Claudius Luterbacher
Schweiz

«Jeder Urlaub entwickelt sich automatisch zu Abenteuerferien»

St. Gallen, 11.7.16 (kath.ch) Claudius Luterbacher (37) verbringt den Urlaub auch dieses Jahr mit seiner Familie in Italien. Das jüngste Kind ist 10 Monate alt, das älteste 9 Jahre – an einen Museumstrip ist da nicht zu denken. Und doch sind es Kulturferien, findet der Kanzler des Bistums St. Gallen. Ein Beitrag zur Sommerserie «Katholiken und Katholikinnen erzählen von ihren Ferien».

Barbara Ludwig

Ferien bedeuten immer auch Erholung von der Arbeit. Wovon wollen Sie sich als Kanzler des Bistums St. Gallen in den kommenden Ferien erholen?

Claudius Luterbacher: Ich bin zum Glück nicht jemand, der sich total gestresst fühlt (lacht). Es ist nicht so, dass ich vor der Ferienzeit die Erholung bräuchte, weil ich kurz vor dem Umfallen bin. Meine Kräfte reichen aus, um meine Arbeit in der zur Verfügung stehenden Zeit zu erledigen. Darüber bin ich froh. Ferien ermöglichen mir aber ein Aussteigen aus einem Alltag, in dem ich täglich während vieler Stunden erreichbar bin. Ich bin an Sitzungen, nehme Abendtermine wahr und bin oft auch daheim online. In den Ferien will ich bewusst nur in Notfällen erreichbar sein.

Was verbinden Sie mit dem Wort «Ferien»?

Luterbacher: Ferien verbinde ich mit Verreisen. In meiner Kindheit und Jugendzeit verreisten wir häufig. Ferien heisst für mich, dass man die Szene wechselt. Man befasst sich mit ganz anderen Themen, trifft ganz andere Leute, befindet sich vielleicht auch geografisch woanders. Für den Szenenwechsel muss man zwar nicht unbedingt verreisen. Doch zuhause ist es schwieriger, den Ausstieg aus dem Alltag zu erreichen.

In den Ferien will ich bewusst nur in Notfällen erreichbar sein

Bringt Ihnen dieses Jahr der kommende Urlaub auch geografisch einen Szenenwechsel?

Luterbacher: Ja. Ich werde mit meiner Familie wieder nach Italien fahren. Wir werden zwei Wochen in der Toskana, einige Kilometer vom Meer entfernt, verbringen. Es sind klassische Familienferien. Wir haben kleine Kinder. Jeder Urlaub entwickelt sich automatisch zu Abenteuerferien, auch wenn man das nicht so bucht.

Was bedeuten für Sie Familienferien?

Luterbacher: Wir werden mal an den Strand gehen, mal einen Ausflug machen. Wenn es sehr heiss ist, werden wir in die toskanischen Hügel fahren oder einen kühlen Ort aufsuchen. Vielleicht mieten wir auch mal Fahrräder, fahren irgendwohin. Wirklich Kinderprogramm. Unsere vier Kinder sind zwischen neun Jahre und zehn Monate alt. Häufige und intensive Museumsbesuche sind da nicht angesagt. Das funktioniert in dieser Familienkonstellation nicht.

Also keine Kulturferien?

Luterbacher: Doch, doch! Kultur beschränkt sich ja nicht auf den Besuch von Museen. Sie hat sehr viele Facetten. Auf Kultur treffen wir, wenn wir ein Gebäude betreten, ein Bild sehen, das irgendwo hängt. Oder wenn in der Toskana ein Kleintheater abends spät ein Stück aufführt, was oft vorkommt. Kinder sind unglaublich kulturempfänglich. Mit unserer ältesten Tochter suchen wir in Italien jeweils Bibliotheken auf. Sie freut sich darauf. Kultur findet man überall. Aber man muss sie den Kindern näherbringen. Das ist eine schöne Herausforderung für uns, gerade wenn man sich in einem Fach gut auskennt. Bei mir ist es die Theologie.

Muss man sich das so vorstellen: Sie stehen mit Ihrer Familie vor einem Kunstwerk, vielleicht vor einer Kirche, dann kommen Sie in Aktion und erklären, was man hier sieht?

Luterbacher: Ja. Oder das Kind kommt in Aktion! Es ist meist spannender, wenn das Kind etwas wahrnimmt und dann sagt: «Schau mal dort! Was ist das?» Da kommt man sofort in ein Gespräch. Es ist aber nicht so, dass nur ich den Kindern Kultur erkläre. Die Kinder erklären auch mir Kultur. Durch Kinderaugen gesehen, erfährt man Kultur auf eine ganz eigene Art. Es ist ein Geben und Nehmen. Das ist etwas Wunderbares. Doch, unsere Ferien sind eindeutig auch Kulturferien. Aber wir konsultieren nicht die Liste der Museen und entscheiden uns, welche wir besuchen wollen. Das funktioniert nicht.

Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie an den kommenden Urlaub denken?

Luterbacher: Auf die warmen Abende. Dass man abends draussen sitzen kann, ohne bereits an den nächsten Tag denken zu müssen.

Die Kinder erklären auch mir Kultur

Was muss unbedingt dabei sein, wenn Sie in die Ferien gehen?

