Jean-Michel Girard, Apostolischer Administrator der Abtei Saint-Maurice
Schweiz

Abtei-Verwalter zum Fall Roduit: «Der Bischof und ich haben den Entscheid gemeinsam getroffen»

Der Apostolische Administrator der Abtei Saint-Maurice, Jean-Michel Girard, widerspricht der Aussage des Sittener Generalvikars Pierre-Yves Maillard. Den Entscheid, Gilles Roduit nach Missbrauchsvorwürfen wieder als Pfarrer von Saint-Maurice einzusetzen, habe nicht die Abtei allein gefällt, sondern sie und das Bistum Sitten gemeinsam.

Regula Pfeifer

Der Chorherr der Abtei Saint-Maurice, Gilles Roduit, hat mit einem Hungerstreik ab dem 3. Mai erreicht, dass er wieder als Pfarrer von Saint-Maurice wirken darf. Den Entscheid hatten das Bistum und die Abtei am 9. Mai gemeinsam kommuniziert. Tage später sagte der Generalvikar von Sitten, Pierre-Yves Maillard, in einer RTS-Sendung, dies sei «zuerst der Entscheid der Abtei. Denn die Abtei ist verantwortlich für den Chorherrn.»

Gilles Roduit
Gilles Roduit

Diese alleinige Verantwortung bestätigt die Abtei Saint-Maurice auf Anfrage nicht, sie besteht auf dem gemeinsamen Entscheid. «Der Entscheid wurde gemeinsam von mir, dem Apostolischen Administrator der Abtei, und dem Bischof von Sitten getroffen», sagt Jean-Michel Girard auf Anfrage von kath.ch. Sie hätten zu Beginn gemeinsam beschlossen, Gilles Roduit von seinen Aufgaben als Pfarrer zu entbinden und dann auch gemeinsam angekündigt, ihn – nach Einsicht ins Dossier – wieder als Priester einzusetzen.

Gerichtsentscheid als Basis

Girard leitet als Apostolischer Administrator aktuell die Abtei Saint-Maurice, da auch der Abt und der Prior wegen Missbrauchsvorwürfen vom Amt suspendiert sind. Der Administrator bestätigt aber die Aussage von Generalvikar Maillard, «dass die Diözese in der vorherigen Diskussion ihren Wunsch nach einer ergänzenden Nachforschung geäussert hatte». Er habe aber geantwortet, dass sie nicht besser als die Staatsanwaltschaft tun könnten.

Generalvikar Pierre-Yves Maillard
Generalvikar Pierre-Yves Maillard

Die Wiedereinsetzung von Gilles Roduit begründet Girard mit gerichtlichen Entscheiden. Die Staatsanwaltschaft habe sich zweimal, 2005 und 2022, mit dem Fall befasst. «Sie erhob keine Anklage gegen Gilles Roduit.» Es kam also zu keinem Gerichtsurteil.

Vorwurf sexuelle Übergriffe

Die Staatsanwaltschaft hatte mutmassliche Übergriffe von Roduit gegen ein damals zwölfjähriges Mädchen untersucht. Den Missbrauchsvorwurf wiederholte die inzwischen rund 40-jährige Frau in der RTS-Sendung vom letzten November.

Die Nicht-Anklage gilt es laut Girard zu akzeptieren. «Ich verfüge weder über die Kompetenz noch die Mittel oder die Unabhängigkeit, die es mir erlauben würden, besser als die Staatsanwaltschaft zu handeln.» Girard ist überzeugt: Die Kirche muss in Fällen sexuellen Missbrauchs unabhängige Stellen mit der Untersuchung und Beurteilung beauftragen. Und das sei im Fall Roduit die Staatsanwaltschaft gewesen.

Rückkehr in die Pastoral

Die pastorale Frage bezeichnet der Abteiverwalter als komplexer. Denn einerseits habe während der Abwesenheit des Pfarrers in der Pfarrei eine gewisse Ratlosigkeit geherrscht. «Andererseits wissen wir, dass bei manchen Menschen die Zweifel nicht so leicht verschwinden werden.»

Die Abtei Saint-Maurice
Die Abtei Saint-Maurice

Gemeinsam mit dem Pfarreirat und engagierten Pfarreimitgliedern habe er entschieden, sowohl die Gläubigen als auch die Eltern von Kindern im Religionsunterricht zu informieren. Letztere erfuhren demnach, dass die für die Katechese zuständigen Personen allesamt Laien sind, also keine Priester. Was konkret heisst, dass Priester Gilles Roduit keine Katechese-Verantwortung hat.

Botschaft im Gottesdienst verlesen

Die Gläubigen informierte Girard an Pfingsten. Im Gottesdienst der Pfarrei Saint-Maurice verlas der Apostolische Administrator eine Botschaft, die er gegenüber kath.ch zitiert:

«Vor einigen Monaten berichteten die Medien über Missbräuche, die in den letzten Jahren von Chorherren begangen wurden. Wir sind zutiefst schockiert über diese Enthüllungen, verurteilen die begangenen Verbrechen und drücken unser tiefes Mitgefühl für das Leid aus, das sie bei den Opfern verursacht haben.»

Dabei kam Girard auf die Reaktion der Abtei zu sprechen: «Unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorfälle haben wir Massnahmen ergriffen: vorübergehende Einstellung der Amtsausübung und der Arbeit, Untersuchungen auf ziviler und religiöser Ebene.»

Verdächtigungen und Zweifel

Die Amtsenthebung von Pfarrer Gilles Roduit habe aber «Tür und Tor geöffnet für Verdächtigungen gegen ihn», so Girard. Das wirkte sich offenbar auch auf Ordensgemeinschaft aus. «Zweifel überkamen uns», so Girard. «Wir haben uns die Zeit genommen, uns zu informieren und über seine Rückkehr nachzudenken». Gedanken hätten sie sich vor allem um pastorale Fragen gemacht, schreibt Girard auf Nachfrage von kath.ch hin.

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Der Abteiverwalter betont, dass die Wiedereinsetzung von Roduit als Pfarrer nicht missverstanden werden dürfe. Damit solle «das Leid, das durch die nachgewiesenen Verbrechen anderer Mitglieder der Gemeinschaft der Chorherren» verursacht worden sei, keineswegs verharmlost werden. Dies sagte er auch in der Botschaft an Pfingsten.


Jean-Michel Girard, Apostolischer Administrator der Abtei Saint-Maurice | © Jérôme Favre/Echo Magazine
23. Mai 2024 | 15:30
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