Aggiornamento in Greifensee: Wie eine Pfarrei seit Jahren Synodalität lebt
«Wir haben einfach gemacht», lautet der Titel eines Buches über die Pfarrei Greifensee. Das Buchprojekt war ein Gemeinschaftswerk und erinnert an die Anfänge der Pfarrei. Zugleich ist es Plädoyer für Synodalität und Reformen in der Kirche.
Vera Rüttimann und Raphael Rauch
Hella Sodies und Franziska Wenzinger präsentieren das Buch: «Wir haben einfach gemacht». Es ist Pfingstsonntag – und viele Gäste kommen nach dem Gottesdienst ins Begegnungszentrum zur Vernissage.
«Wie sahen die Anfänge dieser Pfarrei aus?»
Die Pfarrei Greifensee gehört zu den Leuchtturmprojekten der Schweizer Kirchenlandschaft. Die Pfarrei ist sogar so beliebt, dass ein junger Seelsorger aus dem Bistum Basel die Diözese wechselt, um bald in Greifensee anzufangen. Das hat mit der Pfarreileitung zu tun, Hella und Gregor Sodies. Aber auch mit der Geschichte der Pfarrei, wie das Buch erahnen lässt.
Hella Sodies, Mitherausgeberin des Buches, leitet seit acht Jahren gemeinsam mit ihrem Mann die Pfarrei. Am Anfang des Buchprojektes stand die Neugierde: «Wie sahen die Anfänge dieser Pfarrei aus? Wer waren die Gründer? Was war das für eine Zeit in der Kirche?»
Pfarrei ohne eigenen Pfarrer
Aus den vielen Fragen entstand ein Buchprojekt. «Je mehr wir herumgefragt haben, umso mehr war uns klar: Dieses Beispiel einer Pfarrei von unten müssen wir festhalten!», sagt Hella Sodies.
Greifensee war anfänglich eine katholische Pfarrei ohne eigenen Pfarrer und ohne eigene Kirche. «Viele packten einfach an», sagt Franziska Wenzinger. Daher auch der Titel des Buches, den Wenzinger mit herausgegeben hat: «Wir haben einfach gemacht.»
Enttäuschungen und Auseinandersetzungen
Schnell hätten sich viele Leute gefunden, die ihre Geschichte über das Pfarreileben erzählen wollten, berichtet Wenzinger im proppenvollen Gemeindesaal. Es entstanden «Weisst du noch?»-Erzählcafés. Viele hätten Fotos, Auskünfte und Recherchearbeiten geliefert. Eine Gruppe habe sich dem Buchprojekt angenommen. Insgesamt haben 80 Menschen am Buchprojekt mitgemacht, berichtet Hella Sodies.
Der Hauptteil des Buches widmet sich den Anfängen der Pfarrei. In dieses Kapitel sind die Berichte aus den Erzählcafés eingeflossen. «Besonders spannend sind die zehn Porträts, die ihre Geschichte mit dieser Pfarrei erzählen», betont Franziska Wenzinger. Auch die erlebten Enttäuschungen und hitzigen Auseinandersetzungen kämen im Buch vor. Franziska Wenzinger betont: «Ich höre den älteren Leuten gerne zu. Und ich möchte ihnen danke sagen für den Aufbau dieser Pfarrei.»
«Einfach mal machen und sich was getrauen»
Hella Sodies geht auf die Texte ein, die Manfred Belok zum Buch beigesteuert hat. Der frisch emeritierte Pastoraltheologe der Theologischen Hochschule Chur ordnet darin die Pfarreigründung zeithistorisch ein.
Hella Sodies betont: «Das, was wir hier so positiv erleben, dass wünschen wir Pfarreien und kirchlichen Organisationen auch an anderen Orten. Wir wünschen ihnen den Mut, einfach mal zu machen und sich was zu getrauen.»
Synodalität ist in der Pfarrei-DNA
Später sagt Hella Sodies zu kath.ch: «Für uns ist die allseits geforderte Synodalität schon lange Grundprinzip im Pfarreialltag. Alle können sich einbringen und mitreden. Darin atmet der Gründergeist weiter.»
Dabei gehe es nicht unbedingt um spektakuläre Projekte, «sondern um eine partizipative Kultur im Alltag». Diese sei vielerorts in der katholischen Kirche noch nicht selbstverständlich.
