Pfarradministrator Martin Scheibli wurde nicht zum Pfarrer gewählt.
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«Zelebrationswahn»: Darum wird Martin Scheibli nicht Pfarrer von Liebfrauen

Die Pfarrei Liebfrauen in Zürich will den Pfarradministrator Martin Scheibli nicht als Pfarrer haben. Gemeindemitglieder kritisieren seinen Umgang mit den Gläubigen und seine Art, Gottesdienste zu feiern. «Ich habe inzwischen das Gefühl, dass wir bei den Piusbrüdern sind», sagt eine Katholikin.

Jacqueline Straub

Seit 1. Januar 2023 ist Priester Martin Scheibli in der Pfarrei Liebfrauen in Zürich Pfarradministrator. Bei der Kirchgemeindeversammlung wurde er nicht zum Pfarrer gewählt – obwohl er eine grosse Fangemeinde hat. Diese stammt mehrheitlich nicht aus der Liebfrauen-Pfarrei.

Teilnehmende an der Versammlung sprechen von chaotischen Zuständen, die sich an diesem Abend abgespielt haben: Anhänger des Priesters gingen auf andere Gemeindemitglieder los. «Einer hatte ein Kreuz in der Hand, mit dem er fuchtelte. Ein anderer ging zweimal auf ein sprechendes Gemeindemitglied zu und schrie: ‘Gehen Sie beichten, beichten, beichten.’» Und verlangte, dass die Kirche sich nicht verändern dürfe. Das bestätigen mehrere Personen gegenüber kath.ch.

Die Katholische Liebfrauenkirche in Zürich
Die Katholische Liebfrauenkirche in Zürich

Die jetzigen Schwierigkeiten in der Pfarrei Liebfrauen seien älteren Ursprungs, sagt ein Kirchenmitglied, das sich seit über 30 Jahren in der Pfarrei engagiert. Sie lägen unter anderem in der mangelhaften Führung und Kommunikation der Kirchgemeinde.

Probleme schon vor Martin Scheibli

Er nennt zum einen finanzielle Ungereimtheiten des vorherigen Pfarrers, in Zusammenhang mit Krankheit und dem Bezug einer Invalidenrente. Aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen will Thomas Boutellier, Informationsbeauftragter des Generalvikariats des Bistums Chur, dazu nichts sagen.

«Generalvikar Luis Varandas versuchte alles unter den Teppich zu schieben», so das Kirchenmitglied. Schlussendlich wurde der Pfarrer entlassen – und Martin Scheibli wurde als Pfarradministrator eingesetzt. «Keiner wusste davon. Er war einfach eines Tages da.» Da der Generalvikar derzeit in den Ferien weilt, will sein Sprecher, Thomas Boutellier, dazu keine Stellung abgeben.

Generalvikar Luis Varandas
Generalvikar Luis Varandas

Noch vor Scheiblis Kommen kam es zu einer unrechtmässigen Kündigung eines Sakristans. Diese kostete die Kirchgemeinde mindestens 30’000 Franken. Das Arbeitsgericht gab dem Kirchenangestellten recht. Denn es gab keine regelmässigen Mitarbeitergespräche, keine Protokolle, keine Beurteilungen, keine korrekten Verwarnungen.

Martin Scheibli, ehemaliger Banker, wurde von allen von kath.ch befragten Personen zu Beginn als sympathisch wahrgenommen. «Er kann gut organisieren und weiss, wie man einen Betrieb auf Vordermann bringt», sagt ein Katholik. «Schnell stellte sich aber heraus, dass Scheibli die Kirchengemeinde mit seinen Leuten infiltriert.» So sitzen heute Personen nach «seinem Gusto» in der Kirchenpflege und der Katechese.

