Blick von zerstörtem Kirchturm im Irak.
Schweiz

«Wo Menschenrechte nicht respektiert werden, leiden alle Religionsgruppen»

Luzern, 24.11.18 (kath.ch) Am Donnerstag hat das internationale katholische Hilfswerk «Kirche in Not» den jüngsten Bericht «Religionsfreiheit weltweit» vorgestellt. Der zweijährlich vorgelegte Bericht umfasst den Zeitraum von Juni 2016 bis Juni 2018. Im Interview erläutert Roberto Simona, Islamexperte bei Kirche in Not Schweiz, welche Ursachen es für die insgesamt negative und einzelne positive Entwicklungen gibt.

Sylvia Stam

Der Bericht stellt insgesamt eine Verschlechterung der Religionsfreiheit weltweit fest. Was für Ursachen gibt es hierfür?

Roberto Simona: Mehr als vier Milliarden Menschen leben in einer Situation, in der die Religions- und Gewissensfreiheit nicht gewährleistet ist, sie werden also diskriminiert oder verfolgt. Ursachen sind einerseits Krieg, wie beispielweise im Jemen. Dann gibt es Länder, in denen Diktaturen herrschen, andere leiden unter grosser Armut oder fundamentalistische Gruppen halten die Bevölkerung unter Kontrolle.

«Als Minderheit werden Christen oft diskriminiert.»

Man hört oft, in christlich geprägten Ländern sei die Religionsfreiheit besser gewährleistet als in muslimisch geprägten Ländern. Bestätigt der Bericht solche Aussagen?

Simona: Mit solchen Etikettierungen muss man aufpassen. Was bedeutet heutzutage «christlich geprägte Länder»? Auch in Europa und Amerika verlieren wichtige Werte wie Gerechtigkeit immer mehr an Bedeutung. Solche Entwicklungen könnten in Zukunft auch die Religionsfreiheit betreffen.

Sind Christen insgesamt mehr von Verfolgung und Diskriminierung betroffen als Angehörige anderer Religionen?

Simona: Wenn Christen in einem Land in der Minderheit sind, werden sie tatsächlich oft diskriminiert und verfolgt. Man muss aber vorsichtig sein mit Pauschalisierungen. Im Irak gab es vor 2002 mehr als 1,7 Millionen Christen, heute sind es noch etwa 150’000. Diese Religionsgruppe wurde also wirklich verfolgt. Die Mehrheit der Iraker sind allerdings Muslime, und auch sie wurden angegriffen. Solche Vergleiche sind daher gefährlich. Wo Menschenrechte nicht respektiert werden, leiden alle Religionsgruppen.

Der Bericht zeigt für Syrien und Irak eine positive Entwicklung.

Simona: Positiv insofern, als der Genozid im Irak gestoppt ist. Ursache dafür ist der Rückzug des «Islamischen Staats». Dennoch ist die Situation nach wie vor dramatisch. Die Menschen kehren in zerstörte Dörfer zurück. Sie haben immer noch Angst, dass Einzelne oder Familien angegriffen werden. Diese Spannung ist geblieben. Auch besteht das Risiko, dass ein neuer Krieg ausbricht. In der irakischen Verfassung steht, der Islam sei die Religion des Landes. Was bedeutet das für Menschen, die keine Muslime sind?

Welche Entwicklung zeigt der Bericht für Europa?

Simona: Europa ist durch die Migrationsbewegungen stark herausgefordert. Nehmen wir Italien: Die heutige Regierung sagt, diese Menschen gehörten nicht zur italienischen Kultur. Es wäre eine Chance, alles Ermessliche zu tun, damit diese Menschen jene Werte schätzen und verstehen lernen, die Europa zu einem wichtigen und weltweit beachteten Kontinent gemacht haben.

«Es ist wichtig, jedem Menschen mit Respekt zu begegnen.»

Es war ein langer Prozess, der in den Ländern Europas zu der Freiheit geführt hat, wie wir sie heute kennen. Um solche Werte weitergeben zu können, ist es wichtig, jeden Menschen, dem wir begegnen, zu respektieren.

Der Bericht stellt eine Zunahme von Islamophobie für Europa fest. Gilt das auch für die Schweiz?

Simona: Nein, das würde ich nicht sagen. Es gab Episoden, die gewisse Leute irritiert haben und die zum Nachdenken darüber angeregt haben, dass es in der Bevölkerung Veränderungen gibt. Beispielsweise als zwei muslimische Schüler einer Lehrerin den Handschlag verweigerten. Aber ich würde nicht sagen, dass die Islamophobie insgesamt zugenommen hat. Es gibt in der Schweiz verschiedene Gruppierungen, kirchliche und muslimische, die darauf hinarbeiten, dass eine solche Entwicklung in der Schweiz nicht geschieht.


Blick von zerstörtem Kirchturm im Irak. | © KNA
24. November 2018 | 11:08
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Bericht «Religionsfreiheit weltweit 2018»

Der Bericht 2018 analysiert die Situation der Religionsfreiheit in 196 Ländern. In 38 davon werde die Religionsfreiheit systematisch verletzt, was sich in Diskriminierung und Verfolgung zeige. Im Vergleich mit 2016 habe sich die Lage in 18 von diesen 38 Ländern verschlechtert. Dazu gehörten China, Niger oder die Türkei. In weiteren 18 Ländern sei die auch 2016 sehr alarmierende Situation vergleichbar geblieben, so in Saudi-Arabien, Sudan oder Vietnam. Nur für Syrien und den Irak hält der Bericht eine positive Entwicklung fest.

In Europa, Amerika und Australien, wo die Religionsfreiheit gewährleistet sei, macht der Bericht auf die gegenwärtige Islamfeindlichkeit aufmerksam. Der Bericht will insgesamt auf die Gefahr von Gleichgültigkeit gegenüber der Missachtung von Religionsfreiheit aufmerksam machen, heisst es in der Einleitung. (sys)