Urban Federer ist der Abt des Klosters Einsiedeln.
Story der Woche

Abt Urban: «Ich habe nicht vertuschen wollen»

Im Interview äussert sich Urban Federer zu den Vertuschungsvorwürfen betreffend den «Fall Pater A.». Er habe sich entschieden, der staatlichen «Justiz den Vortritt» zu geben. Den Fall hat er «vor wenigen Tagen» der Staatsanwaltschaft gemeldet. Vertuschung weist der Abt «ausdrücklich zurück».

Annalena Müller

Haben Sie im «Fall Pater A.» (s. unten) alles richtig gemacht, Abt Urban?

Urban Federer*: Wenn ich lese, wie es Walter Gerzner geht, dann kann ich nicht sagen, dass ich alles richtig gemacht habe, unabhängig von den rechtlichen Fragen und der negativen Presse, die der Fall nun hervorruft. Ich habe, nachdem Herr Gerzner sich bei mir meldete und von seiner Geschichte schrieb, ihn mehrfach brieflich kontaktiert. Ich wollte mit ihm sprechen und ihm helfen. Dass das nicht gelungen ist, schmerzt mich sehr. Zudem steht ein Vertuschungsvorwurf im Raum – und diesen weise ich ausdrücklich zurück.

Seit 2019 gilt die Selbstverpflichtung der SBK
Seit 2019 gilt die Selbstverpflichtung der SBK

Seit 2019 gilt die Selbstverpflichtung der SBK-Mitglieder. Sie müssen jeden gemeldeten Fall den Strafverfolgungsbehörden melden. Haben Sie dies getan?

Federer: Ich habe bei der Staatsanwaltschaft die Anzeige gemacht, allerdings erst vor wenigen Tagen. Dafür aber gibt es Gründe.

Welche?

Federer: Ich hatte lange Zeit nicht die nötigen Informationen. Zum einen war am Anfang nicht klar, um welchen Zeitraum und welchen möglichen Täter es ging. Auch war lange nicht klar, dass die Person noch in der Gemeinschaft lebt. Der Umstand, dass ich nicht in direkten Kontakt mit Herrn Gerzner treten konnte, hat mein Vorgehen erschwert. So gelangten neue Informationen von Herrn Gerzner nur via den Journalisten Otto Hostettler an mich. Schlussendlich habe ich Herrn Gerzner vor kurzem mitgeteilt, dass ich nun die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstatten werde.

«Ich habe der Justiz den Vortritt gegenüber der kirchenrechtlichen Seite gegeben.»

Das Kirchenrecht verpflichtet Sie dazu, eine kanonische Voruntersuchung einzuleiten – haben Sie dies getan?

Federer: Nein, das habe ich nicht getan. Ich bin mir bewusst, dass ich der Justiz den Vortritt gegenüber der kirchenrechtlichen Seite gab. Bei einer kirchlichen Voruntersuchung stellt sich die Frage, wer diese leitet. Gerade in einer Klostergemeinschaft ist das nochmal etwas anderes als für ein grosses Bistum. Denn wir sind ja alle hier zusammen und kennen uns. Ich könnte sie selbst leiten oder jemanden damit beauftragen. Aber wenn das Ganze von unabhängiger staatlicher Seite untersucht ist, kann ich mich auf deren Erkenntnisse stützen.

Das Kloster Einsiedeln bei Nacht.
Das Kloster Einsiedeln bei Nacht.

Laut «Beobachter» haben Sie den Fall dem Dikasterium für die Glaubenslehre gemeldet. Da das mutmassliche Opfer zum Tatzeitpunkt minderjährig war, ist diese Meldung kirchenrechtlich zwingend. Da der Fall so lange zurück liegt, wird das Dikasterium zunächst die Verjährung feststellen. Damit es den Fall inhaltlich untersucht, muss die auch Aufhebung der Verjährung beantragt werden. Haben Sie dies getan?

