In Näfels kracht es seit längerem. Kirchgemeindeversammlung am 10. Juni 2022
Schweiz

Zeitenwende in Näfels: Das Stimmvolk straft den Kirchenrat ab und fordert Neuanfang

Die Kirchgemeinde St. Hilarius in Näfels will nach Monaten des Streits einen Neuanfang. An der Kirchgemeindeversammlung vom Freitag wählten 124 Stimmberechtigte einen neuen Kirchenrat. Erstmals in geheimer Wahl. Fast alle bisherigen wurden abgewählt.

Wolfgang Holz

Schlange stehen, um in ein Gotteshaus zu gelangen? Das gibt es nicht. Gibt es doch. Wer am Freitagabend an der Kirchgemeindeversammlung in St. Hilarius teilnehmen wollte, brauchte erstmal Geduld. Grund: Am Kirchenportal mussten sich die Stimmberechtigten registrieren lassen und bekamen vom Sakristan vier Stimmzettel ausgehändigt. Ein neuer Kirchenrat sollte gewählt werden. In geheimer und demokratischer Wahl. Ein absolutes Novum in Näfels. «Das hat es noch nie in der Geschichte gegeben», meinte eine Frau vor der Kirche.

Stimmberechtigte stehen Schlange vor Kirche von Näfels, um zur Kirchgemeindeversammlung zugelassen zu werden.
Stimmberechtigte stehen Schlange vor Kirche von Näfels, um zur Kirchgemeindeversammlung zugelassen zu werden.

Während Gleitschirmflieger, hinter der Kirche sichtbar, in den letzten Strahlen der Abendsonne vom Fronalpstock beschaulich ins Tal segelten, bahnte sich also Dramatisches hinter den Mauern der Kirche an. Die Kirchgemeindeversamnmlung konnte wegen des Wahlprozederes sogar erst mit elfminütiger Verspätung beginnen.

«Ich komme heute hierher, um die Kirchgemeinde zu retten.»

Ein Stimmberechtigter

«Ich komme heute hierher, um die Kirchgemeinde zu retten», versicherte ein Stimmberechtigter in der Schlange. Wie da in den letzten 20 Jahren im Kirchenrat verfahren worden sei, sei indiskutabel. «Es ist höchste Zeit für solche Wahlen. In der katholischen Kirche werden Konflikte einfach immer viel zu lange unter dem Deckel gehalten.» Ein anderer Besucher gab sich moderater: «Man weiss einfach nicht genau, was sich hinter dem Konflikt verbirgt, wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte.»

Die Stimmberechtigten werden registriert. Kirchgemeindeversammlung in Näfels am 10. Juni 2022.
Die Stimmberechtigten werden registriert. Kirchgemeindeversammlung in Näfels am 10. Juni 2022.

Erinnern wir uns: Anfang April liess sich der Pfarradministrator Stanislaw Weglarzy in einer ausserordentlichen Kirchgemeindeversammlung zum Pfarrer wählen. Zuvor war Kirchenratspräsidentin Daniela Gallati vom Kirchenrat das Vertrauen entzogen und entmachtet.

Auch ehemaliger Pfarrer im Clinch mit Kirchenrat

Nach Aussagen von Kirchgemeindemitgliedern konnten es beide nicht im täglichen Umgang miteinander. Der Pfarradministrator fühlte sich von der langjährig aktiven und angesehenen Kirchenratspräsidentin «kontrolliert». Andererseits hatte sich der tschechisch stämmige Geistliche, der schon 23 Jahren in der Schweiz arbeitet, übergriffig in das politische Geschehen eingemischt.

Indes: Auch der Vorgänger von Weglarzy, Pfarrer Kurt Vogt, jetzt in Schwyz tätig, kam mit dem Kirchenrat in Näfels übers Kreuz und verliess die Kirchgemeinde. Der 59-Jährige war ebenfalls kurze Zeit Pfarradministrator, verzichtete aber darauf, zum Pfarrer gewählt zu werden. Auch er hatte heftig die Zusammenarbeit mit dem Kirchenrat kritisiert.

Illegale Pfarrwahl in April

Aus Sicht der Glarner Landeskirche, des Bistums Chur und der Kirchenratspräsidentin von Näfels, Daniela Gallati, handelte es sich im April jedenfalls um eine illegale Versammlung und damit auch um eine illegale Pfarrwahl. Der Bischof hat dem Pfarradministrator noch nicht die Bewilligung erteilt, wahlfähig zu sein. Dabei ist Stanislaw Weglarzy, seit Herbst 2021 Seelsorger in der Kirchgemeinde, sehr beliebt: «Seine Messen und seine Beerdigungsfeiern sind sehr geschätzt bei den Gläubigen in Näfels», lässt ein katholisches Gemeindemitglied wissen.

«Näfels ist auf dem Tiefpunkt seiner 600-jährigen Kirchengeschichte.»

Fridolin Hauser, Ad-hoc-Komitee «Kirchgemeinde was nun?»

«Näfels ist auf dem Tiefpunkt seiner 600-jährigen Kirchengeschichte, ich hoffe, wir bekommen nun wieder etwas Ruhe in der Gemeinde», sagte Fridolin Hauser vom Ad-hoc-Komitee «Kirchgemeinde was nun?» vor der Kirchgemeindeversammlung. Dieses Komitee hatte versucht, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln und die Beteiligten des Kirchenknatschs in Näfels zu einem internen Gespräch zu bewegen.

