Gott mit Rauschebart: "Die Erschaffung Adams" von Michelangelo
Religion anders

Zürcher Philosoph: «Wir konkurrenzieren Gott durch die Maschine, und die Maschine konkurrenziert uns»

Sind Maschinen besser als wir Menschen, als Gott? Der Zürcher Psychoanalytiker und Philosoph Daniel Strassberg (68) illustriert in seinem neuen Buch «Spektakuläre Maschinen», wie Menschen im Laufe der Geschichte Maschinen bewundern und fürchten. Und warum wir mit dem Computer schimpfen, wenn er nicht funktioniert.  

Wolfgang Holz

«Siri» ist die weibliche Computerstimme von Apple. Was würden Sie «Siri» fragen, Herr Strassberg, wenn sie mal auf Ihrer Couch Platz nehmen würde?

Daniel Strassberg* (lacht): Ich glaube, ich würde sie fragen, ob sie sich wohlfühlt in ihrer Rolle.

Der Zürcher Philosoph und Psychoanalytiker Daniel Strassberg findet Maschinen sympathisch.
Der Zürcher Philosoph und Psychoanalytiker Daniel Strassberg findet Maschinen sympathisch.

Denken Sie, diese unerschütterliche gute Laune von Siri macht uns Menschen neidisch?

Strassberg: Absolut. Das ist ja das Nervige an Siri.

«Ich glaube, es gibt so etwas wie eine Funktionslust».

Was fasziniert Sie an Maschinen?

Strassberg: Ganz simpel gesagt: dass sie funktionieren. Etwas, das von selbst funktioniert, ist etwas Unglaubliches. Sigmund Freud hat jede Lust auf die Sexualität zurückgeführt. Aber ich glaube, es gibt so etwas wie eine Funktionslust, wie Karl Bühler behauptet hat. Die Lust daran, dass sich etwas von selbst bewegt.

Der Schweizer Uhrmacher Pierre Jacquet-Droz. Seine Automaten konnten schreiben, zeichnen und Orgel spielen.
Der Schweizer Uhrmacher Pierre Jacquet-Droz. Seine Automaten konnten schreiben, zeichnen und Orgel spielen.

Haben Sie eine Lieblingsmaschine oder eine Maschine, die Sie besonders fasziniert?

Strassberg: Ich mag zum Beispiel jene Automaten der Uhrmacherfamilie Jaquet-Droz aus Neuchâtel von 1774, die ich in meinem Buch beschrieben habe. Diese Automaten konnten schreiben, zeichnen und Orgel spielen. Ursprünglich als Werbeaktion für die Uhren der Manufaktur Jaquet-Droz geplant, schlugen die drei Figuren beim Publikum derart ein, dass sie bald zur Haupteinnahmequelle der Manufaktur wurden. Im Grunde sind es aber völlig zwecklose Maschinen. Gerade das fasziniert mich.

Und wie steht’s mit dem Porsche, der gerade vor Ihrem Praxisgebäude parkiert ist?

Strassberg: Da habe ich sehr ambivalente Gefühle. Eigentlich fasziniert mich dieses Auto nicht. Ein Porsche strahlt Potenz aus, ist ein Symbol von Reichtum und Macht. Ich könnte mich eher mit einem Oldtimer anfreunden – mit einem Jaguar Mark II. Den würde ich mir sofort unter den Nagel reissen.

«Der Teufel bescherte den Menschen die Technik.»

Es gibt den Ausdruck Höllenmaschinen. Existiert tatsächlich ein Zusammenhang zwischen dem Teufel und der Technik?

Strassberg: Ein gibt sogar einen sehr engen Zusammenhang zwischen Teufel und Technik. Es hat vor allem bei Goethe und während der Epoche von Sturm und Drang so richtig damit begonnen, dass in Erzählungen der Teufel mithilfe von Maschinen half, Gott Konkurrenz zu machen Der Teufel bescherte dem Menschen die Technik, was ihnen einerseits den Fortschritt ermöglichte. Andererseits entfernten sie sich dadurch von Gott. Eines der berühmtesten Beispiele ist «Die schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf.

