Gottfried Locher vor dem Grossmünster
Schweiz

Reformationsjubiläum mit einem lachenden und einem weinenden Auge

Zürich, 6.1.17 (kath.ch) Michel Müller strotzt vor Stolz. Er weist in der Sakristei des Zürcher Grossmünsters, wo sich zahlreiche Medienleute ein Stelldichein gegeben haben, auf die Impulse hin, die «von hier aus in die Welt gegangen sind». Der Medientross wird darüber informiert, was die Reformation für Zürich bedeutete. Zürich feiert den Beginn der Reformation mit einem zweitägigen Fest in der Halle des Hauptbahnhofs.

Georges Scherrer

Der Begeisterung des Kirchenratspräsidenten der Reformierten Kirche Zürich versetzt die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr ziemlich rasch einen Stossdämpfer, indem sie über das «Weltereignis» Reformation sagt, dieses habe «auch hier in Zürich» seine Wurzeln.

Zürich dürfe sich den Titel «Reformationsstadt Europas» nennen, erläutert Müller weiter. In Zürich aber, wo die Häuser bekanntlich nicht so hoch in den Himmel wachsen wie in Frankfurt oder Berlin, habe man in «Helvetischer Zurückhaltung» darauf verzichtet, wie in der «Lutherstadt Wittenberg» die spezielle Bezeichnung «Reformationsstadt» auf die Strassenschilder zu beschreiben.

Zürcher Aufbrüche

Die Bedeutung des Zürchers Huldrich Zwingli, einer der bekannten Schweizer Reformatoren, darf selbstverständlich nicht unterschätzt werden. An der Pressekonferenz ging es auch darum, vor der Journalistenschar das Besondere des Zürcher Beitrags zur Reformation auszuleuchten. Die «eigene, eine Schweizer Reformation» habe von Zürich über Genf rasch eine internationale Verbreitung gefunden, erklärt der Ratspräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK), Gottfried Locher.

Wo der gloub ist, da ist fryheit

Locher, der aktuell auch als Präsident der Gemeinschaft Evangelischer Kirche in Europa amtet, hebt vor allem den Gedanken der Freiheit hervor, den Zwingli 1523 im Satz «Wo der gloub ist, da ist fryheit» beschrieb. Von damals schlägt Locher den Bogen auf heute. Heute sei die Gesellschaft von Extremismus und religiöser Intoleranz bedroht. Es gelte nun, die Errungenschaften der Reformation über die Konfessions- und Religionsgrenzen hinweg zu schützen, mahnt der Rats-Präsident.

Düstere 490-Jahr-Erinnerung

Die neu errungene Freiheit der Reformatoren ging zu Lasten Anders-Denkender. Auch das war Thema vor den Medien. «Auf den Tag genau vor 490 Jahren wurde der Täufer Felix Manz in der Limmat ertränkt», sagt der Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist vor den Medienleuten am Donnerstag. Die Verfolgung der Täufer ist ein dunkles Kapitel der Zürcher Reformation.

 Was von Anfang an zwischen Katholiken und Reformierten schief lief, war, dass es keinen Dialog gab

An der vorzeitig publizierten Liste der Redner, die am zweitägigen Reformations-Gedenkfest im Zürcher Hauptbahnhof auftreten, fällt auf, dass keine katholische Prominenz genannt wird. Das ist kein Abstrich an die Ökumene in der Schweiz, heisst es an der Pressekonferenz. Die reformierten Kirchen haben im Jubiläumsjahr mehrere gemeinsame Auftritte mit den Katholiken. Am Festanlass in Zürich soll die «Ökumene mit den Kirchen, die aus der Reformation entstanden sind», hervorgehoben werden. Zu diesen gehören die Mennoniten, die aus der Täuferbewegung entstanden sind.

Abt Federers Aufruf zum Dialog

«Für mich ist das Gedenken an die Reformation vor allem der Aufruf zu Dialog. Was von Anfang an zwischen Katholiken und Reformierten schief lief, war, dass es keinen Dialog gab. Beide Seiten hatten von Anfang Feindbilder», sagt der Abt von Einsiedeln, Urban Federer, am Rand des Eröffnungsanlasses gegenüber kath.ch. Er nimmt als Gast teil.

Dieser Dialog müsse aber über die Konfessionsgrenzen hinweg auch mit anderen Religionen stattfinden. Er wertete die Einladung zum Eröffnungsanlass als eine grosse Ehre.

Frauensicht auf die Reformatoren

Die katholische Kirche musste in Zürich zurzeit der Reformation einiges einstecken. Als einen der «grossen gesellschaftlichen Brüche» der Reformationszeit nannte die Stadtpräsidentin Zürichs, Corine Mauch, die Abschaffung des Zölibats und die Aufhebung der Klöster. Durch deren Aufhebung sei die Stadt gezwungen worden, sich der Sorge um die Armen selber anzunehmen. Zur Finanzierung des «Armenwesens» sei der Besitz der Klöster verwendet worden. Neben den treibenden Persönlichkeiten von damals nennt Mauch neben Zwingli auch die letzte Äbtissin am Fraumünsterstift, Katharina von Zimmern.

«Ein rechter Mann lädt seiner Frau nicht zu viel Arbeit auf. Ein Pferd sollte man auch nicht zu stark beladen»

Einen anderen weiblichen Aspekt auf die Reformatoren hebt die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr hervor, indem sie auf Heinrich Bullinger verweist. Ob das Frauenbild, das er vertrat, das Einverständnis seiner reformatorischen Mitstreiter hatte, sagt Fehr nicht. Bullinger jedenfalls verglich die Frau mit einem Pferd, das man nicht zu stark beladen soll und das am besten zuhause bleibt. Die Vorbildfrau entspricht für Bullinger einer Schildkröte, die ihren Kopf so wenig wie möglich aus ihrem Panzer streckt.

Das Frauenbild der Reformatoren gehörte mit zu den Schattenseiten der Reformation, so Fehr. Die Reformation habe jedoch eine «Lerngeschichte» angestossen, die zu einem kritischen Denken und zu einem Veränderungswillen führte. Es sei darum kein Zufall, dass in Zürich die «renommierte technisch-wissenschaftliche Hochschule», die ETH, stehe.

Gesellschaft im Umbruch

Fehr sieht das Jubiläum als Chance. In Zeiten, in denen «Kreationisten» an die Macht drängen, sei es wichtig, das Geschichtsbewusstsein zu stärken. Viele Menschen seien heute genauso verunsichert wie Luthers Zeitgenossen, sagt Bundesrat Johann Schneider-Ammann bei der Enthüllung einer Gedenkmünze am Donnerstag auf dem Vorplatz des Grossmünsters. Heute gelte es darum, gegen «Obskurantismus, Technologie- und Wissenschaftspessimismus und Antiliberalismus» anzugehen.

Auch der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller sieht die Zeit im Wandel. Die Kirchen seien heute von «starken Umbrüchen» geprägt. Aus diesem Grund sei eine «ausgelassene Feier» zum Reformationsjubiläum von vornherein ausgeschlossen worden. Dennoch setzten die Deutschschweizer Reformierten die Feier an und verbanden diese mit einem Auftritt in der Gesellschaft, nämlich im Zürcher Hauptbahnhof.

Gottfried Locher vor dem Grossmünster | © Hans Merrouche, Montage
6. Januar 2017 | 16:48
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