Charles Morerod (Mitte), flankiert von Harald Rein (l) und Gottfried Locher (r)
Schweiz

«Flüchtlinge können manchmal nur ihren Glauben mitnehmen»

Bern/Freiburg, 9.11.18 (kath.ch) Charles Morerod hat am Mittwoch als Präsident der Schweizer Bischofskonferenz und Mitglied des Rats der Religionen die interreligiöse Erklärung zu Flüchtlingsfragen unterzeichnet. Darin sind fünf Appelle zur schweizerischen Flüchtlingspolitik formuliert. Gegenüber kath.ch erklärt der Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg, warum ein solches gemeinsames Zeichen wichtig ist.

Sylvia Stam

Warum haben die Mitglieder des Rats der Religionen diese Erklärung lanciert?

Charles Morerod: Wenn jemand leidet, leiden wir auch mit dieser Person mit. Es ist wichtig zu zeigen, dass wir nicht nur im Sinne unseres eigenen Glaubens agieren, sondern weil uns die Gemeinschaft aller Menschen wichtig ist.

«Religionen stiften vor allem Frieden und Gemeinschaft.»

Ist es nicht selbstverständlich, dass die Religionen sich gemeinsam für Flüchtlinge einsetzen?

Morerod: Es ist nicht selbstverständlich. Religionen können Ursache für Gewalt sein. Umso wichtiger ist es zu zeigen, dass Religionen vor allem Frieden und Gemeinschaft stiften. Wir müssen zeigen, dass das möglich ist. Das sagen wir auch den Gläubigen unserer Religionen: Wir sollten uns gemeinsam für Flüchtlinge einsetzen, wir können das.

Die Erklärung wurde der Vize-Nationalratspräsidentin Marina Carobbio überreicht. Weshalb ihr?

Morerod: Es ist wichtig, dass Glaubensgemeinschaften und Behörden zusammenarbeiten. Von den Behörden hören wir oft, dass es für sie wichtig ist, dass die Religionsgemeinschaften in der Flüchtlingsarbeit aktiv werden. Was Frau Carobbio mit der Erklärung konkret machen wird, muss ich ihr überlassen. Der Rat der Religionen wird auch mit Bundesrätin Sommaruga zusammenkommen und ihr die Erklärung überreichen.

«Christliche Flüchtlinge fühlen sich als Mitglieder unserer Glaubensgemeinschaft.»

Der Rat der Religionen tritt damit erstmals politisch auf. Gibt es weitere politische Projekte?

Morerod: Nein, zurzeit nicht.

Gibt es konkrete interreligiöse Projekte in der Flüchtlingsarbeit?

Morerod: Da gibt es viele Beispiele. Ich war einmal zu einem pastoralen Besuch in einem Asylzentrum in Genf. Diejenigen, die dort für uns gekocht und mit denen wir gegessen haben, waren Mitglieder verschiedener Religionen. Das war keine Ausnahme, das machen sie dort immer so.

Ist Glaube in Ihren Begegnungen mit Flüchtlingen Thema?

Morerod: Ich habe verschiedene Asylzentren besucht. Christliche Bewohnerinnen und Bewohner von Asylzentren sagen mir manchmal, dass es für sie wichtig ist, dass ich komme.
Diese Menschen haben alles verlassen, aber ihren Glauben haben sie mitgenommen. Manchmal haben sie nicht viel mehr, umso wichtiger ist der Glaube für sie. Sie fühlen sich als Mitglieder unserer Gemeinschaft. Für diese Menschen ist es wichtig, dass ich ihnen zeige, dass ich das auch so empfinde.

Hinweis: Ein Interview mit Montassar BenMrad, Präsident der Föderation Islamischer Dachorgansiationen Schweiz, folgt demnächst auf diesem Portal.


Charles Morerod (Mitte), flankiert von Harald Rein (l) und Gottfried Locher (r) | © Bernard Hallet | © Bernard Hallet
9. November 2018 | 12:32
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Interreligiöse Erklärung  zu Flüchtlingsfragen

Unter dem Titel «Gegenüber ist immer ein Mensch» haben sechs Mitglieder des Rats der Religionen am Mittwoch eine interreligiöse Erklärung zu Flüchtlingsfragen unterzeichnet. Darin formulieren die Vertreter von Christen, Juden und Muslimen fünf Appelle zur schweizerischen Flüchtlingspolitik: Schutz vor Ort, legale Fluchtwege, faire und effektive Asylverfahren, Integration und Rückkehr in Würde.

Konkret fordern die Religionsvertreter, dass «Schutz vor Ort» ein wichtiges Ziel der Schweizer Aussenpolitik sein soll. Im Asylverfahren soll der Flüchtlingsbegriff gemäss der Genfer Flüchtlingskonvention umfassend angewendet werden. Vom Bürgerkrieg betroffene Menschen sollen statt einer vorläufigen Aufnahme den Flüchtlingsstatus erhalten. Die Religionsgemeinschaften fordern des Weiteren eine frühzeitige Integration von Flüchtlingen. Hier könnten die Glaubensgemeinschaften einen wichtigen Beitrag leisten in Form von Freiwilligenarbeit oder individuellen Initiativen. Umgekehrt ist gemäss der Erklärung die Respektierung hiesiger Regeln wichtig, um sich integrieren zu können. Die in der Bundesverfassung verankerten Werte müssten eingehalten werden. Zu einer «Rückkehr in Würde» für Personen, welche die Kriterien für die Aufnahme nicht erfüllen, gehören laut Erklärung «menschenrechtliche Standards beim Vollzug der Wegweisung und die Beachtung des Kindeswohls in jeder Situation.» (sys)