Das Gespräch ist nicht zustande gekommen. Dafür reichte das Komitee einen Antrag ein auf geheime und demokratische Wahlen des neuen Kirchenrats. Die Kirchgemeindeversammlung segnete dieses Vorgehen am Freitagabend ab.

Kirchgemeindeversammlung in Näfels am 10. Juni 2022
Kirchgemeindeversammlung in Näfels am 10. Juni 2022

Viele Kandidaten

Rot, gelb, blau, weiss – in diesen Farben durften die 124 Stimmberechtigten dann also ihr Votum für einen der Kandidatinnen und Kandidaten abgeben, die sich für das Präsidium, die Finanzverwaltung, die Revisorenstelle und die drei übrigen Kirchenratsämter meldeten. Diese wurden per Zuruf Daniela Gallati, der amtierenden Kirchenratspräsidentin, mitgeteilt. Für sie war es die letzte Kirchgemeindeversammlung, da sie per Ende Juni ihr Amt niederlegt.

Die Wahlurne für die geheime Wahl geht herum: Kirchgemeindeversammlung Näfels am 10. Juni 2022.
Die Wahlurne für die geheime Wahl geht herum: Kirchgemeindeversammlung Näfels am 10. Juni 2022.

Allein für das Kirchenratspräsidium kandidierten neben dem bisherigen Vize zwei weitere Kandidaten. Für die Finanzverwaltung traten zwei Kandidaten gegeneinander an. Die Revisorenstelle wird weiterhin von einer Treuhandgesellschaft gemanagt. Für die übrigen Kirchenratsämter bewarben sich sage und schreibe sechs Personen. «Das ist wirklich überraschend, dass sich so viele gemeldet haben», meinte eine Frau beim Wahl-Smalltalk vor der Kirche. Quasi eine Revolution des Kirchenvolks.

Gesittete Versammlung

Wer erwartet hatte, dass es wie es bei der letzten Kirchgemeindeversammlung April erneut zu heftigen und teils wüsten Wortgefechten kommen würde, sah sich getäuscht. Nachdem die Wahlvorschläge gemacht worden waren, gingen die Stimmzähler mit mobilen Urnen durch die Kirchenbänke, um die Stimmzettel einzusammeln. Nach den Stimmauszählungen, die in einem Nebengebäude erfolgten, läutete Daniela Gallati jeweils mit einem Glöckchen. Alles verlief ruhig und friedlich.

Fast alle bisherigen abgewählt

Umso grösser war dann die Überraschung. Denn fast sämtliche Mitglieder des bisherigen Kirchenrats, die sich wieder hatten aufstellen lassen, wurden abgewählt. Einzig Urs Schweikert wurde im Amt bestätigt. Der neue Kirchenratspräsident heisst Martin Laupper, seines Zeichens früherer Gemeindepräsident von Glarus Nord. Er erhielt 84 Stimmen. Der neue Finanzverwalter ist Peter Müller, ehemaliger Finanzverwalter der Gemeinde, mit 72 Stimmen. Für die übrigen drei Kirchenratsposten wurden Urs Schweikert mit 82 Stimmen sowie Rita Müller-Gabrielli mit 81 Stimmen und Camilla Schirmer mit 62 Stimmen gewählt. «Das ist schön, jetzt haben wir zwei Frauen im Kirchenrat», freute sich Fridolin Hauser vom Ad-hoc-Komitee.

Martin Laupper, zurückgetretener Kirchenratspräsident in Glarus
Martin Laupper, zurückgetretener Kirchenratspräsident in Glarus

Stanislaw Weglarzy akzeptiert die Wahl

Auch Stanislaw Weglarzy, der ganz vorne in den Kirchenbänken sass und das Geschehen verfolgte, zeigte sich erleichtert über die Wahl. «Ich akzeptiere immer das demokratische Votum des Kirchenvolks, ich schätze das sehr. Denn so etwas gibt es bei uns in Tschechien nicht.» Als Pfarrer gewählt ist er allerdings nach wie vor nicht. Die Pfarrwahl war bekanntlich nicht traktandiert. Sie soll nun im Herbst über die Bühne gehen.

Applaus für Daniela Gallati

Und wie geht’s Daniela Gallati, der scheidenden Kirchenratspräsidentin nach dieser aussergewöhnlichen Wahl? Fühlt sie sich rehabilitiert? Sie beantwortet die Frage nicht. Sie lächelt. «Ich fühle mich wohl», sagt sie gegenüber kath.ch. In ihrer Abschiedsrede ans Kirchenvolk gibt sie sich offen. «Mir ist in meiner Amtszeit einiges gelungen – ich war aber sicher nicht fehlerfrei.» Sagte es und bedankte sich für das Vertrauen. Ein warmer Applaus erschallte. 

In einem Antrag des Ad-hoc-Komitees wurde am Ende der Kirchgemeindeversammlung noch gefordert, künftig solche Versammlungen nicht mehr im Gotteshaus abzuhalten. «Ich habe dem Pfarrer gesagt, er müsse erst mal das Gebäude frisch aussegnen, nach all dem, was hier vorgefallen ist», zeigte sich ein Kirchgänger konform mit diesem Wunsch.


In Näfels kracht es seit längerem. Kirchgemeindeversammlung am 10. Juni 2022 | © Wolfgang Holz
11. Juni 2022 | 13:04
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!