Der Prozessionszug
Religion anders

«Wenn die schwarze Marien-Figur in den Dreck fällt»: Kritik an «Die schwarze Spinne»

Taufe, Sünde – und Maria: Die Verfilmung von Jeremias Gotthelfs «Die schwarze Spinne» lebt auch von religiösen Motiven. Für den Germanisten Christian Zimmermann ist der Film trotzdem eine verpasste Chance.

Sarah Stutte

In der 1842 erschienenen Novelle «Die schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf geht es um den immerwährenden Kampf mit dem Bösen. Bei einem Tauffest im Berner Oberland erzählt ein Grossvater, was es mit dem geheimnisvollen Loch in einem Fensterpfosten auf sich hat.

Scheinbar wurde darin eine Spinne eingesperrt, die im Mittelalter Tod und Verderben über die ansässigen Bauern brachte, just nachdem diese sich auf einen Pakt mit dem Teufel eingelassen hatten. Knapp 200 Jahre später wird das Tier durch Leichtsinn und Übermut wieder befreit und das Unheil nimmt abermals seinen Lauf.

Wer fromm ist, besiegt das Böse

Gotthelfs Erzählung behandelt religiöse Themen und Motive: etwa die Taufe, die Sünde – und allgemein den Glauben an Gott. Wer fromm ist, besiegt das Böse. Doch die christlichen Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner verlieren ihr Gottvertrauen, als sie von einem tyrannischen Ritter vor eine unlösbare Aufgabe gestellt werden.

Der Teufel und Christine verhandeln
Der Teufel und Christine verhandeln

Dafür müssen sie einen hohen Preis bezahlen: Der Teufel, dem sein Wunsch nach einem Kindesopfer verwehrt blieb, sucht Land und Leute mit einer Plage heim. Wer diese überlebt, stirbt dafür den Märtyrer-Tod, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.

Unglücksbringerin wird zur Heldin

Auf der Leinwand ist von dieser gruseligen Düsternis fast gar nichts geblieben, weshalb auch der Denkanstoss fehlt, der Gotthelf wichtig war. Da wird die Unglücksbringerin der Novelle – Christine – zur Heldin gemacht, die allen Rückschlägen trotzt.

Christine beichtet dem Pfarrer den Teufelspakt
Christine beichtet dem Pfarrer den Teufelspakt

Der sich aufopfernde Pfarrer aus der Vorlage ist vor allem feige und will seine Gemeinde im Stich lassen. Nicht sehr oft zu sehen ist des Weiteren ein Teufel, der alles andere als furchteinflössend ist, genauso wie ein Ritter, der an einem Trauma leidet und deshalb – anders als bei Gotthelf – weder stark noch unterdrückend wahrgenommen wird.

Gefahr der Banalisierung

«Das Problem fängt schon damit an, dass sich der Film nur auf eine Binnenerzählung konzentriert und zwei wichtige Teile wegstreicht. Gotthelfs Schrift funktioniert aber einfach nur in dieser Dreierkombination, ansonsten ist die Gefahr der Banalisierung gross», sagt Christian Zimmermann. Der Germanist leitet die Forschungsstelle Jeremias Gotthelf in Bern.

Christian von Zimmermann
Christian von Zimmermann

Interessant findet er, dass Christine in der Verfilmung nicht als Fremde dargestellt werde. Oft wurde kritisiert, dass alle negativ besetzten Figuren in der Erzählung nicht Teil der Gemeinschaft seien. Irgendwann bediene dann aber auch der Film wieder dasselbe Muster: Das Fremde werde als schlecht konnotiert und das Heimische als gut.

