Mahmood" (links) und "Blanco" treten heute Abend im ESC-Finale auf. Hier das Cover einer "Vanity Fair"-Ausgabe.
Religion anders

An Ostern sang Blanco für den Papst – heute Abend ist er beim ESC

Heute Abend ist das Finale des Eurovision Song Contest. Die Ukraine gilt als Favorit. Manche Songs haben eine religiöse oder spirituelle Dimension. Und mit «Blanco» ist ein schwuler Sänger im Finale, der am Ostermontag für Papst Franziskus sang.

Raphael Rauch

Es wird geschmachtet, geliebt und das Herz gebrochen. Die Welt dreht sich seit Adam und Eva offenbar im Kreis und in der Liebe kommen wir auch nicht weiter. Selbst mit der Hilfe des Teufels nicht. Wie immer geht es beim Eurovision Song Contest um die grossen Fragen des Lebens, ohne zu tiefgründig zu werden. Am Rande zitieren die Songs auch religiöse und spirituelle Motive.

Ukraine: «Stefania» von «Kalush Orchestra»

Der ukrainische ESC-Beitrag hat die grösste Chance auf einen Sieg. Das Lied ist ein Gemisch aus Folk und Rap, eine Art Lobgesang auf «Mutter Erde» – und verurteilt Krieg und Zerstörung.

«Mutter Stefania», die in dem Lied besungen wird, «wusste mehr als König Solomon», der bekanntlich für seine Weisheit gerühmt wird. Die Zeile «Ich finde immer nach Hause, auch wenn alle Strassen zerstört sind», liest sich wie eine Kritik am aktuellen Kriegstreiben Russlands in der Ukraine.

Der ukrainische Beitrag gehört zu den Liedern, die Elemente aus der eigenen Heimat in den Eurovision Song Contest einbringt. 

Italien: «Brividi» von «Mahmood & Blanco»

Der italienische Sänger Blanco hatte am Ostermontag einen grossen Auftritt, als 80’000 Jugendliche im Rahmen einer Wallfahrt auf den Petersplatz kamen. Der Bischof von Ventimiglia, Antonio Suetta, war gegen Blancos Auftritt – er fand, Blanco passe «nicht in einen katholischen Kontext». Warum, spezifizierte der Bischof nicht. Vielleicht liegt es an Blancos sexueller Orientierung. Doch die italienische Bischofskonferenz zeigte sich unbeeindruckt und hielt an der Einladung fest. 

Der italienische Sänger Blanco sang am Ostermontag auf dem Petersplatz.
Der italienische Sänger Blanco sang am Ostermontag auf dem Petersplatz.

«Blanco gibt mit seinen Texten, die von Kämpfen, Hoffnungen und Wunden erzählen, den Ängsten und Stimmungen junger Menschen eine Stimme, vielleicht nicht allen, aber sicher vielen.» Mit diesen Worten verteidigte ein Vertreter der Bischofskonferenz Blancos Einladung. Es sei wichtig, jungen Menschen zuzuhören: «Blanco ist ein Geschenk, das die Jugendlichen erhalten.» Blanco konnte wie geplant am Ostermontag im Vatikan auftreten.

Der italienische Sänger Blanco sang am Ostermontag auf dem Petersplatz.
Der italienische Sänger Blanco sang am Ostermontag auf dem Petersplatz.

Heute Abend steht er zusammen mit Mahmood im ESC-Finale. Der Song heisst «Brividi», «Schüttelfrost». Im Clip sieht man zwei Männer voller Leidenschaft. Sowohl Blanco als auch Mahmood haben ausgefallene Tattoos. Der katholische Blanco hat ein Engelchen auf der Brust, doch statt eines Heiligenscheins trägt der Engel eine Dornenkrone. An seiner linken Halsseite ist ein Kreuz- und ein Ozean-Tattoo zu sehen. Mahmoods Tattoos wiederum zitieren mit einer badenden Nofretete und einem Skarabäus die Kulturgeschichte seiner Heimat Ägypten.

