Anwältin Agnes Dormann

Agnes Dormann zu ihrem Kirchenaustritt: Missbrauchsstudie hat Fass zum Überlaufen gebracht

Die Anwältin Agnes Dormann (61) ist im letzten Oktober aus der katholischen Kirche ausgetreten. Mit der Institution hat sie schon lange ihre Mühe. «Das ist das pure Patriarchat», sagt sie. Ihre Tochter hat sie nicht taufen lassen. Dennoch war sie in einer Kommission lange ehrenamtlich aktiv.

Regula Pfeifer

Wann und warum sind Sie aus der katholischen Kirche ausgetreten?

Agnes Dormann*: Ich habe mit im Oktober 2023 für den Austritt entschieden. Das war kurz nachdem die Pilotstudie zum Missbrauch in der katholischen Kirche erschienen war. Da musste ich den Schritt machen, den ich schon lange mit mir herumtrage, aber bisher nie vollzogen hatte.

«Ich habe die Gedanken an Übergriffe immer unterdrückt.»

Was hat die Pilotstudie bei Ihnen bewirkt?

Dormann: Ich fand: Wir wissen es eigentlich schon lange, dass solche Übergriffe passiert sind. Aber ich habe diese Gedanken immer unterdrückt. Doch als das schwarz auf weiss im Bericht drinstand, fand ich: Ich kann nicht mehr dahinterstehen. Das war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Pressekonferenz zur Pilotstudie Missbrauch in der katholischen Kirche, 12. September 2023
Pressekonferenz zur Pilotstudie Missbrauch in der katholischen Kirche, 12. September 2023

Gab es Anzeichen bei Ihnen, dass Sie das mal tun würden?

Dormann: Ja, ich habe beispielsweise meine Tochter nicht katholisch getauft. Denn ich fand: Das ist eine so frauenfeindliche Institution, dass ich meine Tochter da nicht hineinnehmen kann. Die Kirche ist Patriarchat pur für mich. Damit hatte ich schon lange Probleme.

Inwiefern ein Patriarchat?

Dormann: Die Kirche ist eine elitäre, mächtige Institution. Ich lese recht viel zu diesem Thema. Beispielsweise das «Tagebuch der Menschheit anhand der Bibel» von Carel van Schaik und Kai Michel. Darin beschreiben sie, wie es zu dieser patriarchalen Machtstruktur gekommen ist. Obwohl Jesus eigentlich etwas anderes in die Welt getragen hat. Das ist hoch spannend.

«Ich bin auf dem Land aufgewachsen, das Umfeld war katholisch geprägt.»

Weshalb hielten es Sie so lange aus in diesem Patriarchat?

Dormann: Ich bin in die katholische Kirche hineingeboren. Sie hat meine Kindheit, meine Jugend geprägt. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, auf einem Bauernhof in Rothenburg, Kanton Luzern. Unser Umfeld war sehr katholisch geprägt. Wir wurden immer in den Gottesdienst geschickt.

Agnes Dormann unterwegs
Agnes Dormann unterwegs

Waren Sie als Erwachsene kirchlich engagiert?

Dormann: Nicht sehr. Aber ich war dann in Basel lange Zeit in der Leitenden Kommission des Pfarramts für Industrie und Wirtschaft aktiv. Dort merkte ich, dass es gute Sachen gibt in der katholischen Kirche und Menschen, die versuchen, eine Spiritualität mitzugeben in einer Welt, in der davon nicht mehr viel vorhanden ist. Ich fand das wichtig.

«Irritiert hat mich, dass die Kirchensteuerrechnung an meinen reformierten Mann adressiert war.»

Hatten Sie eine Art Heimat in der Kirche?

Dormann: Nein, ich ging nur selten in den Gottesdienst und war – ausser in der erwähnten Kommission – kaum kirchlich engagiert. Daran änderte auch der Hausbesuch eines Pfarrers bei mir und meiner damals kleinen Tochter nichts, der mich zu Anlässen in die Pfarrei Heiliggeist einlud. Irritiert hat mich damals übrigens, dass die Kirchensteuerrechnung an meinen damaligen Mann adressiert war, der reformiert ist. Als ich das sah, flippte ich fast aus.

Gabriele Kieser im Park der Psychiatrischen Klinik Basel
Gabriele Kieser im Park der Psychiatrischen Klinik Basel

Leben Sie Spiritualität ausserhalb der Kirche?

Dormann: Ich bin mehrmals mit der Co-Leiterin des Pfarramts für Industrie und Wirtschaft, Gabriele Kieser, in ein Kloster gegangen. Sie organisierte den Aufenthalt zusammen mit einem Wirtschaftsfrauenverein. Das war super. Ich bin also durchaus spirituell. Aber ich lebe es anders.

«Ich lebe Spiritualität im Gespräch mit anderen Menschen.»

Wie anders?

Dormann: Etwa in Gesprächen mit anderen Menschen. Eine Gesprächspartnerin etwa bezieht sich bei ihren Aussagen oft auf die Bibel. Sie erklärt, wie das alles zusammenhängt, dass wir das Göttliche in uns tragen, dass wir eine Quelle in uns haben, die uns leitet.  

Heutige Verkünderin: Dorothee Becker leitet eine Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus, Riehen.
Heutige Verkünderin: Dorothee Becker leitet eine Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus, Riehen.

«Bedingung für einen Wiedereintritt wäre, dass Frauen in der Kirche gleichgestellt sind.»

Was würde Sie dazu bringen, wieder in die Kirche einzutreten?

Dormann: Meine Bedingung wäre, dass die Machtstrukturen geändert würden. Vor allem, dass die Frauen in der Kirche gleichgestellt sind. Ich finde: Dass Frauen vom Zugang zum Priesteramt ausgeschlossen sind, obwohl sie Zugang haben zu genau jener Art Spiritualität und Glauben, die wir Menschen brauchen. Das ist für mich – und ich finde, für viele andere Menschen – nicht mehr akzeptabel.

*Agnes Dormann (61) ist Anwältin und Notarin in Basel, spezialisiert auf Erbrecht. Sie ist Partnerin der Anwaltskanzlei Battegay Dürr AG. Sie hat eine erwachsene Tochter und eine Enkelin.

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Anwältin Agnes Dormann | © Jochen Pach
17. März 2024 | 10:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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