Viele neue Anstellungen

«Seit seinem Amtsantritt vor 15 Monaten waren viele Personalwechsel zu verzeichnen. Die neue Leitungsassistentin, der neue Vikar, der neue priesterliche Mitarbeiter, die zwei neuen Katechetinnen, der neue Sakristan und die neue Personalbeauftragte der Kirchenpflege sind seine Gesinnungsfreunde», so ein anderes Gemeindemitglied.

Ein anderer Katholik, der ebenfalls bei der Kirchgemeindeversammlung war, sieht in der Nicht-Wahl von Scheibli einen Kommunikationsfehler der Kirchenpflege. Diese habe zu spät transparent über die Pfarrersuche und die Wahl informiert. Die Versammlung sei nicht gut geführt worden, und es wurden Fehler sichtbar.

Gute Führungsqualitäten

«Etwa wurde dort bekannt gegeben, dass eine Pfarrwahlkommission eingesetzt worden war. Niemand in der Kirchgemeinde wusste davon.» Andere Kandidaten wurden nicht präsentiert. Scheibli soll auf Fragen ausweichend reagiert haben. «Ich denke, dass ihm das alles zum Verhängnis wurde.» Der Katholik spricht dem Priester gute Führungsqualitäten zu. Dennoch spüre er, dass er in Liebfrauen mehr polarisiert als integriert.

Das bestätigen Stimmen von regelmässigen Kirchgängerinnen und Kirchgängern: Einer von ihnen, der bis kurzem jeden Sonntag den Gottesdienst in Liebfrauen besuchte, hat den spät berufenen Martin Scheibli als sehr konservativ und wenig dialogbereit erlebt. Er stört sich insbesondere an seiner klerikalen Art.

Weihrauchgefäss
Weihrauchgefäss

Als Beispiel führt er an, dass der Priester nicht einmal selbst das Gesangbuch im Gottesdienst aufschlage, sondern hierfür einen Ministranten beauftrage. Die Predigten seien wenig ansprechend und abwechslungsreich. Die Gottesdienste würden nicht auf die Mitfeiernden ausgerichtet. So gehe er etwa bei Familiengottesdiensten kaum auf die anwesenden Kinder ein.

Bei einer Taufe habe der Priester einem dreijährigen Kind gesagt, es werde nun von der Erbsünde reingewaschen, erzählt eine Frau, die dabei war. Dann habe er im Chorraum das Messgewand aus und einen Chormantel angezogen, die Allerheiligen-Litanei gesungen und schliesslich den Exorzismus gebetet. «Ich habe inzwischen das Gefühl, dass wir bei den Piusbrüdern sind», sagt sie und ergänzt mit trauriger Stimme: «Ich habe meine Heimat verloren.» Sie kenne viele Gläubige, die inzwischen nicht mehr in diese Kirche kommen.

Tridentinische Messe der Piusbruderschaft in Stuttgart.
Tridentinische Messe der Piusbruderschaft in Stuttgart.

Oder sie mitten im Gottesdienst verlassen. Wie etwa ein Ordensbruder, der während einer Predigt von Martin Scheibli die Kirche verliess. Scheibli predigte, dass die Frau dem Mann Untertan sei. Dies sei wahres Wort Gottes und das müsse akzeptiert werden. Einige Kirchmitglieder kritisieren gegenüber kath.ch, dass Scheibli theologisches Wissen fehle.

Vorkonziliare Tendenz

«Jeden Sonntag wird es befremdlicher», sagt eine seit Jahrzehnten in Liebfrauen ehrenamtlich engagierte Katholikin. Martin Scheibli habe «ganz subtil» Altbewährtes im Gottesdienst abgeschafft und Neues eingeführt – das allerdings rückwärtsgewandt und vorkonziliar sei.

Lektorinnen und Lektoren dürfen bei der Messe erst den Altarraum betreten, wenn der Priester sich nach dem Trinken aus dem Kelch den Mund abgeputzt hat. Er begründete es ihnen gegenüber damit, dass es sonst das Ambiente stören würde. «Er hat einen Zelebrationswahn», urteilt die Katholikin. «Wir sind nur seine Statisten. Das Volk bezieht er nicht ein.»