Luterbacher: Bei mir mittlerweile der Sonnenhut (lacht und zeigt auf das spärlicher werdende Haar auf seinem Kopf). Ohne diesen geht es gar nicht. Auch eine gute Lektüre gehört dazu. Und der Fotoapparat muss mit, obschon wir keine Dokumentation der besuchten Orte machen. Das ist das Faszinierende, wenn man wieder am selben Ort Urlaub macht: Das Touristenprogramm hat man relativ schnell absolviert, und dann kann man beginnen, die Gegend kennenzulernen. Den schiefen Turm von Pisa fotografieren – das hat man irgendwann hinter sich. Jetzt fotografiert man eine Katze, die auf einem Mäuerchen liegt, und freut sich daran. Ansonsten lebt der Urlaub von den Menschen, die hier sind. Auch meine Familie, die mich dann sehr fordert, wird dabei sein (lacht).

Steht die Lektüre, die Sie mitnehmen wollen, bereits fest?

Luterbacher: Ja. Ich lese übrigens immer auf Empfehlung. Ein Buch, auf das ich nun sehr gespannt bin, trägt den Titel «L’Evangile selon Pilate». Autor ist Éric-Emmanuel Schmitt. Ein guter Freund hat mir das Buch geschenkt. Dann will ich auch «Der Brenner und der liebe Gott» von Wolf Haas lesen. Ich habe keine Ahnung, worum es geht. Auch dieses Buch wurde mir empfohlen. Ganz bewusst lese ich im Urlaub irgendwelche Bücher: Es kann ein Roman sein oder klassische Literatur. Aber ich nehme immer auch etwas mit, das mit meiner beruflichen Tätigkeit zu tun hat. Dieses Mal ist es «Amoris laetitia» (Schreiben von Papst Franziskus zur Familiensynode, im April 2016 erschienen, Anm. d. Red.).

Den schiefen Turm von Pisa fotografieren – das hat man irgendwann hinter sich

Welche Rolle spielen Glaube und Religion in Ihrem Alltag?

Luterbacher: Religion ist ein Stück weit allgegenwärtig, weil ich für die katholische Kirche arbeite. Glaube ist bei mir aber auch in den Alltagsvollzug integriert. Ich glaube, ich schaffe viel aus einer Haltung als glaubender Mensch heraus, auch wenn ich ganz normale Tätigkeiten vollbringe, bei denen man sich fragen könnte: «Ist das wirklich Religionsvollzug?»

Zum Beispiel?

Luterbacher: Wenn ich an einer Strategiesitzung für Caritas St. Gallen teilnehme, dann ist das ein Stück weit Glaubensvollzug. Denn Caritas steht für den Dienst am Nächsten, an den Armen und Ausgegrenzten. Glaubensvollzug geschieht durch eine Haltung, die mein ganzes Schaffen durchdringen soll. Begegne ich meinen Mitarbeitenden oder bin ich auf einer Versammlung, ist auch das in einem gewissen Sinne Gottesdienst. Ich gehe aber auch zur Messe und feiere den Glauben gerne. Ich denke jedoch, noch deutlicher zeigt sich der Glaube in der Haltung, in der ich den Alltag lebe.

Wenn ich an einer Strategiesitzung für Caritas St. Gallen teilnehme, dann ist das ein Stück weit Glaubensvollzug

Ändert sich daran etwas, wenn Sie in den Ferien sind?

Luterbacher: Nein. Im Urlaub kann aber etwas anderes hinzukommen: Ich finde es zum Beispiel sehr spannend, an einem anderen Ort auf äussere Formen von Glauben und Religion zu treffen. Zum Beispiel in einer Kirche in der Toskana. Was mich sehr fasziniert, sind all die ehemaligen kirchlichen Gebäude. Beruflich beschäftige ich mich intensiv mit der Umnutzung von Kirchen und Klöstern. In Italien verfolgt einen das auf Schritt und Tritt. Vor einigen Jahren machten wir in Lucca die Entdeckung, dass der Wochenmarkt in einer ehemaligen Klosterkirche durchgeführt wird. Übrigens hat mich eines meiner Kinder darauf aufmerksam gemacht: «Das sieht ja aus wie eine Kirche!» Und tatsächlich: Alles war weiss übermalt, aber die Struktur des Gebäudes – ein hoher Raum, eine Apsis – entsprach einer Kirche. Es war aber nichts mehr drin, kein Altar, keine Kanzel. Vor 150 Jahren wurde das Kloster aufgehoben, die Kirche profaniert. Da trifft man plötzlich auf  Spuren von Religion. Das fasziniert mich sehr. In solchen Situationen kommt dann der Fotoapparat zum Einsatz. (bal)

 

Weitere Beiträge der Sommerserie von kath.ch:

«Ich fliege für eine Abtweihe in die USA»

«Das Jublalager ist anstrengend, macht aber Spass»

Claudius Luterbacher | © 2016 Barbara Ludwig
11. Juli 2016 | 12:47
Lesezeit: ca. 5 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!

weitere Artikel der Serie «Sommerserie 2016»

Claudius Luterbacher – Kanzler im Bistum St. Gallen

Claudius Luterbacher (37) leitet seit 1. November 2012 die Kanzlei der Diözese St. Gallen.  Der Theologe und Ökonom ist unter anderem zuständig für kirchen- und staatskirchenrechtliche Fragen. Der Ostschweizer ist verheiratet und Vater von vier Kindern.