Federer: Nein. Meine Priorisierung des strafrechtlichen Wegs bedeutet auch, dass die Feststellung der Verjährung durch staatliche Stellen geschehen soll.

Im Gegensatz zum Strafrecht kennt das Kirchenrecht die Möglichkeit, die Verjährung aufzuheben. Werden Sie die Aufhebung beantragen, wenn die Nichtanhandnahme der Staatsanwaltschaft vorliegt?

Federer: Ja, wenn das Ergebnis der Staatsanwaltschaft vorliegt.

Wie gehen Sie persönlich mit der aktuellen Situation um?

Federer: Es ist meine Aufgabe, diese Probleme anzugehen, verschiedene Aspekte abzuwägen, und auch schwierige Entscheidungen zu fällen. Das gehört einfach zu meinen Pflichten als Abt.

Mönche des Klosters Einsiedeln im hinteren Chor bei einer Professfeier.
Mönche des Klosters Einsiedeln im hinteren Chor bei einer Professfeier.

Kommt der Fall, um den es hier geht, in der internen Missbrauchsstudie von 2011 vor?

Federer: Nein, ich habe das natürlich überprüft. Der beschuldigte Mönch wird nicht in der Studie genannt. Der Fall von Walter Gerzner wurde im Rahmen dieser Untersuchung 2010 leider nicht gemeldet.

Warum veröffentlichen Sie die Studie immer noch nicht?

Federer: Man kommunizierte damals die wesentlichen Ergebnisse, veröffentlichte aber den eigentlichen Untersuchungsbericht nicht. Das war von Anfang an die Abmachung. Entsprechend gewährt der Bericht zum Beispiel keinerlei Datenschutz, weil Personen nicht anonymisiert sind. Das heisst aber nicht, dass die Studie in einem Giftschrank liegt. Die Forschenden der Universität Zürich haben vollen Zugang zur Studie gehabt im Hinblick auf die Pilotstudie. Dort drin gibt es ja auch ein Kapitel zu Einsiedeln, das auf unserem Untersuchungsbericht beruht.

Gibt es noch etwas, das Sie sagen möchten?

Federer: Die Beschäftigung mit diesem Fall bestätigt mir, dass die beschlossenen Massnahmen von SBK, RKZ und KOVOS dringlich sind. Es zeigt sich, wie wichtig eine nationale Meldestelle, wie wichtig die Professionalisierung und wie wichtig ein kirchliches Straf- und Disziplinargericht in der Schweiz sind. Sie müssen kommen. Für diesen Fall sind sie sicher zu spät, aber sie kommen. Und wir brauchen sie.

*Urban Federer (55) ist seit 2013 Abt von Einsiedeln. Von Amts wegen ist er Mitglied der Schweizer Bischofskonferenz und steht dem Frauenkloster Fahr vor.

Der «Fall Pater A.» im Kloster Einsiedeln

Im Kloster Einsiedeln soll ein Missbrauchstäter leben. Diesen soll Abt Urban Federer geschützt haben. Federer bestreitet den Vertuschungsvorwurf des «Beobachters» in diesem Interview.

Es geht um den «Fall Pater A.»: In den 1960-er Jahren soll ein Einsiedler Mönch mehrere Kinder missbraucht haben. Darunter Walter Gerzner (76), der im Waisenheim in Einsiedeln aufwuchs. Zu den Waisenheimkindern hatten die Einsiedler Mönche Kontakt , weil sie Religionslehrer waren und weil die Kinder im Kloster ministrierten. So zitierte der Mönch den jungen Walter damals zu sich – und verging sich an ihm.

Laut Recherchen des «Beobachters» lebt der beschuldigte Mönch heute noch im Kloster. Und Abt Urban soll sich lange gesträubt haben, eine kanonische Voruntersuchung einzuleiten, obwohl das Kirchenrecht dazu eindeutig ist. Inzwischen ist er aktiv geworden, wie er im Interview sagt. (rp)

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Urban Federer ist der Abt des Klosters Einsiedeln. | © blick.ch
15. März 2024 | 09:00
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