war der erste Nicht-Marvel-Film, der nach der Corona-Durststrecke die Menschen wieder in die Lichtspielhäuser lockte. Der Film kam ohne eine Milliarden-Franchise aus und avancierte dank Mundpropaganda zum elfterfolgreichsten Film überhaupt. «Top Gun: Maverick» setzte so auch ein starkes Signal an die Studios, dass eine Kinoauswertung immer noch funktionieren kann. Grossmeister Steven Spielberg meinte sogar, dass «Top Gun: Maverick» das Kino gerettet habe.

Film als Weltflucht

Heutige Filmawards neigen dazu, Filme auszuzeichnen, die sich nicht durch ihr filmisches Handwerk oder ihre Geschichte hervorheben, sondern vor allem ein politisches Statement präsentieren. Grosse Filmfestivals möchten die starke Medienpräsenz nutzen und eben diese Haltungen über die programmierten Filme zu vermitteln. Das mag bis zu einem gewissen Grad gut sein, es korrumpiert aber langfristig die Kunstform und macht sie irrelevant.

Navy-Pilot Pete «Maverick» Mitchell (Tom Cruise) und Penny Benjamin (Jennifer Connelly).
Navy-Pilot Pete «Maverick» Mitchell (Tom Cruise) und Penny Benjamin (Jennifer Connelly).

«Top Gun: Maverick» widersetzt sich dieser Entwicklung allein dadurch, weil er lediglich den Anspruch hat, eine gute, fesselnde Geschichte zu erzählen und die Menschen für zwei Stunden in eine fremde Welt zu entlocken. Eine wohltuender Unterschied in einer hyperpolitisierten Kinowelt. Eine kleine Weltflucht, die in einer Zeit der ständigen Krisen heilsam oder tröstlich sein kann. Zumal der Film essenzielle Aspekte des menschlichen Daseins verhandelt: Busse und Vergebung gehören genauso dazu wie die Versöhnung mit anderen und sich selbst.

Am Set: Tom Cruise alias Pete «Maverick» Mitchell erklärt Monica Barbaro alias Natasha «Phoenix» Trace die nächste Szene.
Am Set: Tom Cruise alias Pete «Maverick» Mitchell erklärt Monica Barbaro alias Natasha «Phoenix» Trace die nächste Szene.

Die Vergangenheit schwingt mit

Wer den ersten «Top Gun» von 1986 kennt und liebt, wird von der Fortsetzung nicht enttäuscht. Es ist ein Schwelgen in einer Zeit, die längst vorbei ist, wo es Pandemien nur im Film gab, wo Gut und Böse klar definiert und die Welt scheinbar einfacher war. Alle Elemente aus dem ersten Teil sind da: die Jets, die Lovestory, Tom Cruise und sein Motorrad. Auch die alten Songs sind da und verfehlen eine gewisse nostalgische Wirkung nicht. Doch Lady Gaga und Hans Zimmer geben dem Film eine neue akustische Note.

Navy-Pilot Pete «Maverick» Mitchell (Tom Cruise) scheint seit 1986 kaum gealtert.
Navy-Pilot Pete «Maverick» Mitchell (Tom Cruise) scheint seit 1986 kaum gealtert.

Und so entwickelt sich der Film. Er erzählt eine eigenständige Geschichte, ohne sich sehr in seine eigene filmhistorische Vergangenheit zu verstricken. Trotzdem bleibt er sich treu und lässt immer wieder Figuren, Handlungsstränge oder Stilelemente des ersten Films aufleben. Eine gelungene Mischung mit grossen Bildern.

Navy-Pilot Pete «Maverick» Mitchell (Tom Cruise) kann auch nach 30 Jahren Dienst noch fliegen.
Navy-Pilot Pete «Maverick» Mitchell (Tom Cruise) kann auch nach 30 Jahren Dienst noch fliegen.

Man kann sagen «Top Gun: Maverick» ist ein Film, der sein Publikum fesseln kann und dies wurde auch an der Kinokasse belohnt. Er setzte ein starkes Zeichen für das Kino und seine Tradition: Gute Geschichten für alle Menschen zu erzählen und dabei durchaus auch bestimmte Werte mitzugeben – ganz ohne laut die gesellschaftspolitische Trommel zu schlagen. (smh)

«Everything Everywhere All At Once» zum Streamen auf filmingo.ch oder cinefile.ch. «Top Gun: Maverick» zum Stream auf sky.ch oder Apple TV+.


11. März 2023 | 05:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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