Jungpolitiker werben mit Kondomen gegen das Tanzverbot

Am 28. Februar stimmen die Aargauer über die Abschaffung des sogenannten Tanzverbots ab. Die az begleitete Jungpolitiker, die in Aarau auf Beizentour für längere Öffnungszeiten auch an hohen Feiertagen warben.

Marina Bertoldi. Normalerweise sind sie politische Gegner. Nicht aber, wenn es um das Tanzverbot geht, das Bars und Clubs dazu zwingt, an den Tagen vor und nach hohen christlichen Feiertagen bereits um 0.15 Uhr zu schliessen. Dann sind sich die meisten Aargauer Jungpolitiker einig: Das Verbot gehört abgeschafft.

Um möglichst viele Nichtpolitiker davon zu überzeugen, am 28. Februar für die Abschaffung des Tanzverbots zu stimmen, veranstalteten die Juso Aargau eine Bartour.

Mit Flyern, Bierdeckeln und Kondomen wollten sie zusammen mit anderen Jungparteien das Aarauer Partyvolk an die bevorstehende Abstimmung erinnern.

19 Uhr: Wer eine lange Nacht vor sich hat, braucht eine Stärkung. Die Vorstandsmitglieder der Juso schnippeln deshalb im gemieteten Raum oberhalb der «Waage» eifrig Käse, Gemüse und Brot für den Apéro. Dass sie den Start der Jungparteienbartour hierhin verlegt haben, ist kein Zufall. «Es ist bekannt, dass hier eher Leute verkehren, die rechts sind.

Nico Merkli, Döttingen: «Ich finde die Aktion mit der Bartour eine gute Sache. Sonst werben die Parteien meistens nur mit Plakaten. Ich habe es schon mehrmals erlebt, dass eine Bar schon um 0.15 Uhr schloss, weil ein Feiertag war, deshalb bin ich für die Abschaffung des Tanzverbots. Ich kann mir vorstellen, dass die Initiative dazu führt, dass mehr junge Menschen abstimmen gehen.»

© Sandra Ardizzone

Weil wir heute alle zusammen für die Initiative kämpfen, wollen wir den anderen mit der Location entgegenkommen», sagt Mia Gujer, Präsidentin der Juso Aargau. Doch bevor die anderen Jungpolitiker überhaupt eintreffen, gibts bereits ein Problem: Fabienne Senn hat sich in den Finger geschnitten und sucht nun erfolglos nach einem Pflaster. «Ich mache einfach mit meinem Handykabel einen Druckverband», sagt die gelernte Krankenschwester. Sie sind eben initiativ, diese Jungpolitiker.

19.20 Uhr: Inzwischen sind rund 40 Mitglieder der JSVP, JGLP, JCVP, der Jungfreisinnigen und der Piratenpartei eingetroffen. Erich Frensdorff, Wirt der «Waage», freut sich über das Engagement. «Das Tanzverbot ist ein Witz. In der Verfassung steht klipp und klar, dass Kirche und Staat zu trennen sind. Wir Beizer verlieren durch das Gesetz regelmässig», sagt er. Erst wenn die Kirchenvertreter es schafften, die Kirche so voll zu bekommen, dass es am Sonntagmorgen nur noch Stehplätze gebe, würde er seine Meinung ändern.

Daniel Dätwyler, Aarau Rohr: «Ich bin definitiv für die Initiative. Das ist doch typische Häfeli-Deckeli-Mentalität. In Solothurn kann man an Ostern und Weihnachten schon lange bis um 2 Uhr feiern. In der Tschechei gibt es über Ostern sogar ein Fest, das eine Woche lang dauert.»

© Sandra Ardizzone

Gerade, wenn alle frei haben…

19.50 Uhr: Die Tour beginnt. Die Gruppe macht sich auf zum «PickWick-Pub». Auf dem Weg verteilen die Jungpolitiker Flyer und Kondome. «Können wir diese Dinger als CVPler überhaupt verteilen?», scherzt ein Mitglied der JCVP. Die Menschen auf der Strasse reagieren unterschiedlich auf die Aktion. Einige scheinen noch nie etwas von der Initiative gehört zu haben: «Geht’s darum, ob man Ja oder Nein sagt zu dieser Durchsetzungsinitiative?», fragt ein Mann. Ein anderer wirft kurz einen Blick auf den Flyer und gibt ihn wieder zurück. «Darüber hab ich schon abgestimmt», sagt er.

