Hält das Postkarten-Manifest in den Händen: André Bachmann, Kirchenrat der katholischen Kirche der Stadt Luzern und Mitorganisator der Kundgebung.
Schweiz

«Wir stehen hin für eine offene, glaubwürdige Kirche»: Manifest vor Luzerner Synode

Ein Manifest bei Gipfeli und Kaffee: So formierte sich am Mittwochmorgen in aller Früh auf dem Franziskanerplatz in Luzern der Kirchenprotest für «eine offene und glaubwürdige Kirche». Dem Aufruf der katholischen Kirche der Stadt Luzern waren rund 250 Kirchenvertreterinnen und -vertreter sowie Gläubige gefolgt. Unmittelbar vor der Herbstsession der Synode wollten sie dem Parlament den Rücken für mutige Entscheidungen stärken.

Wolfgang Holz

Die Schlange vor der ambulanten Kaffeebar an der Franziskanerkirche war lang. Verständlicherweise. Bei den morgendlich frischen Temperaturen wollten sich viele mit einem heissen Getränk aufwärmen. Denn das angekündigte Mahnfeuer war aus feuerpolizeilichen Gründen von den Behörden nicht genehmigt worden. Dafür gabs reichlich Gipfeli – denn die Veranstalter hatten mit 400 Teilnehmerinnen und -teilnehmern gerechnet.

Lebhaft diskutiert

Ganz so viele waren es dann nicht – was dem kirchlichen Protest-Happening aber überhaupt keinen Abbruch tat. Im Gegenteil. Rund 250 Personen waren zur Kundgebung und Übergabe des Manifests von Luzern auf dem Franziskanerplatz erschienen. Sie diskutierten lebhaft und engagiert in kleinen Grüppchen.

Zahlreiche Personen erschienen zur Manifest-Kundgebung auf dem Franziskanerplatz, Luzern.
Zahlreiche Personen erschienen zur Manifest-Kundgebung auf dem Franziskanerplatz, Luzern.

«Ich erwarte mir von der Veranstaltung, dass es jetzt einen Schritt in die richtige Richtung geht und Missbrauchsfälle künftig strafrechtlich geahndet werden können», meinte ein Synodenmitglied. Eine Luzerner Psychotherapeutin in der Kaffeeschlange forderte, dass der Zölibat endlich abgeschafft wird. «Zu mir in die Praxis kommen immer wieder Priester, die unter dem Zölibat leiden.»

Franz Zemp, Pastoralraumleiter der Pfarreien Sempach/Eich
Franz Zemp, Pastoralraumleiter der Pfarreien Sempach/Eich

Endlich Gerechtigkeit für Missbrauchsopfer

Das Manifest von Luzern, das dringend nötige Kirchenreformen einfordert, unterstützt unter anderem die von der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) formulierten Massnahmen zur Bekämpfung und strafrechtlichen Verurteilung von Missbrauchsfällen. Missbrauchsbetroffene sollen endlich Gerechtigkeit erfahren. Und nicht nur das. Die Kirche soll sich strukturell und kulturell verändern. Menschenwürde und Transparenz seien angesagt. Die Gleichstellung von Mann und Frau ebenfalls.

Postkarten an den Bischof

Das Manifest wurde in Gestalt von Postkarten an die Anwesenden der Kundgebung verteilt. Die frei frankierten Postkarten sind an Bischof Felix Gmür vom Bistum Basel adressiert. Auf die Rückseite kann man persönliche Bemerkungen an den Bischof hinzufügen. «Ich würde schreiben: Lieber Bischof, sei mutig», sagte Franz Zemp, Pastoralraumleiter der Luzerner Pfarreien in Sempach und Eich, gegenüber kath.ch.

Bischof Felix Gmür bekommt demnächst viel Post: Das Postkarten-Manifest.
Bischof Felix Gmür bekommt demnächst viel Post: Das Postkarten-Manifest.

«Reformen in der Kirche sind überfällig. Seid mutig bei Euren Entscheidungen heute, wir stehen hinter Euch.»

André Bachmann, Kirchenrat der Katholischen Kirche Stadt Luzern

André Bachmann, Kirchenrat der Katholischen Kirche Stadt Luzern und Mitorganisator der Kundgebung, zeigte sich optimistisch. In einer kurzen Ansprache an die Versammelten vor dem Brunnen auf dem Franziskanerplatz rief er die anwesenden Synodenmitglieder auf: «Reformen in der Kirche sind überfällig. Seid mutig bei Euren Entscheidungen heute, wir stehen hinter Euch», sagte er. Gleichzeitig wünschte er sich, dass alle Synodenmitglieder einstimmig die dringliche Motion zum Manifest im Parlament der Landeskirche verabschieden.

Das Reussufer in Luzern.
Das Reussufer in Luzern.

Die Synode ist das Parlament und damit die Legislative der katholischen Kirche im Kanton Luzern. Sie besteht aus 100 Mitgliedern, die in der Regel zweimal jährlich zusammentreten ­– wie an diesem Mittwoch, 8. November, in Gestalt der Herbstsession im Luzerner Regierungsgebäude.