Eine Fortbewegungsmaschine, mit der sich Daniel Strassberg anfreunden könnte. Ein Jaguar 3.4 Mk2.
Eine Fortbewegungsmaschine, mit der sich Daniel Strassberg anfreunden könnte. Ein Jaguar 3.4 Mk2.

Gibt es noch andere Beispiele für Höllenmaschinen?

Strassberg: In der Renaissance gab es siegreiche Feldherren, die sich nach gewonnener Schlacht eine Maschine bauen liessen, um ihre Macht zu demonstrieren. Das waren automatische Wagen, die dem Himmelswagen von Ezechiel in der Bibel nachempfunden waren. Einerseits zeigte die Maschine, dass der Fürst Abgesandter Gottes ist, andererseits kann er selbst Maschinen bauen, wie sie Gott sie entworfen hat. Das ist immer das Bild des Teufels: Der Teufel ist der Satan, der die Menschen grundsätzlich verführen, täuschen und von Gott wegbringen will, indem er ihnen eine Macht verleiht, die ihnen nicht zukommt. Andere Machtdemonstrationen sieht man heute etwa in den Militärparaden Nordkoreas, wo Kriegsmaschinerie vorgeführt wird.

Die Vertreibung aus dem Paradies.
Die Vertreibung aus dem Paradies.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Maschinen Affekte auslösen beim Menschen. Es gibt Menschen, die regelrecht Angst haben vor der Technik. Warum?

Strassberg: Das hat einen tiefreligiösen Hintergrund. Das ist die Vorstellung von der Hybris, die wir von der Bibel kennen. Aber auch aus der griechischen Mythologie von Prometheus her. Hybris heisst so viel wie Anmassung. Und in der Grunderzählung des Westens ist der Mensch ja erst richtig Mensch, wenn er sich gegen Gott wendet – wie bei der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies deutlich wird. Maschinen drücken seit jeher dieses Konkurrenzverhältnis des Menschen zu Gott aus. Und zwar, indem sie Leben schaffen.

«Laut Aristoteles lebt alles, was sich selbst bewegt.»

Der Teufel ist der Trickser, der Verführer: Aus Holz geschnitzte Teufelsfiguren im weltweit einzigen Teufelsmuseum in Kaunas (Litauen).
Der Teufel ist der Trickser, der Verführer: Aus Holz geschnitzte Teufelsfiguren im weltweit einzigen Teufelsmuseum in Kaunas (Litauen).

Wie meinen Sie das?

Strassberg: Laut Aristoteles lebt alles, was sich selbst bewegt. Und alles, was lebt, hat eine Seele. Das konnte zum Beispiel auch eine automatische Tempeltür sein, die unter Beweis stellte, dass der Mensch Leben geschaffen hat. Doch Leben zu schaffen ist eigentlich ein Privileg Gottes. Im Grunde unseres Herzens sind wir heute noch immer aristotelisch. Wenn wir sehen, wie sich eine Maschine von selbst bewegt, empfinden wir sie als beseelt. Sonst würden wir auch nicht mit dem Computer schimpfen, wenn er mal wieder nicht funktioniert.

Haben Maschinen eine Seele?: Sie haben auf jeden Fall einen Chip, der sie steuert.
Haben Maschinen eine Seele?: Sie haben auf jeden Fall einen Chip, der sie steuert.

In japanischen Altersheimen betreuen Roboter Seniorinnen und Senioren – was in der westlichen Welt noch verpönt ist. Haben Maschinen eine Seele?

Strassberg: Das ist die Spaltung, in der wir leben. Rein intellektuell sagen wir: Die Maschine hat keine Seele, sondern einen Chip. Aber in unserem unmittelbaren Erleben nehmen wir Maschinen eben als beseelt war. Neulich war ich beim Wandern in den Bergen, als mein Smartphone klingelte. Meine erste Reaktion war: Wie zum Teufel hat der mich gefunden? Auch ich erlebe also Maschinen als ganz unmittelbar beseelt. Und die Maschine ist eben nicht nur Partner, sondern auch Konkurrenz für den Menschen. Daraus entsteht auch Angst. Wir konkurrenzieren Gott durch den Bau von Maschinen. Aber die Maschine macht uns Konkurrenz, weil sie mindestens etwas besser machen kann als wir.

