Christian Cebulj, Rektor Theologische Hochschule Chur

Juden und Christen im Dialog

Medienmitteilung

Buchvernissage an der Theologischen Hochschule Chur – Zu den vergessenen Ereignissen von kirchenpolitischer Weltbedeutung in der Schweiz zählt die 1947 abgehaltene «Seelisberger Konferenz». Vor bald 70 Jahren war die Urner Gemeinde Seelisberg Austragungsort der «Internationalen Dringlichkeitskonferenz gegen den Antisemitismus». Dort erarbeiteten 65 jüdische, evangelisch-reformierte und römisch-katholische Intellektuelle die zehn «Seelisberger Thesen», die massgeblich zur Entwicklung des Jüdisch-Christlichen Dialogs nach dem Zweiten Weltkrieg beitrugen und direkten Einfluss auf das Zweite Vatikanische Konzil hatten.

Die von der Theologischen Hochschule Chur und der Theologischen Fakultät der Universität Luzern gemeinsam herausgegebene Reihe «Theologische Berichte» hat Band 36 der Erinnerung an die Seelisberger Konferenz gewidmet. Das Buch wurde am vergangenen Donnerstag, den 08.12.2016 im Rahmen einer Vernissage in Chur der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt.

In seiner Begrüssung wies Rektor Prof. Dr. Christian Cebulj darauf hin, dass sich das Verhältnis der evangelisch-reformierten und römisch-katholischen Kirche gegenüber dem Judentum in der Schweiz seit 1947 grundlegend verändert habe. Von einem Verhältnis der Gleichgültigkeit und des Misstrauens oder gar der Feindschaft sei ein Nebeneinander und geschwisterliches Miteinander geworden. Durch unterschiedlichste Initiativen im religiösen, pädagogischen, sozialen und politischen Bereich seien Antijudaismus und Antisemitismus in der Schweiz wesentlich zurückgedrängt worden. Gleichzeitig sei allerdings festzustellen, dass sich in den gegenwärtigen europäischen Umbrüchen hin zu einer immer pluralistischeren und komplexeren Gesellschaft auch regressive und reaktionäre Gegenkräfte zeigen. Mit besonderer Sorge wies Cebulj darauf hin, dass es auch in den Reihen der Katholischen Kirche wieder rechtskonservative Kreise gebe, deren Denken nicht frei von Antijudaismen in Sprache, Liturgie und theologischen Verlautbarungen sei. Hier gelte es 50 Jahre nach Abschluss des Zweiten Vatikanums noch immer viel Erinnerungsarbeit zu leisten.

Prof. Dr. Verena Lenzen, Leiterin des Instituts für Jüdisch-Christliche Forschung der Universität Luzern, erinnerte an das Jahr 1947, als man zwei Jahre nach dem Völkermord an den Juden und dem Fall von Nazi-Deutschland realisiert habe, dass der Antisemitismus keineswegs zu Ende war. Die Ressentiments gründeten viel tiefer und wurzelten unter anderem auch in der christlichen Lehre. Lenzen stellte den französischen Historiker Jules Isaac (1877–1963) als Schlüsselfigur der Seelisberger Konferenz in den Mittelpunkt ihres Vortrags. Neben dem damaligen Grossrabbiner von Frankreich Jacob Kaplan (1895–1994)  und dem späteren Grossrabbiner von Genf Alexandre Safran (1910–2006) war es Isaac, der im Wesentlichen die zehn Seelisberger Thesen formulierte. Die Thesen wurden vor allem dadurch zu einem markanten Meilenstein in der Geschichte des Jüdisch-Christlichen Dialogs, da sie einen direkten Einfluss auf die Konzilserklärung «Nostra Aetate» des Zweiten Vatikanums hatte. Lenzen erzählte, wie Jules Isaac am 13. Juni 1960 in einer Privataudienz von Papst Johannes XXIII. empfangen worden war, um ihn von der Wichtigkeit der Seelisberger Thesen zu überzeugen. Das Gespräch mit Isaac habe Johannes XXIII. dermassen beeindruckt, dass er Kardinal Augustin Bea umgehend mit der Ausarbeitung des Konzilsdokuments beauftragte, das am 28. Oktober 1965 mit grosser Mehrheit vom Konzil angenommen wurde.

Rabbiner Dr. h.c. Tovia Ben-Chorin (St. Gallen) warf den Blick in die Zukunft des Jüdisch-Christlichen Dialogs und entwickelte in seinem Vortrag auf philosophisch-spekulative Weise das Gotteskonzept einer «self-conscious energy». Er versteht darunter ein göttliches Konzept, das immer in Bewegung und im Werden ist, also eine Art jüdische Prozesstheologie. Gott sei, so Ben-Chorin, das grosse Ziel des Menschen und die Propheten würden dem Menschen dabei helfen,  ihn zu finden. Gott sei mehr als das «Ich und Du» bei Martin Buber, er sei vielmehr wie bei Emanuel Lévinas der «Andere». Da der Mensch den Weg zu diesem Anderen, dem Göttlichen, nicht allein gehen könne, sei das Kollektiv, die Gemeinde, der gemeinsame Gottesdienst und der Kult so wichtig. Im liberalen Judentum sei ein zentraler Gedanke, dass der Kult nicht Ersatz für die Gerechtigkeit sein könne. Ben-Chorin schloss mit dem Appell, die Jüdisch-Christlichen Gespräche auch in Zukunft fortzusetzen.

Birgit Jeggle-Merz/Michael Durst (Hg.): Juden und Christen im Dialog (Theologische Berichte XXXVI), Fribourg 2016, ISBN 978-3-7228-0879-6, CHF 34.00, EUR 29.80  (mit Beiträgen von Tovia Ben-Chorin, Christian Cebulj, Simon Erlanger, Martin-Ernst Hirzel, Birgit Jeggle-Merz, Kardinal Kurt Koch, Verena Lenzen, Adrian Schenker, Walter Weibel, Jean-Claude Wolf)

 

 

 

Christian Cebulj, Rektor Theologische Hochschule Chur | © zVg
Theologische Hochschule Chur
19. Dezember 2016 | 11:12