Barocksaal in der Stiftsbibliothek St. Gallen

Farbiger Einblick in die Esskultur des Mittelalters

Medienmitteilung

Essen und Trinken sind lebenswichtig – seit jeher. Mit den Tischsegnungen des gelehrten Mönchs Ekkehart IV. († nach 1057) ist in der Stiftsbibliothek St.Gallen die älteste und zu gleich eine der farbigsten Quellen für die Esskultur der Schweiz erhalten geblieben. Sie steht ab dem 23. April im Mittelpunkt der neuen Sommerausstellung der Stiftsbibliothek.

«Kaum je kommt man einem Menschen des Mittelalters so nahe wie bei dieser Handschrift des St.Galler Mönchs Ekkehart mit seinen Tischsegnungen. Sie ist von ihm eigenhändig ge schrieben und immer wieder korrigiert und überarbeitet worden», sagt Cornel Dora, Stifts bibliothekar über die älteste Schweizer Quelle zum Essen und Trinken. Für den Ausstel lungskatalog hat die Stiftsbibliothek die 280 Verse neu herausgegeben und mit einer Über setzung versehen.

Andere Zeiten und Sitten

Ekkehart lebte in einer anderen Welt als wir heute – gerade in der Ernährung. Das betont der Ernährungshistoriker Dominik Flammer, Co-Kurator der Ausstellung: «Kartoffeln, Mais und auch Tomaten, die wir heute schätzen, waren unbekannt, Kartoffeln und Tomaten stammen aus Südamerika und Mais aus Mexiko. Erst ab dem 16. Jahrhundert kamen sie auch in Europa auf den Tisch.» Gemüsesorten wie Fenchel und Sellerie wurden nur als wür zendes Kraut verwendet. Auch die Tischsitten waren anders: «Im Mittelalter wurde feste Nahrung mit der Hand gegessen, Trinkbecher und Messer wurden geteilt, Geschirr war sel ten», sagt Dora. Das zeigen Bilder in Handschriften, etwa des letzten Abendmahls.

Ein Feuerwerk an Speisen

Ekkeharts Tischsegnungen sind ein Feuerwerk an verschiedensten Speisen, vom Brot über Fische, Fleisch, Gemüse und Früchte bis hin zu verschiedensten Getränken, alles sehr viel fältig und mit realen Bezügen. Und die Reime innerhalb der Verse bringen einen leichten Humor, etwa wenn es heisst: «Die gesegnete Forelle, sei gegessen auf der Stelle,» oder «Die Birn’, den Äpfeln beigegeben, soll nicht meinen Bauch erregen.» Querschnitt durch die Ernährungsgewohnheiten

Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten zwischen der mittelalterlichen und der modernen Ta fel. Auch im Mittelalter kamen Getränke verschiedenster Art (Wasser, Wein, Bier, Obst- und Fruchtsäfte), Getreide (Brot, Mus), Fleisch und Fisch, Gemüse, Käse und Spezialitäten wie Pilze sowie Gewürze aller Art auf den Tisch. Das mittelalterliche Leben war spirituell be stimmt, was sich in weit gehenden Fastenbestimmungen äusserte. Pro Jahr gab es rund 140 Fasttage, an denen oft nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf Eier und Milch verzichtet wurde. «Auch hierzu hat Ekkehart Verse zum Schmunzeln verfasst», sagt Dora. «So wurde der Biber als Fisch betrachtet und war deshalb als Fastenspeise erlaubt.»

