Zeus und die Jungfrau Leda. Literarisches Vorbild für Maria und der Heilige Geist?
Theologie konkret

Wie die Jungfrau zum Kinde kam – und wie nicht

Ein literarisches Konstrukt, das biologisch unmöglich ist: Das Dogma der Jungfrauengeburt. Für die einen ist es ein Glaubensgrundsatz, für die anderen absurd. Teil 2 der Serie zu den Marien-Dogmen.

Annalena Müller

Die griechische Mythologie kennt viele Götter, die Kinder mit Jungfrauen zeugen. Der Obergott Zeus ist dafür das Paradebeispiel. Danaë befruchtete er als goldener Regen. Leda verführte er in Form eines Schwans. Und für die Prinzessin Europa verwandelte er sich in einen Stier. Das Christentum kennt ebenfalls eine solche Geschichte: der Heilige Geist und Maria.

Der Einfluss der griechischen Kultur

Das frühe Christentum ist stark von griechischen Einflüssen geprägt. Die Evangelien sind ursprünglich auf Griechisch verfasst. Die platonische Philosophie prägt das Denken der Kirchenväter. Und die aristotelische Biologie die Vorstellung des Zeugungsvorgangs.

Griechische Kultureinflüsse waren für das frühe Christentum prägend
Griechische Kultureinflüsse waren für das frühe Christentum prägend

Unter den Evangelisten ist die griechische Prägung bei Lukas besonders deutlich. In der Forschung herrscht heute Konsens: Lukas stammte aus dem griechischen Antiochia. Das Lukasevangelium wiederum ist für die Idee der jungfraulichen Geburt massgebend. Zufall?

Als die Universität Essen den Vatikan erzürnte

Kein Zufall, findet die Theologin Uta Ranke-Heinemann (†2021). In ihrem mittlerweile zum Klassiker avancierten «Nein und Amen» widerlegt die Essener Theologin das Dogma der Jungfrauengeburt. Das Buch macht sie berühmt. Und kostet sie 1987 den Lehrstuhl für Theologie.

Die Theologin Uta Ranke-Heinemann 2002 an ihrem Schreibtisch in Essen.
Die Theologin Uta Ranke-Heinemann 2002 an ihrem Schreibtisch in Essen.

Johannes Paul II, ein konservativer Vertreter in Sachen Dogmen und Autorität, reagiert wütend auf die Veröffentlichung. Ranke-Heinemann muss gehen. Unter seinem Pontifikat verliert die Theologin zeitweise den Glauben. An ihren Argumenten hält sie ein Leben lang fest. Und diese beeinflussen seit bald 40 Jahren Feministinnen und Theologinnen.

Wie Maria zum Kinde kam

Im Neuen Testament ist die Schwangerschaft Marias an drei Stellen erwähnt. Bei Paulus heisst es über Jesus, dass er: «geboren von einer Frau» (Gal 4,4) sei. Matthäus berichtet en passant: «Es fand sich, ehe sie [Maria und Josef] noch zusammengekommen waren, dass sie schwanger war vom Heiligen Geist» (Mt 1,18).

Josef erfährt von Mariens Schwangerschaft. Sein Same war nicht involviert - und damit auch keine Erbsünde
Josef erfährt von Mariens Schwangerschaft. Sein Same war nicht involviert - und damit auch keine Erbsünde

Nota bene: Die Offenbarung der Vaterschaft wird Josef – nicht Maria – in einem Traum mitgeteilt. Maria ist bei Matthäus und Paulus nicht wichtig genug, als dass sich ein Engel mit ihr beschäftigen würde. Von Jungfräulichkeit ist weder bei Paulus noch bei Matthäus die Rede.

Als die Mutter Jungfrau wurde

Im Lukasevangelium ist alles anders. Dort erscheint der Erzengel Gabriel Maria und verkündet ihr, dass sie einen Sohn bekommen werde (Lk 1,28 f.). Maria protestiert: Eine Schwangerschaft sei unmöglich, da sie «keinen Mann erkenne» (Lk 1,34). Daraufhin erklärt Gabriel ihr, dass dieser Umstand nun wirklich kein Hindernis für Gott sei. Die ‹jungfräulich durch einen Gott geschwängerte Mutter› ward kreiert.

Der Engel Gabriel erscheint Maria in Frauenfeld
Der Engel Gabriel erscheint Maria in Frauenfeld

Sowohl das Konzept einer jungfräulichen Schwangerschaft als auch das einer göttlichen Vaterschaft sind der zeitgenössischen jüdisch-christlichen Kultur fremd. In der griechischen Mythologie hingegen ist es weit verbreitet. Hat sich Lukas mythischer Vorbilder bedient?

Ein literarisches Konstrukt und falscher Glaubenssatz?

Der Gedanke ist naheliegend. Denn das Lukasevangelium ist voller literarischer Referenzen. So ist zum Beispiel der Dialog zwischen Gabriel und Maria teilweise aus alttestamentlichen Zitaten zusammengesetzt. Unter anderem aus der Escheinung des Engels bei Hagar (Gen 26,7 ff).

Sarah führt Hagar zu Abraham
Sarah führt Hagar zu Abraham

Der literarische Charakter der Verkündigungsgeschichte bei Lukas ist unter Theologen heute unbestritten. Aber Ranke-Heinemann geht weiter. Sie hält das Dogma der Jungfrauengeburt, welches auf dem Lukas-Evangelium gründet, für falsch.