Gelder wohl nicht sperren

Bachmann ging allerdings gegenüber kath.ch nicht davon aus, dass die Synode Gelder ans Bistum sperren werde, wenn die geforderten Reformen nicht umgesetzt werden. «Ich denke, wenn man Gelder wegnimmt, können Mitarbeitende ja auch nicht an Reformen arbeiten.»

Sollte die Synode tatsächlich keine Gelder ans Bistum sperren – so wie das 14 «Rebellengemeinden» im Luzernischen mit eingenommenen Kirchensteuern derzeit praktizieren, um die Flut der Kirchenaustritte einzudämmen –, könnte dies zu Unmut in den besagten Kirchgemeinden führen.

«Es braucht Taten, Worte alleine genügen nicht mehr.»

Monika Koller Schinca, Kirchenratspräsidentin Adligenswil
Durchs Spalier zur Synode: Synodalratspräsidentin Annegreth Bienz-Geisseler (links)
Durchs Spalier zur Synode: Synodalratspräsidentin Annegreth Bienz-Geisseler (links)

Denn wie die ebenfalls auf der Kundgebung anwesende Kirchenratspräsidentin Monika Koller Schinca aus der Kirchgemeinde Adligenswil klar machte, erwarte sie von der Synode, dass Gelder gesperrt werden: «Es braucht Taten, Worte alleine genügen nicht mehr.» Nur das Sperren von Geldern ans Bistum habe dazu geführt, dass man die Flut von Kirchenaustritten habe reduzieren können. «Wir hatten in einem Monat mehr Personen, die der Kirche den Rücken zugekehrt haben, als in einem ganzen Jahr.»

Durchs Spalier der Protestierenden

Doch bevor die Synode ihre Tätigkeit an diesem Mittwoch aufnahm, wurde noch ein Gottesdienst in der Jesuitenkirche gefeiert. In der Messe wurden die Missbrauchsfälle ebenfalls thematisiert.

Gottesdienst in der Jesuitenkirche vor der Synode.
Gottesdienst in der Jesuitenkirche vor der Synode.

Danach, vor dem Einzug ins Parlament im Regierungsgebäude am Reussufer, mussten die Synodenmitglieder durch ein Spalier der Reformprotestler schreiten. Sie wurden dabei spontan beklatscht und angefeuert. Es wurde ihnen Mut zugesprochen. Der Boden für Reformen war bereitet.

Homophober Protest am Rande

Allerdings traten auch Reformgegner im Zuge einer eigenständigen Protestaktion am Rande auf den Plan. Am Reussufer verteilte ein Vertreter eines Bürgerforums Schweiz Flugblätter zu einem «Pfarrer-Check». Man kann darauf einen Fragebogen ausfüllen, «die Angaben zu den richtigen Antworten finden Sie auf der Webseite.»

Konservativer Protest am Rande der Synode
Konservativer Protest am Rande der Synode

Die Stossrichtung der Aktion ist eindeutig. Sie ist nicht nur implizit homophob. Sie will grundsätzlich säkularisierte Pfarrer verhindern: «Pfarrer und Pastoren müssten Fachleute sein (…) Viel Kirchenpersonal will diese Anforderung gar nicht erfüllen. Sie orientieren sich lieber am Zeitgeist.»  

Das Manifest von Luzern

«Wir stehen hin für eine offene, glaubwürdige
Kirche. Wir sind fassungslos ob der Ausmasse des sexuellen Missbrauchs
in der katholischen Kirche bis in die Gegenwart hinein. Mit dieser Erklärung
fordern wir Sie und alle Verantwortlichen auf, jetzt die dringend nötigen
Kirchenreformen einzuleiten. Die Betroffenen sollen endlich Gerechtigkeit
erfahren. Die Kirche soll sich strukturell und kulturell sichtbar verändern: Für Menschenwürde und Transparenz, für die Gleichstellung von Frau bis Mann und gegen Diskriminierung. Konkret unterstützen wir die vier bekannten Forderungen der RKZ.»

Die vier Forderungen der Römisch-Katholischen
Zentralkonferenz der (RKZ) sehen erstens die Sicherstellung einer unabhängigen
Untersuchung der Anschuldigungen wegen möglicher Verstösse durch mehrere
Schweizer Bischöfe vor. Zweitens soll eine schweizweite unabhängige Meldestelle mit Kontrollfunktion über die eingeleiteten Verfahren eingerichtet werden. Drittens wird ein kirchliches Strafgericht mit Einbindung von Laien und Fachpersonen aus Psychologie und Rechtswissenschaft verlangt. Viertens soll eine Abkehr von der «leibesfeindlichen und homophoben Sexualmoral» stattfinden und eine uneingeschränkte Anerkennung eines freien partnerschaftlichen Lebens auch für kirchliche Mitarbeitende gelten.(woz)


Hält das Postkarten-Manifest in den Händen: André Bachmann, Kirchenrat der katholischen Kirche der Stadt Luzern und Mitorganisator der Kundgebung. | © Wolfgang Holz
8. November 2023 | 13:40
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