Im Pub angekommen, ist der Empfang eher frostig. «Danke», sagt eine junge Frau, als ihr ein Kondom entgegengestreckt wird, «aber macht die Tür zu!» Den meisten scheint die Aktion aber zu gefallen. «Wir wollen an Feiertagen nicht schon um Mitternacht nach Hause. Die Barinhaber sind sicher auch froh, wenn das Gesetz abgeschafft wird», sind sich drei Männer aus Gränichen einig. Auch andere Besucher der Bar können nicht verstehen, weshalb das Tanzverbot existiert. «Gerade wenn alle frei haben, machen die Bars und Clubs früher zu. Das finde ich schade», sagt ein junger Mann.

Stephane Cachin, Teufenthal: «Die Initiative ist mir vergleichsweise eher gleichgültig. Ich finde es aber in Ordnung, dass man das Verbot abschaffen will, damit nicht mehr alle in anderen Kantonen feiern gehen. Das Argument, dass man während der Feiertage Ruhe und eine besinnliche Zeit will, zählt für mich nicht. Meist ist es gerade die Zeit, in der die Leute sowieso den grössten Stress haben.»

© Sandra Ardizzone

21.15 Uhr: Nach einem Abstecher in das «No 6 Butcher Pub» macht sich ein Teil der Gruppe auf den Weg in die «Garage». Die anderen verabschieden sich. «Das nächste Mal wieder gegeneinander», hört man mehrmals. Es hat angefangen zu schneien. Während sich in der «Garage» einige Jungpolitiker mit Bier eindecken, laufen die Diskussionen vor der Bar auf Hochtouren. Es wird über die Spekulationsstopp-Initiative gestritten, über die Silvesternacht in Köln, darüber, ob linker Terrorismus gleich schlimm ist wie rechter, und darüber, ob die Medien überhaupt noch ihren Job machten. Nur über das Tanzverbot spricht niemand. «Darüber können wir nicht diskutieren. Wir sind uns alle einig», sagt Jessica Volmar von den Juso.

Argumente der Gegner: Das Partyvolk soll christliche Werte respektieren

Bei der Beratung im Grossen Rat fand die von der Piratenpartei lancierte Volksinitiative «Weg mit dem Tanzverbot» zwar keine Mehrheit, bei den Aargauer Parteien stösst sie aber nun auf recht breite Unterstützung: SP, Grüne, FDP, BDP und Grünliberale haben die Ja-Parole herausgegeben, gegen die Initiative sind SVP, CVP und EVP.
Die Freiheit des einen höre da auf, wo sie die Freiheit des anderen einschränkt, machen die Gegner geltend: Was für die einen die Freiheit zum Tanzen und Feiern bedeute, sei für die anderen der Zwang zur Nachtarbeit. Dem Argument, dass sich die Gesellschaft nicht von religiösen Gesetzen bestimmen lassen müsse, hält die Gegenseite entgegen, dass nicht der christliche Glaube den Beizenschluss an hohen Feiertagen vorschreibe, sondern der Staat der Bevölkerung den nötigen Freiraum gebe, die religiösen Feste würdig zu feiern. Die christlichen Werte seien immer noch für sehr viele – auch für junge Leute – wichtig und sollten vom Partyvolk respektiert werden, schreibt etwa EVP-Grossrat Urs Plüss. Dies erfordere jedoch etwas Toleranz in die andere Richtung. Würde man das Argument des religiösen Zwangs wirklich ernst meinen, «dann müsste man in der ganzen Konsequenz alle christlichen Feiertage abschaffen und auch den Sonntag als Ruhetag infrage stellen», so Plüss.Hin- und hergerissen ist man auf gewerkschaftlicher Seite. Der Gewerkschaftsbund hat Stimmfreigabe beschlossen. Seit Jahren wehrten sich die Gewerkschaften gegen längere Ladenöffnungszeiten. Es sei deshalb nicht opportun, einer Verlängerung der Arbeitszeit für das Personal von Bars und Clubs an hohen Feiertagen zuzustimmen, befand eine Mehrheit der Delegierten. (az)

Aargauer Zeitung
15. Februar 2016 | 08:16