Teilnehmende unterhalten sich im Sitzungssaal in Prag, ganz links Tatjana Disteli aus der Schweiz.
Schweiz

Zwischen Fortschritt und Angst: Abschlussdokument aus Prag veröffentlicht

Bei der der Europäischen Kontinentalversammlung in Prag forderten viele Delegierte «rasche und radikale Veränderungen». Gleichzeitig äusserten einige wenige die Befürchtung, dass Reformen die kirchliche Lehre verwässern könnten. Fast alle Delegierten widmeten sich in ihren Beiträgen dem Frauenthema. Schweizer Voten finden sich ebenfalls im Text.

Jacqueline Straub

Anfang Februar traf sich die katholische Kirche Europas in Prag. 200 Personen, davon 140 Delegierte aus 39 Ländern waren vor Ort und 269 haben sich online dazugeschaltet. Nun ist das Abschlussdokument der Europäische Kontinentalversammlung in deutscher Sprache veröffentlicht worden.

Keine Lösungen im Prager Dokument

«Das Dokument bietet keine Lösungen oder theologischen Interpretationen an», heisst es zu Beginn des 26-seitigen Abschlussdokuments. Es will einzig die von den Ortskirchen vorgebrachten Spannungsfelder festhalten. Es dürfe daher auch nicht als endgültige Position oder als «Hinweis der operativen Strategien der europäischen Kirchen» verstanden werden.

Liebe gewinnt: Aufschrift an einer Mauer.
Liebe gewinnt: Aufschrift an einer Mauer.

So wurde von vielen Delegierten der «dringende Wunsch» geäussert, etwas gegen die Ausgrenzung unterschiedlicher Gruppen in der Kirche zu unternehmen, denn viele «fühlen sich in der Kirche abgelehnt, herabgewürdigt und diskriminiert, oft leider auch zu Recht», heisst es aus der Schweiz. Und weiter: «Wir sehen die Notwendigkeit einer echten Umkehr!»

Die Gläubigen in Slowenien wünschen sich in Bezug auf das Thema LGBTQ, dass «die Kirche deutlich macht, dass nicht alles hinnehmbar ist», sagten die Delegierten des Landes. Die Kirche solle allen zuhören, «aber gleichzeitig voller Liebe die ganze Wahrheit sagen».

Die Schweizer Delegation im Livestream des synodalen Prozesses: Bischof Felix Gmür, Tatjana Disteli und Helena Jeppesen.
Die Schweizer Delegation im Livestream des synodalen Prozesses: Bischof Felix Gmür, Tatjana Disteli und Helena Jeppesen.

Fast alle Delegierten widmeten sich in ihren Beiträgen der Teilhabe von Frauen und ihrer Rolle in der Kirche. Mehrmals wurde auf die Würde aller hingewiesen, die in der gemeinsamen Taufe wurzelt. Das führe dazu, über die Rolle der Frauen in der Kirche nachzudenken.

«Die aktuelle synodale Erfahrung ist ein bedeutendes Zeichen der Hoffnung für viele und ermutigt sie bei der gemeinsamen Suche nach neuen glaubwürdigen Wegen. Dazu gehört auch die Anerkennung der Würde und der Berufung aller Getauften, besonders der Frauen», so die Schweizer Delegation, die sich zusammensetzte aus dem Basler Bischof Felix Gmür, Tatjana Disteli, Generalsekretärin der römisch-katholischen Kirche im Aargau und Helena Jeppesen von der Fastenaktion.

Frauen in Ämtern «gründlich» untersuchen

Die Delegation von Irland kritisierte, dass Frauen das Gefühl haben, ausgegrenzt und diskriminiert zu werden. Belarus betonte, «dass der Rolle der Frauen im Leben der Kirche grössere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss». Die Delegierten aus Luxemburg möchten, dass die Rolle der Frauen und deren Beteiligung auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens gestärkt werde. Der Zugang von Frauen zu geweihten Ämtern müsse «gründlich» untersucht werden. Portugal sprach davon, dass es beim Thema Frauenpriestertum «Spannungen» gebe.

Tschechien wünscht sich verheiratete Priester

Auch in Litauen ist die Beteilung von Frauen an Entscheidungsprozessen ein Thema. «Für mehrere Gruppen ist dies sogar eine Voraussetzung für eine fruchtbarere Kirche in Europa», heisst es im Abschlussdokument. Spanien sprach sich für die Förderung der Laienämter aus. Die Delegation aus Tschechien wünscht sich eine Debatte über die Weihe von verheirateten Männern.

Unter den Delegierten sei eine grosse Konvergenz spürbar gewesen: Förderung von Mitverantwortung mit gleichzeitiger Überwindung des Klerikalismus.

Kunst zu Missbrauch
Kunst zu Missbrauch

«Es gibt gravierende individuelle Fehler; zu viele Geistliche haben ihre Macht missbraucht und die Verantwortlichen, nicht zuletzt die Bischöfe, haben die Gräueltaten vertuscht. Aber es gibt auch systemische Ursachen für den Machtmissbrauch. Diese können wir nicht leugnen. Wir sind entschlossen, auf geistlichem und strukturellem Gebiet die Konsequenzen zu ziehen», heisst es aus Deutschland. Die Delegation aus Irland fordert entschiedenere Schritte, um das Problem zu lösen und Transparenz zu schaffen.

Angst vor einem Bruch mit der Tradition

Viele Delegierte forderten «rasche und radikale Veränderungen», so das Dokument. Gleichzeitig haben manche die Befürchtung, dass Reformen die kirchliche Lehre verwässern könnten und sich etwa das traditionelle Verständnis von Ehe und Familie verändere. Die Angst vor einem Bruch mit der Tradition wurde in Prag vorgebracht. So hofft die rumänische Delegation, «dass die Kirche für den Dialog mit der Welt offen ist, ohne sich der Welt anzupassen».

Der Wandel der Kirche müsse sich in konkreten Entscheidungen seitens der Kirche niederschlagen. Dabei seien die Bischöfe die Hauptakteure in diesem Wandel.

Das Abschlussdokument zeigt die Spannung zwischen Wahrheit und Barmherzigkeit, zwischen Treue zur Tradition und Erneuerung auf. Ebenso die Liturgie im Leben und die «Fähigkeit, die Mitverantwortung aller angesichts der Vielfalt der Charismen und Ämter wahrzunehmen». Als Herausforderungen werde auch der Pluralismus der Missionsverständnisse, die Ausübungsformen von Autorität in einer synodalen Kirche und die Artikulation und Entfaltung von Vielfalt und Einheit sowie die lokal-globale Dynamik gesehen.


Teilnehmende unterhalten sich im Sitzungssaal in Prag, ganz links Tatjana Disteli aus der Schweiz. | © Björn Steinz/KNA
2. Juni 2023 | 14:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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