Katalog mit Einbettung in den grösseren Kontext

Zur Ausstellung erscheint ein reich bebilderter Katalog. Er enthält neben Texten zu den Ausstellungsobjekten eine Einleitung und einige Kurztexte des bekannten Schweizer Ernäh rungshistorikers Dominik Flammer, der die St.Galler Quellen in den grösseren Kontext der Ernährungsgeschichte einbettet. Die Zürcher Grafikerin Cornelia Gann hat zudem aus histo rischen Bildern zum Thema Ernährung Grafiken geschaffen, die den Katalog und die Aus stellung bereichern. Der Katalog enthält schliesslich auch eine Ausgabe von Ekkeharts Bene dictiones ad mensas mit deutscher Übersetzung. St.Galler Brautradition

Zu den Getränken, die in St.Gallen eine besondere Tradition haben, gehört das Bier. Be rühmt sind die drei Brauereien, die auf dem St.Galler Klosterplan der Stiftsbibliothek einge zeichnet sind, ebenso eine Darre für die Vorbereitung des Biergetreides. Berichte Ekkeharts in der Klosterchronik Casus sancti Galli belegen, dass im Galluskloster wohl seit der Mitte des 9. Jahrhunderts eine leistungsfähige Brau-Infrastruktur vorhanden war. Und schliess lich wird Bier in einer St.Galler Urkunde im Stiftsarchiv aus dem Jahr 754 erstmals nördlich der Alpen als Zehntenabgabe genannt.

Das Verbot vierfüssiger Tiere in Klöstern

Ein besonderes Augenmerk galt im Mittelalter dem Fasten. Die Kirche gab rund 140 Fast tage jährlich vor, an denen kein Fleisch, keine Eier und keine Milchprodukte gegessen wer den sollten. Die Benediktsregel fügte dem hinzu, dass Mönche generell kein Fleisch vierfüs siger Tiere essen durften. Aus diesem Grund erfreute sich Geflügel in den Klöstern grosser Beliebtheit. Benedikts Verbot führte immer wieder zu Diskussionen. In St.Gallen kam es deswegen im Jahr 964 gar zu einer von Kaiser Otto dem Grossen angeordneten Untersu chung, die empfahl, den Fleischkonsum einzuschränken.

St.Galler Bratwurst

In einer Ausstellung über Essen darf in St.Gallen die Bratwurst nicht fehlen. Bis Ende Juni ist das älteste erhaltene Bratwurstzeugnis aus dem Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen zu sehen. Es handelt sich dabei um Qualitätsstandards, welche die Metzgerzunft und der Rat der Stadt 1438 festlegten. Dabei wird deutlich, dass es sich bei der St.Galler Bratwurst von Anfang an um ein hochwertiges Wursterzeugnis handelte.

Notker Balbulus als Käsekenner

Zu den frühen Zeugen für Käse gehört der St.Galler Mönch Notker Balbulus († 912). In einer Anekdote aus seinem Werk über die «Taten Karls des Grossen» berichtet er von einer Kä sespezialität, die ein schmeichelnder Bischof dem König anbot. Karl verschmähte den Käse zunächst, weil die Rinde unappetitlich aussah. Als er ihn trotzdem kostete, schmeckte er ihm aber so gut, dass er sich künftig jährlich zwei Wagenladungen davon an den Hof nach Aachen erbat. Käsemarken wie Roquefort, Brie und Gorgonzola führen ihre Tradition auf diese Geschichte des St.Galler Mönchs zurück.

Morcheln im Kloster

Eine weitere Anekdote, die auf Notker Balbulus zurückgeht, berichtet Interessantes über Pilze. Notker hatte gehört, wie Reichenauer Mönche damit prahlten, einen besonders gros sen Fisch gefangen zu haben. Er entgegnete, dass es auch in St.Gallen Wunder der Natur gebe, nämlich Morcheln im Winter. Tatsächlich hatte er Pilze dieser Art in der Nähe einer Heizung im Kloster entdeckt. Die Geschichte ist eines von wenigen Zeugnissen über Pilze im Mittelalter. Grundsätzlich wurden sie skeptisch betrachtet. Ekkehart schreibt, dass sie sie ben Mal gekocht werden sollen, und bei Isidor von Sevilla wird der lateinische Begriff für Pilze: fungi mit defuncti (»Verstorbene») in Verbindung gebracht.

Gesegnete Speisen – Vom Essen und Trinken im Mittelalter
Sommerausstellung, 23. April bis 10. November April 2024, täglich 10–17 Uhr
Stiftsbibliothek St. Gallen, Barocksaal
Informationen zur Ausstellung

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15. April 2024 | 11:39