Führung durch das Berner Münster
Schweiz

Zum Jubiläum: Dem Berner Münster aufs Dach gestiegen

Das Berner Münster feiert bis Sonntag sein 601-Jahr-Jubiläum – pandemiebedingt verspätet. Was hinter dem imposanten Bauwerk steckt, zeigt eine Führung. Die Münsterbaumeisterin Annette Loeffel steigt mit Gästen aufs Dach des prägenden Bauwerks.

Vera Rüttimann

Der Kirchturm des Berner Münsters prägt die Silhouette der Stadt Bern. Für viele Berner steht er wie kein anderes Gebäude ikonisch für die Stadt. Gegen eine Million Menschen besuchen jährlich die Kirche, in deren Kirchturm die grösste Glocke der Schweiz hängt.

Dass das Berner Münster Geburtstag hat, sehen Besuchende schon am Hauptportal. Dort steht in alter deutscher Sprache: «In dem iar nach der geburt xpi (Christi) 1421 am 11. Tag maertze ward der erste stein gelegt an dieser kilchen.» Das Jubiläum musste wegen der Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben werden.

Charakteristische Türmchen: Auf dem Dach des Berner Münsters
Charakteristische Türmchen: Auf dem Dach des Berner Münsters

Münsterbau als Ausdruck von Berns Stärke

Gross ist der Andrang vor dem Münster an diesem sonnigen Tag. Auf der Seite zum Münsterplatz stehen grosse Stellwände. Sie informieren über die Entstehungsgeschichte des Berner Münster. Hier ist zu erfahren, dass der Grundstein einst von höchsten Vertretern der weltlichen und geistlichen Macht in Bern gelegt wurde. Bauherr war der Staat Bern.

Notwendig wurde der Neubau, weil die sogenannte Leutkirche, die Vorgängerkirche des Berner Münsters, zu klein und zudem baufällig geworden war.

Der Baubeginn des Münsters war auch Ausdruck des stetig steigenden Einflusses des Stadtstaats Berns. Der römisch-deutsche König, so informiert die Tafel, besuchte Bern 1414 und bestätigte dessen politische Stellung.

1415 eroberte Bern den habsburgischen Aargau. Das Berner Münster, so die Vision der Erbauer, sollte grösser werden als die Kathedralen in der Zähringischen Schwesterstadt Freiburg im Üechtland und in Lausanne.

Annette Löffler: Die Münsterbaumeisterin führt durch das Berner Münster
Annette Löffler: Die Münsterbaumeisterin führt durch das Berner Münster

Ein Werk über Generationen

Als erstes baute man den Chor des Münsters. Auf einer der Infotafel ist dargestellt, wie das Münster Stück für Stück hochgezogen wurde. «Bis das Berner Münster in der heutigen Form stand, dauerte es Jahrhunderte», sagt Annette Loeffel. Viele Generationen, die an diesem Bauwerk gearbeitet hätten, hätten selbst nie die Vollendung des Münsters erlebt.

Die Münsterbaumeisterin führt an diesem Tag Besuchergruppen die Stahltreppe hoch, die an der Seite des Münsters angebracht wurde. Sie erfahren erstaunliche Dinge. So wurde etwa die oberste Turmspitze erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf Bestreben des neu gegründeten Münsterbauvereins im neugotischen Stil errichtet.

In schwindelnder Höhe: Annette Löffler mit einer Gruppe Besuchender auf dem Baugerüst des Berner Münsters
In schwindelnder Höhe: Annette Löffler mit einer Gruppe Besuchender auf dem Baugerüst des Berner Münsters

Aufstieg zur «Dame»

Hoch hinauf geht es nun auf der steilen Treppe. Immer wieder bleibt Annette Loeffel mit den Besucherinnen und Besuchern stehen und erklärt den Stand der Restaurierungsarbeiten. Dafür, erklärt Loeffel, sei seit 1993 die Berner Münster-Stiftung zuständig. «Wir schauen gut zu unserer Dame hier», sagt sie. 

Die Bernerin kann in diesem Münster deshalb lesen wie in einem offenen Buch. Kenntnisreich verweist sie auf Kapitelle, Türmchen und riesige Kirchenfenster. Nicht alle sind schon saniert: «Hier sieht man aufgeblätterten Sandstein. Das Fenster ist von Umwelteinflüssen beschädigt.» Früher habe man ein solches Fenster neu gebaut. Heute arbeitet restauriere man es vor Ort.

Steine: früher ersetzt, heute restauriert

So verfährt man auch mit den Steinen. «Früher hat man einen Stein nach dem anderen ersetzt. Seit zwanzig Jahren versuchen wir alle vorhandenen Steine an der Fassade zu konservieren und zu restaurieren», erklärt Annette Loeffel. Leider gebe es heute nur noch wenige Originalsteine – etwa jene im Innern und drei Fenstern des Chors.

