Winfried Bader
Schweiz

Winfried Bader: «Der Dialog mit dem Judentum ist jederzeit wichtig»

In der katholischen Kirche wird seit 2011 jährlich am zweiten Fastensonntag der «Tag des Judentums» begangen. Verschiedene Pfarreien in der Schweiz richten ihre Gottesdienstfeiern danach aus. Die Vorlagen dazu werden vom Schweizerischen Katholischen Bibelwerk gestaltet. «Das kann ein Ansatz zur Gestaltung der Predigten sein – nicht nur am ›Dies judaicus’», sagt Winfried Bader, Leiter des Bibelwerks.

Sarah Stutte

Wie ist der Gedenktag in der Schweiz entstanden?

Winfried Bader*: Die Päpstliche Kommis­sion für die religiösen Beziehungen zum Judentum hat diesen Gedenktag empfohlen, der dann von der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) beschlossen wurde. Das ging auf das Engagement der Jüdisch/Römisch-katholischen Gesprächskommission der Schweiz (JRGK) zurück, die seit 1990 für die SBK und den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) im jüdisch-christlichen Dialog arbeitet.

«Jahre zuvor wurde schon für einen solchen Tag geworben.»

Die JRGK hatte bereits mehrere Jahre zuvor begonnen, für einen solchen Tag Werbung zu machen und ihn zu installieren. Aus dem Wissen heraus, dass der Dialog mit der Schwesterreligion immer noch ein grosses und wichtiges Anliegen ist. Seit 2011 ist er nun im Direktorium der Schweiz für diesen zweiten Fastensonntag festgelegt. 

Warum ist das so?

Bader: Wenn ich die Diskussion von damals richtig in Erinnerung habe, wollte man für den «Dies judaicus» einen Sonntag in der österlichen Busszeit. Auf Ostern hin wird mit dem Gedenken an den Exodus und gleichzeitig mit der sehr sensiblen interreligiösen Frage, wer ist dieser Jesus aus Nazaret und was bedeutet sein Kreuzestod, die Frage eines Dialogs dringend. Bei der konkreten Suche nach einem Datum war der 2. Fastensonntag der einzige «freie».

In Österreich fällt der «Tag des Judentums» auf den 17. Januar. Weshalb gibt es kein einheitliches Datum im deutschsprachigen Raum?

Bader: Im Gegensatz zu dem Sonntag des Wort Gottes, der vom Papst ausgerufen und weltweit für den 3. Sonntag im Jahreskreis festgelegt wurde, ist der «Dies judaicus» nur eine Empfehlung aus Rom. Die Ortskirche kann für ihr Gebiet entscheiden, ob sie einen solchen Gedenktag will, und wann er am sinnvollsten unter den gegebenen lokalen Bedingungen zu feiern ist.

Davidstern und Thora
Davidstern und Thora

Gerne würde ich argumentieren, dass das Thema jüdisch-christlicher Dialog so wichtig ist, dass es dafür aus Rom eine verbindliche weltweite Direktive braucht. Umgekehrt finde ich es ein lobenswertes und nachahmenswertes Verhalten von Rom, eine Empfehlung auszusprechen, aber den Ortskirchen die Durchführung zu überlassen. Weltweit gesehen ist das Thema auch nicht in allen Ländern gleich relevant.

Stimmt es, dass Deutschland keinen solchen Gedenktag kennt? Warum ist das so?

Bader: Meines Wissens ist es so. Das Warum erfragen Sie bei den Deutschen Bischöfen, die sich offensichtlich nicht dafür entschieden haben. Ich habe auch keinen Hinweis, dass es eine Entscheidung dagegen gibt. Gegebenenfalls ist hier auch noch zu berücksichtigen, dass die Dialogsituation zwischen Christentum und Judentum in Deutschland immer ungleich belasteter ist und deshalb ein solcher «Dies judaicus» von manchen als viel zu wenig empfunden würde.

Wie gestaltet sich dieser Gedenktag liturgisch?

Bader: Im Direktorium der Deutschschweiz steht für den «Dies judaicus» die Empfehlung, in der Auslegung der Lesungen und Psalmen, in der Gestaltung von Bussakt und Fürbitten und in der Auswahl des Hochgebets an diesem Tag in besonderer Weise den Jüdinnen und Juden zu gedenken. Wie das konkret umgesetzt wird, ist jedem verantwortlichen Gottesdienstvorsteher selbst überlassen.

Die Menora ist ein Symbol fürs Judentum.
Die Menora ist ein Symbol fürs Judentum.

Das Schweizerische Katholische Bibelwerk hat über 6 Jahre die Ersttestamentlichen Lesungen und die Evangelien der Sonn- und Feiertage der drei Lesejahre ausgelegt, und dabei den jüdischen Hintergrund der Texte berücksichtigt, rabbinische Auslegungen – beziehungsweise bei den Evangelien den «jüdischen» Hintergrund der Texte miteinbezogen. Diese Auslegungen sind auf der Homepage des Bibelwerks frei zugänglich. Das könnte für Liturgen und Liturginnen ein Ansatz zur Gestaltung der Predigten sein – nicht nur am «Dies judaicus».

Welche Bedeutung hat dieser Tag auch hinsichtlich der aktuellen politischen Lage und vermehrter Zunahme antisemitischer Vorfälle in der Schweiz?

Bader: Der Dialog mit anderen Religionen, insbesondere mit dem Judentum, ist jederzeit wichtig. Ungern sehe ich in einem Einzelereignis einen besonders wichtigen Grund. Denn meist ist durch solche Einzelereignisse die Situation vergiftet. Es werden Positionen ausgetauscht, Schuldzuweisungen vorgenommen, Entschuldigungen vorgebracht – das ist alles wichtig, aber nicht der Sinn eines Dialogs.

«Dialog ist ein ständiges Bemühen im Gespräch zu sein.»

Dialog – und dazu will dieser «Dies judaicus» beitragen – ist ein ständiges Bemühen im Gespräch zu sein, die andere Seite in ihrer Fremd- und Andersheit wahrzunehmen, ohne Urteile zu fällen. Das ist ein Prozess, der Energie, Ausdauer und den offenen Willen zum Hören und Verstehen erfordert. Nur ein solcher ständig geführter Dialog kann dann die Absicht bilden, einzelne Ereignisse ohne Eskalationen zu besprechen.

*Winfried Bader ist Theologe und Leiter des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks. Er war an der Erstellung der Gottesdienstvorlagen für den «Tag des Judentums» beteiligt.

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Winfried Bader | © Vera Rüttimann
25. Februar 2024 | 15:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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