Thomas Wallimann-Sasaki

Gedanken zum Sonntag: Unterscheiden zum Wohl der Menschen

Zum Sonntag, 4. Februar 2018, 5. Sonntag im Jahreskreis. (Markusevangelium 1,29-39)

Thomas Wallimann-Sasaki *

«Bis zu einem gewissen Punkt kann ich dich begleiten, aber nicht weiter!» sagt der Seelsorger zu einer Frau, die mit einer Sterbehilfeorganisation sterben will. Auf dem Sterbeweg und am Tag ihres Todes will er nicht dabei sein. Die Frau hat Verständnis, fühlt sich aber vor allem verlassen, einsam und darum enttäuscht.

Diese Geschichte führt mich zur Erzählung im Markusevangelium von der Heilung der Schwiegermutter des Petrus und anderer von Dämonen besessenen Menschen. Diese Dämonen machen die Menschen krank. Wie heute die grossen Geschwindigkeiten, die permanenten elektronischen Verbindungen und die Zwänge an vielen Arbeitsplätzen, machen diese Dämonen Lärm und Betrieb, und lenken so von unserem gesunden Kern ab, vom Wesentlichen im Leben, von dem, wer wir wirklich sind und welches unsere Lebensaufgabe ist.

Jesus versteht es, zwischen dem gesunden Kern der Menschen und dem davon ablenkenden Lärm zu unterscheiden. So kann er die Menschen von den Dämonen trennen. Jesus selber versteht aber auch, dass es nicht ausreicht, einzig zwischen den lärmenden Kräften und dem wahren Selbst zu unterscheiden. Darum zieht er sich zurück und klärt für sich in der Stille seine eigene Situation. Aus dieser Klarheit heraus gebietet er den Dämonen Schweigen. Er bringt sie nicht zum Verschwinden, aber weist ihnen ihren eigenen Platz zu.

Heute zeigt sich der ablenkende Lärm gerade auch in der Seelsorge gern als Stimme von moralischen Geboten, von gesellschaftlichen Regeln, von «zu viel Arbeit» oder dem Ungewohnten ganz allgemein. Hier ist die Kunst der Unterscheidung, die Jesus lebt, von den Seelsorgenden selber gefordert.

Jesus zeigt, dass es gerade in solchen Situationen Zeit und Ruhe braucht, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Herausgefordert von der sterbewilligen Frau empfindet der Seelsorger Verunsicherung und Unruhe. Vielleicht sind es auch die Regeln der Kirche oder andere Ängste, die ihn daran hindern, die Situation angemessen einzuordnen. Und so zieht er sich aus der Situation.

Doch im Zentrum der Seelsorge sollen die Seele und das Wohl des Menschen stehen. Dies bedeutet, mutig den Weg der Menschen mitzugehen. Gleichzeitig gefordert ist der Rückzug in die eigene Stille, um die eigene Lebensaufgabe immer wieder neu zu finden. Dann gelingt es, den gesunden Kern von Menschen zu stärken, und dann können seelsorgerliche Begegnungen und Begleitungen heilend wirken.

* Thomas Wallimann-Sasaki ist Theologe und Sozialethiker. Er leitet das Institut für Sozialethik «ethik22» in Zürich und ist Präsident a.i. der Nationalkommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz.

Thomas Wallimann-Sasaki | © zVg
3. Februar 2018 | 08:40
Lesezeit: ca. 2 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!