Keine selbstbewusste Frauenrollen

Bei Gotthelf hat Christine ein konkretes Ziel vor Augen – dem Teufel ein Neugeborenes zu bringen. Im Film wirft sie das komplett über Bord, indem sie das Kind plötzlich retten will. Das findet Christian Zimmermann problematisch: «Christine wirkt als Hebamme, ihre Schwester Maria hat eigene Kinder. Für mich ist dieses leitende Motiv der Mütterlichkeit, die am Ende die Welt rettet, irritierend. Eine selbstbewusste, sich aus traditionellen Mustern lösende Rollengestaltung der Frauen im Film sähe anders aus». Zwar verbannt auch im Buch am Ende eine Mutter die Spinne im Pfosten – entscheidend für Gotthelf war aber, dass diese Person fromm war.

Maria und ihr Neugeborenes
Maria und ihr Neugeborenes

Doch der demonstrierte Glauben scheint auf der Leinwand allgemein ein wenig zu kurz geraten. Der Herrgott wird so gut wie nicht erwähnt und Beten sieht man niemanden. Erst als sich alles gegen Ende zuspitzt, finden die Dorfbewohner einmal den Weg in die Kirche – ansonsten bleibt diese seltsam leer.

Kritik an der Kirche

Christian Zimmermann erklärt sich dies so: «Der Film möchte eine gewisse Kritik an der Kirche transportieren. Er spricht heutige Konflikte an, die er in diese Mittelalterszenerie rückprojiziert. Der Pfarrer predigt darin nicht über Religion, sondern arbeitet mit abergläubischen Metaphern und Allegorien».

So spielt in Gotthelfs Geschichte beispielsweise die Taufe eine wichtige Rolle. Sie steht symbolhaft für den Schutz gegen den Teufel, weshalb dieser ein ungetauftes Kind verlangt. Ein solches zu bekommen, würde dem Bösen erst recht Tür und Tor öffnen.

Taufe wird zum Beschwörungszauber

Im Film wird die recht einfache Analogie, dass die christliche Taufe als Gegenstück eines Bundes mit dem Teufel dient, auf seltsame Art entkräftet. In einer Szene ähnelt ein Taufgeschehen einem Beschwörungszauber, in dessen Folge sich Christine wie besessen auf dem Waldboden räkelt. Wenig später ist sie, die zuvor als Hexe verschrien wurde, plötzlich legitimiert ein Kind zu taufen.

Die Bauern geben Christine die Schuld
Die Bauern geben Christine die Schuld

Gotthelf verglich die Spinnenplage mit der Pestepidemie. Regisseur Markus Fischer erklärte in Interviews, sein Film sei auch ein Corona-Statement. Das ist deswegen problematisch, weil im Mittelalter die Überzeugung der Seuche als Strafe Gottes die damalige Glaubens- und Weltsicht widerspiegelte. Auf die heutige Zeit adaptiert, hinkt dieser Vergleich.

Symbolik bereitet Kopfzerbrechen

Die Symbolik der Mariengestalt bereitet Christian Zimmermann Kopfzerbrechen. «Ich weiss nicht genau, was man damit aussagen will, wenn die schwarze Marien-Figur bei der Prozession zu Beginn in den Dreck fällt und die helle Maria als lebendige Person diejenige ist, die das Leben neu begründet», gibt er zu bedenken. Das empfindet Christian Zimmermann auch in einer anderen Filmszene als schwierig. Hier wird Christine ein Bussgang aufgezwungen, indem sie einen schweren Mahlstein mühsam-unlogisch durch das Dorf bewegt, bis hin zur schwarzen Maria. Eine Linderung bringt diese Aktion jedoch nicht mit sich.

Ein Spinnenmal prangt auf Christines Wange
Ein Spinnenmal prangt auf Christines Wange

Christian Zimmermann sagt, für Gotthelf sei Religion immer in Bewegung gewesen. «Er glaubte nicht an feste Überzeugungen, die sich durch die Jahrhunderte hindurch ziehen, sondern daran, dass jede Zeit für sich selbst eine Beziehung zur Religion und einen eigenen Glauben finden muss.» Zimmermann ist überzeugt: Gotthelf hätte im Rückblick den Glauben des Mittelalters nicht negativ dargestellt, was der Film aber durchaus tut.


Der Prozessionszug | © Ascot Elite
26. März 2022 | 05:00
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