In Japan kümmern sich derartige Pflegeroboter um Senioren in Altenheimen.
In Japan kümmern sich derartige Pflegeroboter um Senioren in Altenheimen.

In Ihrem Buch kommen Sie auf den Begriff «Deus ex machina» im griechischen Theater als dramaturgischen Überraschungseffekt zu sprechen. Kann eine Maschine tatsächlich Gott imitieren, eine «imitatio dei» sein?

Strassberg: Man muss wissen, was «machina» heisst: «Machina» heisst im Griechischen nicht Maschine, sondern Trick. Ob eine Maschine Gott imitieren kann, ist nicht meine Frage. Ich analysiere als Wissenschaftler nur. Aber ich bin überzeugt, dass dies im Lauf der Geschichte sehr lange so empfunden wurde. Weil das Trickserhafte ja immer dem Teufel zugeschrieben wird. Und der Teufel ist auch eine «Imitatio dei». So, als sei er Gott. «Imitatio dei» oder «Imitatio christi» sind deshalb ambivalente Begriffe. Denn natürlich hat man immer gewusst, dass Maschinen von Menschen gemacht wurden. Will heissen: Auf moralischer Ebene müssen wir Gott nachahmen. Auf technischer Ebene dürfen wir das nicht.

Die Darstellung des Todes in der Astronomischen Uhr im Liebfrauenmünster zu Strassburg.
Die Darstellung des Todes in der Astronomischen Uhr im Liebfrauenmünster zu Strassburg.

Wie hat denn in der Historie die Religion die Technik beeinflusst und umgekehrt? In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie ein Mönch die mechanische Uhr erfunden hat, damit seine Fratres die Vigil im Kloster nicht verschlafen.

Strassberg: Es wird tatsächlich davon ausgegangen, dass die Uhr in einem Kloster erfunden wurde. Andererseits hatte die katholische Kirche grosse Vorbehalte gegen Maschinen. Und zwar weil Maschinen als Wunder erlebt wurden. Ein Wunder verkörpert etwas Aussergewöhnliches, das den Naturgesetzen widerspricht. Die mechanische Uhr widerspricht den Naturgesetzen, weil sie die Gravitationskraft aufhebt. Die Kirche hatte also grundsätzlich ein ambivalentes Verhältnis zu Wundern, die eigentlich Teil der Volksreligion waren.

Die erste astronomische Uhr, die 1353 in das Strassburger Münster eingebaut wurde, hatte sogar ein Kalendarium und zeigte die Planentenbahnen an.
Die erste astronomische Uhr, die 1353 in das Strassburger Münster eingebaut wurde, hatte sogar ein Kalendarium und zeigte die Planentenbahnen an.

Was wollen Sie damit sagen?

Strassberg: Ich will damit sagen, dass der offizielle Klerus versuchte, Wunder so stark wie möglich einzugrenzen. Gleichzeitig brauchte die Kirche aber in der Zeit der erstarkenden Nationalstaaten und Königtümer eine Propagandamaschine, um ihre Macht zu behaupten. Aus diesem Grund hat sie die mechanische Uhr usurpiert und an den Kathedralen solche Figuren und Zeitautomaten installiert – um die Gläubigen von ihrer Macht zu überzeugen. 50 Jahre nach der Erfindung der mechanischen Uhr gab es auf diese Weise kaum eine grössere Kirche, die nicht über die mechanische Uhr oder diese Automaten verfügte. Die erste astronomische Uhr, die 1353 in das Strassburger Münster eingebaut wurde, hatte sogar ein Kalendarium und zeigte die Planentenbahnen an.

«Die Maschine ahmt nun nicht nur die Bewegung, sondern auch das Bewusstsein des Menschen nach.»

Kann man sagen, dass moderne Computer die grösstmögliche Annäherung an den allmächtigen Gott bedeuten?