«Ich habe davon geträumt, mit dir zu fliegen auf einem Velo aus Diamanten», singen die beiden.  «Und ich will dir einen Perlenhimmel stehlen.» 

Das Sternenzelt ist nicht nur überwältigendes Zeichen der Segensverheissung, wie die Psalmen berichten. Sie wird hier in «Brividi» auch zum Sehnsuchtsort einer Liebe, die mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Vor dem Hintergrund, dass in Ägypten LGBTQ+-Menschen diskriminiert und verfolgt werden, ist der Auftritt von Mahmood und Blanco ein starkes Statement. Unabhängig von der sexuellen Orientierung ist allen Menschen ein Velo aus Diamanten zu wünschen. 

Finnland: «Jezebel» von «The Rasmus»

Das auffälligste religiöse Zitat hat der finnische Beitrag «Jezebel» von «The Rasmus». «Ich bin mit blauen Flecken am Körper aufgewacht. Hände gefesselt wie Jesus am Kreuz. Dein Name steht mit Lippenstift auf dem Spiegel», heisst es im Songtext. «Like Jesus on the cross» ist im Video-Clip explizit eingeblendet, dazu ein schwarzes Kreuz und ein gelber Hintergrund, der das Licht der Osternacht zitiert.

Ausschnitt aus "Jezebel" von "The Rasmus", dem finnischen ESC-Beitrag 2022.
Ausschnitt aus "Jezebel" von "The Rasmus", dem finnischen ESC-Beitrag 2022.

Frankreich: «Fulenn» von «Alvan & Ahez»

Der Song «Fulenn» von «Alvan & Ahez» ist in bretonischer Sprache und entsprechend schwer zu übersetzen. «Fulenn» heisst soviel wie «Funken». Es geht um Lust und Leidenschaft: «Sie tanzt mit dem Teufel, na und? Ich tanze mit dem Teufel, na und? Unerschrocken mitten auf der Lichtung tanzt der Funke, drehe und wirbele um ihre tobenden Seelen.»

Schweiz: «Boys do cry» von Marius Bear

Beim Schweizer Beitrag «Boys do cry» von Marius Bear geht es, wie so oft beim ESC, um die Liebe: «Herzen, sie werden gebrochen, nur Gott weiss warum», singt Marius Baer auf Englisch. Also eine romantische Theodizee-Frage.

Niederlande: «De Diepte» von «S10»

Gewisse Chancen werden dem niederländischen Beitrag «De Diepte» von «S10» eingeräumt. «S10» verarbeitet in «De Diepte» psychische Probleme. Die Sängerin «S10» (21) hat in ihrem jungen Leben mehrere Psychosen durchmachen müssen inklusive Psychiatrie-Aufenthalt. «Ich hoffe, ihr werdet euch weniger allein fühlen, wenn ihr meinen Song hört», sagt die Sängerin. «Ihr kennt das Gefühl, wenn euer Traum nicht in Erfüllung geht», singt sie auf Niederländisch. Und später: «Aber Gott, was kann ich noch tun, wann wird es genug sein…»

Griechenland: «Die Together» von Amanda Georgiadi Tenfjord

Amanda will Ärztin werden – doch sie hat auch musikalisches Talent. Ausser der Liebe zur Musik gilt Amandas ganze Aufmerksamkeit dem Medizin-Studium. In einem Krankenhaus für Covid-19-Patienten absolviert sie gerade ein Praktikum. Ihr Song reflektiert die Corona-Pandemie: «Es war ein Höllenjahr. Und wir haben in Angst gelebt, kurz davor aufzugeben», singt sie. Später heisst es: «Und wenn wir jetzt zusammen sterben…»

Serbien: «In corpore sano» von «Konstrakta»

Im Eurovision Song Contest schwingen immer auch politische Allianzen mit. Viele Menschen in Serbien gelten als Putin-Verbündete. Mit Spannung wird erwartet, ob «Konstrakta» heute Abend Pro-Ukraine-Zeichen setzt. 

