Martin Werlen
International

Martin Werlen: «Papst Benedikt hat nichts verstanden»

Der Propst von St. Gerold ruft auf zur «Auskotzete» nach der Veröffentlichung des Missbrauchs-Gutachten von München. Die Kirche müsse hinnehmen, dass die Menschen ihrer Wut Luft machten und die Schuldigen lauthals benennen. Genau dafür stellt Martin Werlen seine Kirche zur Verfügung.

Eva Meienberg

Der Benediktinerpater Martin Werlen hat zur «Auskotzete» in die Propstei St. Gerold eingeladen. «Ein ehemaliger Papst, der zum Schutz der Institution und seiner Person die ganze Welt anlügt und mit der Wahrheit nur Stück um Stück herausrückt, lässt die Sprache verschlagen», heisst es in der Ankündigung der Veranstaltung. «Jetzt reicht’s! Eine ‘Auskotzete’» ermutigt die Teilnehmenden ihre Wut in Worte zu fassen.

Lügender Papst hat nichts begriffen

Mit dem lügenden Papst meint Martin Werlen den emeritierten Papst Benedikt XVI. und dessen 82-seitigen Verteidigungsschrift zuhanden der Gutachter der Missbrauchsfälle in München. Darin schütze er sich und das System. Diese Reaktion zeige ihm, dass Papst Benedikt nichts verstanden habe, sagt Martin Werlen bei einem Auftritt im Online-Magazin «Vorarlberg live” vom vergangenen Mittwoch.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. im Rollstuhl, Juni 2020
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. im Rollstuhl, Juni 2020

Schreie der Menschen hören

Die Haltung der Kirche müsse aber sein: «Ich habe einen Fehler gemacht und wie geht es nun weiter?» «Das grösste Problem mit den Verbrechen ist, dass wir so getan haben, als wäre nichts geschehen, und dass wir die Opfer nicht angehört haben», sagt Martin Werlen. Einen Raum schaffen, in dem die Schreie der Menschen gehört werden, will Martin Werlen in seiner Propstei im Vorarlberg. Der ehemalige Abt Martin von Einsiedeln ist dort seit Sommer 2020 Propst.

Wut äussern und Schuldige benennen

«Die Kirche muss hinnehmen, dass die Menschen ihre Wut äussern und Schuldige benennen. Jesus hat das auch getan, wenn er diese als Heuchler und blinde Narren bezeichnet hat», sagt Martin Werlen. Es tue gut, wenn man irgendwo mal abladen könne, das sei der erste Schritt zur Heilung. Schon die Psalmen zeugten davon, dass die Menschen sich vor Gott ausgekotzt hätten.

Zeichen gegen Missbrauch – Katholikinnen und Katholiken demonstrierten für eine demokratischere Kirche.
Zeichen gegen Missbrauch – Katholikinnen und Katholiken demonstrierten für eine demokratischere Kirche.

«Auskotzete» und Vier-Gang-Menü – wie geht das?

Die «Auskotzete» wird darum in der Propsteikirche St. Gerold stattfinden. «Die Menschen werden sich fragen, ob man das darf», gibt Martin Werlen zu bedenken. Er ist überzeugt, man soll. Viel zu lange hätten die Menschen zu den Verbrechen in der Kirche geschwiegen. Am Freitagabend um 18.30 Uhr werden in der Propsteikirche die rund 50 angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Stimme erheben können.

Gemäss Programm findet im Anschluss daran ein Vier-Gang-Menü statt. «Beim gemeinsamen Mahl geht es nicht nur ums Essen, sondern um das Zusammenkommen und um miteinander zu sprechen. Das wollen wir in einer gepflegten Atmosphäre tun», sagt Martin Werlen zum abrupten Übergang von der «Auskotzete» zum Vier-Gang-Menü.

«Wir brauchen eine Kirche, die anders ist»

Am Samstagmorgen im zweiten Teil der Veranstaltung geht es darum, Perspektiven zu entwickeln. Die Fragen dazu: «Wie kann ich in der Kirche bleiben? Wie kann ich beitragen, dass sich in der Kirche etwas ändert?» Martin Werlen will eine Perspektive entwickeln, die weit über St. Gerold hinaus ausstrahlt. Er zitiert Papst Franziskus: «Wir brauchen keine andere Kirche. Aber wir brauchen eine Kirche, die anders ist.» Darum ermutigt Martin Werlen die Menschen, nicht aus der Kirche auszutreten. «Ich möchte die Kirche nicht denen überlassen, die alles so bleiben lassen wollen, wie es ist, das wäre der Untergang der Kirche», sagt Martin Werlen.

Propstei St. Gerold
Propstei St. Gerold

Der Propst will es lieber so machen, wie bei der Renovation der Klosteranlage von St. Gerold. Dort hat man Gemäuer, die aussahen wie barocke Architektur zum Schrecken einiger abgerissen. Die Mauern stammten aus den 1970er Jahren. Nicht alles was alt aussehe, sei wirklich Tradition. «Man kann auch mal etwas abreissen, um dann etwas Neues aufzubauen», sagt Martin Werlen. (korrigiert, 30.1.22)


Martin Werlen | © Franz Kälin
28. Januar 2022 | 14:33
Lesezeit: ca. 2 Min.
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