Synodalität ist anstrengend, aber nachhaltig
In Greifensee hingegen gilt: Der Pfarreirat ist weit mehr als ein Beratungsgremium. «Alle Ideen entstehen gemeinsam von unten», sagt Hella Sodies. «Die Pfarreimitglieder können sich mit ihren Initiativen und Ideen einbringen und einfach machen.»
Wesentliche Entscheidungen würden «immer im Pfarreirat, im Seelsorgeteam und in den verschiedenen inhaltlichen Arbeitsgruppen der Pfarrei» getroffen. Hella Sodies ist überzeugt: «Das sind zeitintensive und manchmal auch anstrengende Prozesse. Aber im Sinne der Nachhaltigkeit und Beteiligung lohnt sich das immer.»
Eucharistiefeier und alternative Gottesdienstformen
Zwei bis drei Mal im Monat gebe es in Greifensee eine Eucharistiefeier – und an den anderen Sonntagen verschiedene Gottesformen. «Gern auch ökumenisch», sagt Hella Sodies.
Elvira May ist eine der zehn porträtierten Personen im Buch: «Ich habe mich hier immer seelisch und spirituell beheimatet gefühlt», erzählt sie beim Apéro. In Greifensee finde sie eine Spiritualität, die ihr entspreche. «Ich habe lange nach dieser Atmosphäre im Gottesdienst gesucht. Hier habe ich sie mit Leuten wie Hella Sodies gefunden.»
«Der göttliche Kern»
Die Rentnerin wohnt seit 54 Jahren in Greifensee. In der damals neuen Pfarrei hat sie sich von Beginn an in verschiedenen Gruppierungen engagiert. Die Gemeinschaft, die sich gegenseitig trage, sei besonders. «Sie macht für mich den göttlichen Kern aus», sagt Elvira May.
Roswita Steinberger erinnert sich: «Im Jahr 1988 sind wir umgezogen, als ich schwanger war. Mein Mann und ich haben diese Kirche entdeckt. Wir wurden sofort zum Kirchencafé eingeladen. Seit damals komme ich mit meiner Familie immer wieder hierher», sagt die Frau mit den grauen Locken. Roswita Steinberger hat das Porträt über Edith und Norbert Beck geschrieben, die zur Gründung der Pfarrei beigetragen haben.
Wunsch nach kirchenpolitischen Reformen
Und was kann die Schweiz vom Leuchtturmprojekt Greifensee lernen? Es wäre das Gegenteil von synodal, das Modell Greifensee andernorts einfach zu kopieren. Denn es geht ja darum, mit den Menschen vor Ort gemeinsam etwas wachsen zu lassen. Aber, was auch in Greifensee deutlich wird, ist der Wunsch nach kirchenpolitischen Reformen.
Dazu gehören für Hella Sodies: die Gleichwürdigkeit und Gleichberechtigung aller Getauften, ein zeitgemässes Verständnis von Sexualität – und eine Stärkung der Ortskirchen. Sie wünscht sich mehr Autonomie für die Bistümer und Pfarreien.
«Ein Höhepunkt»
«Wenn die Kirche in unserem Kulturraum noch Zukunft haben soll, muss Rom ganz offiziell und mit Wertschätzung dafür den Menschen an der Basis viel mehr Verantwortung überlassen», sagt Hella Sodies. Nur so könne das Synodalitätsprinzip auch wirklich gelebt werden.
Hella Sodies ist mit dem Buchprojekt zufrieden. «Dieser Tag war ein Höhepunkt nach einem dreieinhalbjährigen Prozess. Wir konnten den Leuten, die so intensiv mitgewirkt haben, ihr Werk übergeben.»
Toleranz und Lebendigkeit
Im Buch sei viel über das Pfarreileben zu erfahren: «Der Gründergeist, von dem wir in diesem Buch schreiben, hat sich bis heute erhalten. Ich spüre eine grosse Offenheit im gemeinsamen Unterwegssein mit Toleranz und Lebendigkeit. Das ist wunderbar!»
Hella Sodies, Manfred Belok: «Wir haben einfach gemacht!» Aggiornamento in Greifensee. Eine nachkonziliare Pfarrei erfindet sich. Edition NZN bei TVZ.
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