Statement der Schweizer Bischofskonferenz betreffend den Bericht zum Pilotprojekt zur Geschichte des sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts

Im Wortlaut

Der Schlussbericht der Universität Zürich zu den sexuellen Missbräuchen in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz erschreckt und erschüttert. Die Ergebnisse zeigen Abgründe auf, die nicht nur das persönliche Fehlverhalten einzelner Täter dokumentieren, sondern gleichzeitig systemische Ursachen aufdecken, für welche die Bischöfe, ihre Vorgänger und andere Führungspersonen in der Kirche geradestehen müssen.

Zu viele kirchliche Führungspersonen haben jahrzehntelang verantwortungslos gehandelt. Sie haben die Betroffenen nicht ernst genommen und die Täter geschützt. Sie standen auf der falschen Seite. Sie standen auf der Seite der Täter statt an der Seite der Betroffenen. Sie schützten das Ansehen der Kirche statt die Würde und Unversehrtheit der Menschen, die dadurch unsäglichem Leid ausgesetzt wurden. Sie liessen Täter versetzen und nahmen in Kauf, dass sich Missbräuche fortsetzten. Diese Schuld kann nicht einfach weggewischt werden. Sie ist aufzuarbeiten und muss dabei die Mechanismen der Macht, das Frauenbild, das Priesterbild und die Sexualmoral der Kirche angehen.

Der Bericht spricht von 1002 «Fällen». Doch hinter jeder Zahl steht ein Mensch, ein Gesicht, ein Leben, das zerstört wurde. Hinter jeder Zahl steht unermessliches Leid, das nicht erkannt, nicht anerkannt, das verharmlost, verschwiegen und vertuscht wurde. Hinter jeder Zahl steht eine Familie, ein Umfeld, das gelitten hat und noch immer leidet. Die Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz anerkennen dieses Leid und die Schuld der Kirche. Sie versichern, alles Menschenmögliche zu unternehmen, damit die Betroffenen Gerechtigkeit erfahren und sexuelle Missbräuche in Zukunft verhindert werden.

Geradestehen heisst, dass die Mitglieder der Bischofskonferenz Verantwortung übernehmen und handeln. Deshalb haben wir, zusammen mit den kantonalen Körperschaften und den Ordensgemeinschaften, erste Massnahmen beschlossen. Wir werden unabhängige Meldestellen schaffen und finanzieren. Damit sollen Missbräuche und Verdachtsfälle leichter gemeldet und die nötigen Schritte zeitnah unternommen werden können. In den Archiven müssen fortan alle diesbezüglichen Dokumente ohne Zeitbegrenzung aufbewahrt werden. Damit sollen dem Vergessen und Vertuschen entgegengewirkt und die weitere Aufarbeitung gesichert werden. Zudem ist das Personalwesen und die Personalauswahl zu professionalisieren. Dazu müssen zukünftig alle Kandidatinnen und Kandidaten in einer Ausbildung für die Seelsorge einheitliche psychologische Tests durchlaufen. Wir sind dankbar, dass die Universität Zürich bereit ist, ihre Forschung fortzusetzen.

Wir wollen uns durch eine vertiefte Erfassung der spezifischen Ursachen und Mechanismen des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Umfeld der Realität stellen und die notwendigen kirchlichen Umstrukturierungen und Reformen anpacken. Wir setzen uns für einen grundlegenden Kulturwandel ein, um künftigen Generationen eine menschlichere und menschenwürdigere Kirche zu hinterlassen.

Bischof Felix Gmür, Präsident der Schweizer Bischofskonferenz

Schweizer Bischofskonferenz SBK
12. September 2023 | 10:02