«Mens sana in corpore sano», «ein gesunder Geist in einem gesunden Körper» ist eine geflügelte Weisheit der Medizingeschichte, die auch die Christentumsgeschichte geprägt hat. Nach der Corona-Pandemie, in der Gesundheitsfragen höchste Relevanz erhielten, liefert der serbische Beitrag eine gewisse Antithese. Der Imperativ «Sei gesund, sei gesund, sei gesund!» wird zur Bürde: «Wir haben unglaubliches Glück, dass es so etwas wie das vegetative Nervensystem gibt. Ich muss meinen eigenen Herzschlag nicht kontrollieren. Das Herz schlägt, das Herz schlägt von selbst.»

Australien: «Not The Same» von Sheldon Riley

Der australische Sänger Sheldon Riley tritt «Not The Same» und sensibilisiert für das Thema Asperger. Aufgrund seiner Schüchternheit tritt er mit Maske auf. Sheldon hat einen philippinischen Hintergrund und singt auf der Bühne: «Mir wurde mit sechs Jahren gesagt, sie würden mich meiden, weil mein Herz kalt wäre. Fand es schwer zu sprechen und meine Meinung zu sagen. Sie mochten nie die Dinge, die ich gerne hatte.»

Tschechien: «Lights off» von «We Are Domi» 

Das Trio «We Are Domi» mit der tschechischen Sängerin Dominika Hašková thematisiert ebenfalls die Seele: «Ich habe meine Seele verloren, meinen Weg vergessen. Es gibt keine Fehler, die ich nicht gemacht habe.»

Und die ausgeschiedenen Gruppen?

Auch bei den Gruppen, die nicht ins Finale kamen, gab es religiöse Bezüge. Zum Beispiel beim Beitrag von San Marino. Im Songtext «Stripper» von Achille Lauro heisst es: «Alles was ich brauche, ist Liebe», heisst es in diesem Text, der eine Art Rocksong-Möchtegern-Metal-Song ist. «Mein Herz ist ihr Sexspielzeug. Mein böser Junge. Madonna im Playboy. Es ist mein persönlicher Jesus.» Im Video küssen sich zwei Männer exakt an der Jesus-Stelle.

Österreich war mit «LUM!X feat» und «Pia Maria» beim ESC dabei und ist mit «Halo» ausgeschieden. «Lass mich dein Heiligenschein sein», heisst es im Songtext, «denn wir sind in nur einer Nacht durch die Hölle und zurück gegangen. Lass mich dein Heiligenschein sein. Denn der Himmel kann es kaum erwarten, dass wir den Kampf beenden.»

Ebenfalls ausgeschieden ist der bulgarische Beitrag «Intention» – ein Anti-Kriegs-Lied von «Intelligent Music Project». «Sie schickten mich in den Krieg», heisst es in dem Song. Und später: «Ich will den Schmerz nicht auf mich nehmen, also suche ich innere Zeichen oder eine Berufung. Je mehr Freiheit ich gewinne, je weniger das wirkliche Leben, an das ich mich erinnere.» Ein wenig erinnert das Lied an DDR-Zonenrock. Doch in den Lyrics überraschte der philosophisch anmutende Monolog.

Montenegros Beitrag «Breathe» von Vladana hatte eine spirituelle Dimension im wahrsten Sinne des Wortes: Es geht um die Seele. «Atme, atme, kämpfe für dein Leben», heisst es in dem Song, verbunden mit der Hoffnung: «Träume, dass wir wiedergeboren werden. Unsere Seelen werden sich wiederfinden Im Schweiss des Sturms.»


Mahmood» (links) und «Blanco» treten heute Abend im ESC-Finale auf. Hier das Cover einer «Vanity Fair»-Ausgabe. | © Vanity Fair
14. Mai 2022 | 13:27
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