Früchte der Weisheit

Sabine Bieberstein zu Jak 3,16-4,3

Auf den Text zu

Kennen Sie das auch? Sobald man einen näheren Blick in manche Pfarrei oder Kirchgemeinde wirft, möchte man am liebsten davonlaufen. Da gibt es Gruppierungen, die einander bekämpfen und schon gar nicht mehr miteinander reden, da gibt es Machtkämpfe, Mobbing, Verleumdungen und Ausgrenzungen. Die Gründe sind meist komplex und von aussen oft kaum zu durchschauen, aus der Sicht der jeweiligen Konfliktparteien jedoch plausibel und nicht zu überwinden. Rivalität und Konkurrenz, unterschiedliche Kirchenbilder, verschiedene Vorstellungen von dem, was «christlich» ist, die Unfähigkeit, Konflikte zu benennen und fair auszutragen ­ all das und viel mehr mag hinter solchen Kämpfen stehen. Die Folgen sind meist verheerend: Menschen werden frustriert oder zutiefst verletzt und kehren der Kirche schlussendlich den Rücken, weil sie ihre Glaubwürdigkeit verloren hat.
Der Verfasser des Jakobusbriefs scheint mit ähnlichen zerstörerischen Praktiken konfrontiert zu sein. Er gebraucht drastische Worte für das, was er wahrnimmt: Krieg ­ Streitigkeiten ­ Kämpfe ­ Mord (4,1­3). Was er da diagnostiziert, sind für ihn aber keinesfalls Gegebenheiten, mit denen man «eben leben muss». Sondern er versucht die Gründe dafür bei den Beteiligten selbst zu finden: in ihrer Zerrissenheit, Unaufrichtigkeit, den falschen Absichten und so weiter. Darauf versucht er zu reagieren und etwas anderes dagegen zu setzen.

Mit dem Text unterwegs

Durch die Zusammenstellung des Lesungstextes kommt das eben angedeutete Problem der Streitigkeiten in den Horizont der beiden Arten von Weisheit, die der Verfasser in 3,13­18 einander gegenüberstellt. Der Lesungstext beginnt mit 3,16 mitten in diesem Abschnitt und verbindet so das Thema der Weisheit (3,16­18) mit dem Problem der Konflikte in den Gemeinden (4,1­3).
Zwei verschiedene Arten von Weisheit kann der Verfasser erkennen: eine Weisheit, die nicht von oben kommt (3,15), und eine Weisheit, die von oben kommt (3,17). Mit der ersten Art von Weisheit verbindet der Verfasser Verhaltensweisen wie Ehrgeiz, Eifersucht, Prahlerei (3,14) oder auch Kriege, Streitigkeiten, Leidenschaften, wie er die Vorwürfe in 4,1f. fortsetzt. Das zeigt, dass der Verfasser «Weisheit» und auch «Wahrheit» (3,14!) nicht als dogmatische Glaubenssätze versteht, die man für wahr halten muss. Vielmehr zeigen sich Wahrheit und Weisheit in einem entsprechenden sozialen Verhalten. «Ob eine Gemeinde in der Wahrheit ist, entscheidet sich daran, ob sie als Gemeinde oder als Gruppenbildung existiert» (Hoppe 83). Wo die falsche Weisheit herrscht, dort gibt es Eigennutz, man bleibt verhaftet in den alles bestimmenden Sachzwängen, man kommt nicht heraus aus Unrecht und Gewalt. Das schadet den Menschen, der Gemeinde und bringt letztendlich auch wieder Gott selbst in Misskredit (vgl. schon Jak 1­2).
Dem stellt der Verfasser die Weisheit «von oben» entgegen. Damit meint er die Sphäre Gottes oder auch den Himmel. Wie so oft im Jakobusbrief steht dabei das Buch Jesus Sirach im Hintergrund: «Alle Weisheit stammt von Gott, und ewig ist sie bei ihm Er hat sie geschaffen, geschaut und gezählt, sie ausgegossen über alle seine Werke» (Sir 1,1.9). Jesus Sirach ist es auch, der in einem wunderbaren Gedicht die Weisheit preist, die «aus dem Munde Gottes» hervorgegangen ist, sich auf der Erde niedergelassen hat, nun wächst und gedeiht wie Palmen und Oleanderbüsche, die Menschen lockt mit ihren Düften und sie einlädt, von ihren Früchten zu geniessen (Sir 24,1­22).
Solche Früchte der Weisheit erkennt der Jakobusbrief zum Beispiel in dem Frieden schaffenden Handeln, von dem er in 3,18 spricht. Und wer sich von solchen Früchten nährt, so kann man den Gedanken weiter ausziehen, wird den «Kampf der Leidenschaften» (4,1) überwinden, der die Herzen spaltet. Wer sich von solchen Früchten nährt, wird die Zerrissenheit in sich (4,8) heilen und zu jener Ganzheit finden, die für den Verfasser des Jakobusbriefs so wichtig ist. Das hat Auswirkungen nicht nur auf die Einzelnen, sondern auf das Miteinander der Gemeinde insgesamt.