Von blossem Auge sind unterschiedliche Farbstellen am Münster erkennbar. «Der Bau hat im Laufe der Zeit unterschiedliche Anstriche erhalten», erklärt die Münsterbaumeisterin. So sei etwa der ockerfarbene Anstich im 18. Jahrhundert draufgekommen. «Man immer versucht, das Münster ein wenig aufzuhübschen», sagt sie lachend. Der Mörtel, der für die Bauarbeiten früher schon benutzt worden sei, bestehe aus verschiedenen Sandarten, Zement, Kalk und Muschelmahlungen.

Führungen im Berner Münstergewölbe
Führungen im Berner Münstergewölbe

Zum «Estrich» des Münsters

Die Gruppe kommt nun auf der obersten Plattform des Baugerüstes an. «Ihr bekommt nun etwas zu sehen», sagt Annette Loeffel, «das ihr in keinem Kunstführer findet. Ihr werdet erfahren, wie man in einer Münsterbauhütte arbeitet.»

Es geht erst vorbei an den charakteristischen Türmchen und wuchtigen Querstreben auf dem Dach des Münsters. Gerade werden sie von der Abendsonne in ein gelbliches Licht getaucht. Weit unten auf dem Platz sind Männer in ein Kugelspiel vertieft. Vor dem Café Einstein sitzen Leute an den Tischen – wohl beim Apero. Und ganz in der Ferne sind von hier oben die Berner Alpen zu sehen.

Der Schmutz der Zeit

Weiter geht es jetzt durch eine grosse Tür. Beim Hineintreten entfährt einigen ein lautes «Ah!» und «Oh!». Wir stehen jetzt im Gewölbe des Mittelschiffs. Auch im Jubiläumsjahr wird an ihm gearbeitet. 120 Jahre nach der letzten Restaurierung sind Mitarbeitende der Münsterbauhütte daran, es umfassend zu konservieren und zu reinigen. Noch bis 2024 dauern die Arbeiten. Zu diesem Zweck wurde eigens eine Holzdecke eingezogen, die als Arbeitsplattform dient.

Das aus dem Jahr 1517 stammende Mittelschiffgewölbe mit seiner hohen Decke bietet einen imposanten Anblick. Doch es ist stark verschmutzt. An mehreren Stellen sieht man Mitarbeitende der Bauhütte auf Gerüsten stehen, auch Johanna Meier.

Johanna Meier restauriert eine Wand.
Johanna Meier restauriert eine Wand.

Mit trockenen Schwämmchen putzt sie den Schmutz der Zeit weg. Der hat unterschiedliche Ursachen, wie die Restauratorin den Gästen der Führung erklärt. «Er stammt vom Russ, der von unten aus dem Kirchenschiff hochstieg. Und natürlich auch von all den Leuten, die sich unten im Kirchenschiff im Laufe der letzten Jahrhunderte bewegten.»

Die Reformation überstanden

An der Decke des nachreformatorischen Mittelschiffgewölbes sind grosse Wappen zu erkennen. Sie wurden von damaligen Ratsherren und Repräsentanten einer immer selbstbewusster werdenden Staatsmacht in Auftrag gegeben. Die Restaurierungsarbeiten an diesen Wappen seien besonders anspruchsvoll, sagt Annette Loeffel. «Die Metallauflagen an den Wappen lösen sich langsam ab.  Immerhin haben sie 450 Jahre gehalten.»

Interessiert lauschen die Gäste der Führung. Auch Margret Pulver und ihr Mann. Sie war schon mehrfach dabei an solchen Führungen. Sie habe die Renovationsarbeiten an den verschiedenen Bauabschnitten interessiert verfolgt, sagt sie.

Auch das Thema Reformation interessiert die Bernerin. Ursprünglich, sagt sie, sei das Münster ja eine katholische Kirche gewesen. Und das sehe man an vielen Orten noch immer erstaunlich gut. Sie sagt: «Das abgebildete Jüngste Gericht am Portal des Münsters oder die vielen eindrücklichen Darstellungen von Heiligen im Chorgewölbe haben den Sturm der Reformation standgehalten.» 

Margret Pulver und ihr Mann: Kennen die Vorgeschichte des Berner Münsters
Margret Pulver und ihr Mann: Kennen die Vorgeschichte des Berner Münsters

«Jeder Tag Jubiläum»

Eine Menschentraube steht nun auch um Peter Völkle, den Betriebsleiter der Münsterbauhütte. Seit 2006 kümmert sich der Steinmetz und Steinbildhauermeister um den Erhalt des Berner Münsters. An Führungen wie heute und natürlich auch am europäischen Tagen des Denkmals im September ist Völkle ein gefragter Mann. Er parliert dann über das Bauen von Steingewölben und die Pflege von Sandsteinen und Malereien. Jeden Tag, sagt er den Gästen, freue er sich auf das Gewölbe mit seinen kostbaren Glasfenstern.

Dieser Tag mit seinen Führungen hinauf zum Münstergewölbe bezeichnet Peter Völkle als «nichts Besonderes». Der passionierte Steinmetz sagt: «Für mich ist hier im Münster jeder Tag wie ein Jubiläum.»

Hinweis: Am 15. März erscheint 80-seitiger Kunstführer zum Berner Münster mit 117 Abbildungen. ISBN 978-3-03797-798-9

Führung durch das Berner Münster | © Vera Rüttimann
11. März 2022 | 18:52
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