Strassberg: Ich weiss nicht, ob man von grösstmöglicher Annäherung sprechen kann. Wir haben heute eine andere Dimension des Lebens. Vor allem des menschlichen Lebens. Das menschliche Leben hat ja auch mit Bewusstsein und mit Denkvermögen zu tun. Und dass die Maschine nun nicht nur die Bewegung, sondern auch das Bewusstsein des Menschen nachahmt, sprich: als künstliche Intelligenz, bedeutet noch einmal einen weiteren Schritt der Verunsicherung des Menschen. Was unsere Vorstellung von der Perfektion der Technik angeht, kann man hingegen schon sagen, dass Computer der Allmacht Gottes sehr nahekommen.

Der Mensch denkt immer mehr in Algorithmen, ist Philosoph Daniel Strassberg überzeugt.
Der Mensch denkt immer mehr in Algorithmen, ist Philosoph Daniel Strassberg überzeugt.

Sie haben eine einfache und doch logisch klingende Definition von Maschinen entworfen: «Eine Maschine ist etwas Menschengemachtes, das etwas macht.» Ist das der Grund, warum Maschinen nicht wirklich göttlich sein können?

Strassberg: Diese Ambivalenz werden wir nie los. Natürlich wissen wir, dass Maschinen menschengemacht sind. Ich bin überzeugt, dass wir nicht denken, die Maschine ist Gott. Aber wir bringen uns, wie gesagt, durch die Maschine in ein Konkurrenzverhältnis zu Gott.

Sie haben am Ende Ihres Buchs geschrieben: «Wir haben gelernt, wie Maschinen zu denken. Das scheint mir nicht weniger spektakulär als ein Tempeltor zu sein, das sich wie von Zauberhand öffnet.» Könnte man nicht auch sagen: «Die Maschinen haben gelernt, wie Menschen zu denken?»

In seinem neuen Buch "Spektakuläre Maschinen" setzt sich Daniel Strassberg mit menschlichen Affekten zur Technik auseinander.
In seinem neuen Buch "Spektakuläre Maschinen" setzt sich Daniel Strassberg mit menschlichen Affekten zur Technik auseinander.

Strassberg: Das kann man so sehen. Aber ich finde es viel spektakulärer, über die Frage nachzudenken, inwieweit wir Menschen eben bereits wie Maschinen denken. In Algorithmen vor allem. Der Unterschied zum Algorithmus-Denken wäre ein Prinzipiendenken. Und man kann eben feststellen, dass der Mensch heutzutage immer öfter in «Wenn, dann»-Konstellationen denkt. Wir denken also immer mehr in Algorithmen und haben uns der Maschine angepasst. Das ist beunruhigend.

«Als ich Medizin studiert habe, lernten wir, eine Diagnose zu stellen. Heute ist das geradezu manualisiert.»

Beunruhigend, weil keine menschlichen Gefühle mehr beteiligt sind?

Strassberg: Das ist eine gute Frage. Algorithmisches Denken ergibt für mich ein rein instrumentelles Verhältnis zur Welt und zu uns selbst. Das ist für mich das Beunruhigende. Als ich Medizin studiert habe, lernten wir, eine Diagnose zu stellen: Untersuchungen anzustellen durch Befragungen und daraus dann eine Therapie abzuleiten. Heute ist das geradezu manualisiert. Nach dem Motto: Wenn dieses Symptom auftritt, dann wird das gemacht. Wenn das Resultat dann feststeht, macht man dann wieder etwas Bestimmtes. Die Medizin hat sich unglaublich gewandelt – meiner Meinung nach zum Nachteil. Weil eben ganz viel verpasst wird. Weil die besondere Geschichte des Menschen aus dem Blick fällt.

Letzte Frage: Finden Sie Maschinen sympathisch?

Strassberg: Im Grunde ja – weil sie Lust bereiten. Beziehungsweise solange sie Lust bereiten.

* Daniel Strassberg (68) ist in St. Gallen geboren und lebt als Psychiater, Psychoanalytiker und Philosoph in Zürich. Er lehrte Technikphilosophie an der ETH.

Sein neuestes Buch «Spektakuläre Maschinen: Eine Affektgeschichte der Technik» ist im Verlag «Matthias & Seitz Berlin» erschienen.


Gott mit Rauschebart: «Die Erschaffung Adams» von Michelangelo | © Pixabay CC0
20. August 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 7 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!