Traditionalistischer Touch

So kaufte er neue Messegewänder, Weihrauchkessel und Buchhüllen – alles mit «traditionalistischen Touch». Die bisherigen Gewänder entsorgte er, so die Katholikin. Ministranten tragen inzwischen keine weisse Albe mehr, sondern einen roten Talar und ein Chorhemd mit Spitzen. «Der Altarraum ist nun völlig reaktionär.»

Laut Kirchenrecht hat ein Pfarradministrator kommissarische Aufgaben eines Pfarrers. Sofern er keine Auflagen vom Bistum erhalten hat, hat er die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Pfarrer. Allerdings darf er nichts tun, was «ein Schaden für das pfarrliche Vermögen sein könnte».

Mundkommunion (Archivbild)
Mundkommunion (Archivbild)

Eine Stimme aus dem Kirchenchor fragt sich, wie lange es noch dauern wird, bis er den Gottesdienst in vorkonziliarer Form zelebriert. Manche Sängerinnen und Sänger überlegten gar den Kirchenchor wegen Scheibli zu verlassen. Auffallend sei gewesen, dass mit Martin Scheibli als Pfarradministrator plötzlich ganz andere Gläubige von ausserhalb der Pfarrei in die Kirche kamen. «Es wird vermehrt die Mundkommunion verteilt.»

Spielgruppe abgeschafft

Ein anderes Mitglied der Pfarrei wurde von Martin Scheibli vor den Kopf gestossen, als der Priester plötzlich die Spielgruppe der Pfarrei Liebfrauen schloss, welche zehn Jahre Bestand hatte und florierte. Der Vater versuchte mit anderen Eltern die Spielgruppe am Leben zu erhalten. «Erst waren es rechtliche Gründe, dann sagte Martin Scheibli, dass er den Raum für eine Herrengruppe brauche, dann, dass er mit den Spielgruppenleiterinnen nicht zusammenarbeiten könne, weil sie zu weltlich seien und nichts vom Katholizismus verstünden. Dann war sie ihm wieder zu teuer.»

Tanzende Kinder
Tanzende Kinder

All diese Probleme hätten gelöst werden können. Konkrete und konstruktive Vorschläge lägen auf dem Tisch, so der Familienvater. «Generell war dem Priester die Gruppe zu wenig religiös.» Dies bestätigt auch ein anderes Elternteil. Der Katholik beklagt, dass er und seine Familie die Heimat in Liebfrauen verlieren würden. Er habe sich nun aus der Pfarrei zurückgezogen.

Reklamationen bei Bischof Joseph Bonnemain

Inzwischen ist das Problem Liebfrauen beim Bischof in Chur deponiert – aber wohl noch nicht richtig angekommen. Eine Katholikin habe bei einer Begegnung Bischof Joseph Maria Bonnemain darauf angesprochen, warum er Scheibli in die Pfarrei gebracht habe. Er habe ihr geantwortet, dass er viele Reklamationen erhalte, aber nicht daran Schuld sei. Für die Stellenbesetzung ist das Generalvikariat Zürich zuständig.

Offensichtlich hat Bischof Joseph Maria Bonnemain bislang keinen Handlungsbedarf gesehen. Sollte ein solcher bestehen, treffe er entsprechende Vorkehrungen, so Nicole Büchel, Kommunikationsbeauftragte des Bistums Chur. «Dies aber immer unter Einbezug der regionalen Generalvikariate und der staatskirchlichen, lokalen und kantonalen Behörden.» Mehr könne zum aktuellen Fall nicht gesagt werden.

Die Namen der Personen sind der Redaktion bekannt.

Martin Scheibli durfte gegenüber kath.ch keine Auskunft geben.

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Pfarradministrator Martin Scheibli wurde nicht zum Pfarrer gewählt. | © zVg Liebfrauen
3. Mai 2024 | 05:00
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