Über den Text hinaus

Es ist nicht leicht, über diesen Text zu schreiben oder zu predigen, ohne zu moralisieren. Denn die Perspektive des Jakobus ist eindeutig: Er hat Leute vor Augen, die sich seiner Meinung nach als Lehrer aufspielen (3,1), die einander verleumden, verurteilen und über andere richten (4,11­12), die streiten und so die Gemeinde und Gott selbst in Verruf bringen. Es ist klar, dass dies abzulehnen ist. Da liegt es nahe, die Perspektive des Jakobus einzunehmen, solche «Fälle» in der eigenen Umgebung zu diagnistizieren und ihnen die Worte des Jakobus vor Augen zu führen, damit sie in sich gehen und sich ändern.
Aber ist es immer so klar, wer auf der «richtigen» Seite steht? Im Fall des Jakobusbriefs kennen wir nur die Stimme des Jakobus, nicht jedoch die Stimmen derer, die noch an solchen Konflikten beteiligt waren. Vielleicht hätten sie die Situation ganz anders beschrieben. Es ist also immer Vorsicht bei zu schnellen Urteilen und Verurteilungen angebracht.
Dennoch sind die Lösungsvorschläge des Jakobus voller Herausforderungen für heute. Besonders hat es mir das Frieden schaffende Handeln aus 3,18 angetan, das sich von den Früchten der Weisheit nährt, jener Weisheit, die als lauter, friedlich, voller Erbarmen, aufrichtig und vieles mehr beschrieben wird (3,17f.). Wer sich von Erbarmen getragen weiss, wird selbst barmherzig mit anderen umgehen, wer sich von einer friedvollen Weisheit nährt, wird selbst fähig zum Frieden, und so weiter. Das legt die Grundlage zu einer Konfliktkultur, die die «anderen» nicht rechthaberisch vernichten muss, die aber auch nicht vorschnell ein christlich-harmonisierendes Mäntelchen über offensichtliche Streitpunkte hängt und so produktive Auseinandersetzungen verhindert. Nicht zuletzt den Kirchen täte es gut, eine wirkliche Konfliktkultur einzuüben, bei der Menschen nicht auf der Strecke bleiben, bei der aber auch nicht von vorneherein feststeht, wer Recht hat.
Gegen die Verbissenheit und Rechthaberei in manchen (nicht nur kirchlichen) Konflikten tut ein Blick auf jene sinnlich-lebensvolle Weisheit aus dem Buch Jesus Sirach (Sir 24) gut, die tanzend, duftend und wohlschmeckend zur Gerechtigkeit «verführt» und mit ihrer Lebendigkeit Verknöcherungen aufweichen und erstarrte und verborgene Kräfte zum Frieden freisetzen kann.

Die Autorin: Die promovierte Theologin Sabine Bieberstein leitet auf der Bibelpastoralen Arbeitsstelle das Projekt «Jahr der Bibel 2003» in der Schweiz.

Literatur: Rudolf Hoppe, Jakobusbrief, (Stuttgarter Kleiner Kommentar Neues Testament 15), Stuttgart 1989.


Er-lesen
Das Weisheitslied Sir 24,1­22 miteinander lesen und mit Symbolen, Bildern, Düften, Früchten usw. gestalten. Was lösen diese Bilder in mir aus? Welche Dimensionen in mir sprechen sie an? Welche Sehnsüchte wecken sie?

Er-hellen
Jak 3,16­4,1 lesen und zur sinnlich-lebensvollen Weisheit aus Sir 24 in Beziehung setzen. Was verändert sich bei der Bewältigung von Konflikten, wenn jene lebendige Weisheit ins Spiel kommt?

Er-leben
Die Früchte miteinander teilen und dabei Konflikte überdenken, in die die Gruppe oder Einzelne verwickelt sind. Wo sind Alternativen zu den bisherigen Konfliktkonstellationen zu entdecken? Welche Frieden schaffenden Kräfte kann ich bei mir und bei den anderen erkennen? Was nährt mich in diesen Konflikten, und wie wirkt sich das auf mein Konfliktverhalten aus?

BPA und SKZ
14. September 2003 | 00:00