Jungfräulichkeit und göttliche Zeugung als Inkulturation

Sie sieht im Lukas-Evangelium eine kulturelle Handreichung an die griechische Welt. Denn dort ist die Idee der Göttersöhne tief verwurzelt. Und in eben jener Welt, der auch Lukas entstammte, wächst die neue Religion in den ersten Jahrhunderten am schnellsten.

Die Urgemeinde war bekanntlich flexibel, wenn es um Anpassungen ging, die das Erreichen neuer Gläubiger aus anderen Kulturen erleichterten. Die bekanntesten Beispiele sind die Abschaffung der Beschneidungspflicht und gelockerte Essensvorschriften.

Der Evangelist Lukas denkt über seine Storyline nach
Der Evangelist Lukas denkt über seine Storyline nach

Gerade in Bezug auf die hellenische Welt «konnte eine solche wunderbare Geburt als Erweis der Göttlichkeit des Erlösers durchaus nützlich sein», schreibt Ranke-Heinemann. Es machte Jesus in der griechischen Kultur sozusagen anschlussfähig.

Maria als Leihmutter?

Neben der literarischen Argumentation gibt es biologische Einwände. Ein solcher gründet auf der Entdeckung der Eizelle im Jahr 1827. Seitdem ist klar: Die Zeugung ist von Seiten der Frau kein passiver Akt. Frauen «empfangen» keine Kinder von männlichen – oder göttlichen – «Zeugern». Sie erschaffen diese zu gleichen Teilen mit.

Karl Ernst von Baer (1792-1876) entdeckt 1827 die Eizelle. Seine Entdeckung beweist: Mann und Frau sind am Zeugungsvorgang beteiligt
Karl Ernst von Baer (1792-1876) entdeckt 1827 die Eizelle. Seine Entdeckung beweist: Mann und Frau sind am Zeugungsvorgang beteiligt

Diese Erkenntnis lässt sich nicht mit einem alleinigen Schöpfungsakt Gottes vereinbaren. Dieser soll ja im Alleingang Jesus kreiert haben.

Biologisch wäre dies nur ohne Beteiligung von Marias Eizelle möglich. Also, nur wenn Maria die Leihmutter Jesu gewesen wäre. Und wenn Gott nicht nur seinen Samen sondern Maria auch eine Eizellen «gespendet» hätte. Eine solche Überlegung dürfte theologisch kaum mehrheitsfähig sein.

Ontologie versus Biologie

Das biologische Problem lässt sich philosophisch umgehen. Entsprechend ist die ontologische Gottsohnschaft auch hier ein theologisch wichtiges Argument. Die ontologische Gottsohnschaft betrifft das «Sein» Jesu, nicht seine biologische Genese.

«Die Jungfräulichkeit oder nicht-Jungfräulichkeit Mariens ist irrelevant»

Wenn die Gottsohnschaft Jesu aber ein ontologische und kein biologische ist, heisst das: Die Jungfräulichkeit oder nicht-Jungfräulichkeit Mariens ist irrelevant. Sie hat keine Bedeutung für die Entstehung des Embryos, welches in der Gebärmutter Mariens zum Gottessohn heranwächst.

Ratzingers Schützenhilfe

Die ontologische Gottsohnschaft ist übrigens kein Argument von Ranke-Heinemann. Sondern von Joseph Ratzinger («Einführung in das Christentum»). Diesem konservativen Theologen, Glaubenshüter und Papst (†2022) wird man keine feministischen Motive unterstellen dürfen. Allerdings entwickelte er den Gedanken unabhängig von der Frage der Jungfrauengeburt. 

Benedikt XVI. auf Papstbesuch in Deutschland, 2011
Benedikt XVI. auf Papstbesuch in Deutschland, 2011

Was die anderen Aspekte des Dogmas angehen, so seien diese hier nur angedeutet. Konkret: die ewige Jungfräulichkeit, auch während und nach der Geburt.

Ewige Jungfräulichkeit dank Kaiserschnitt?

Das Fortbestehen der Jungfräulichkeit wäre theoretisch möglich: Wenn Maria durch einen Kaiserschnitt entbunden hat. Einen solchen vor dem 20. Jahrhundert zu überleben, war jedoch nur durch ein Wunder möglich. Aber wer Jungfrauen befruchten kann, der vermag sie wohl auch wundersam zu entbinden, oder?

Heute sind Kaiserschnitte normal. Bis zum 20. Jahrhundert verliefen sie für Frauen immer tödlich.
Heute sind Kaiserschnitte normal. Bis zum 20. Jahrhundert verliefen sie für Frauen immer tödlich.

Wie man es dreht und wendet: Die Ontologie erscheint die einzige Rettung des Dogmas. Wer das Dogma der Jungfräulichkeit bewahren will, muss also auf Joseph Ratzinger zurückgreifen. Denn weder historisch-kulturell noch biologisch-medizinisch lässt sich die Jungfrauengeburt argumentieren.

Teil 3 der kath.ch Serie zu den vier Marien-Dogmen erscheint am 13. Mai 2023 zum Thema: «Heilig, göttlich, gottesgleich? Die unbefleckte Empfängnis.


Zeus und die Jungfrau Leda. Literarisches Vorbild für Maria und der Heilige Geist? | © Wikimedia commons/Peter Paul Rubens
7. Mai 2023 | 05:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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