Nicht alle können sich eine Behandlung beim Zahnarzt leisten.
Schweiz

Wenn das Geld für den Zahnarzt fehlt: Wie kirchliche Sozialdienste im Aargau helfen

Die katholische Kirche im Aargau ist zurzeit mit zehn Sozialdiensten in verschiedenen Regionen präsent. Der Zugang zu staatlichen Sozialleistungen sei in den letzten Jahren schwieriger worden, stellt Emil Inauen, Leiter der Kirchlichen Regionalen Sozialdienste, fest. «Hier springen wir ein und schaffen Zugang.» Die meisten Menschen, die zur Beratung kommen, haben Geldsorgen, sagt die Sozialarbeiterin Debora Sacheli.

Barbara Ludwig

Vor kurzem kam eine junge Frau beim kirchlichen Sozialdienst in Rheinfelden AG in die Beratung: Verheiratet, Mutter von zwei Kindern. Der Mann arbeitet zu 100 Prozent. Die Frau ist nicht erwerbstätig, hat wegen früher Mutterschaft keine abgeschlossene Ausbildung. «Seit zwei Jahren leidet sie an Zahnschmerzen. Weil kein Geld für den Zahnarzt da ist, meldete sie sich bei uns», berichtet Deborah Sacheli (32), Sozialarbeiterin und Leiterin des Sozialdienstes.

Debora Sacheli, Leiterin des Regionalen Kirchlichen Sozialdienstes, in einem Beratungsgespräch.
Debora Sacheli, Leiterin des Regionalen Kirchlichen Sozialdienstes, in einem Beratungsgespräch.

Man habe überprüft, ob ein Anspruch auf Sozialhilfe bestehe. Weil das Familieneinkommen knapp über dem Existenzminium liege, sei dies nicht der Fall. Die Familie hat hingegen Anspruch auf Prämienverbilligung und bezieht diese bereits. Trotzdem reicht das Geld nicht, um die Zahnarztkosten in der Höhe von 2000 Franken zu schultern.

Deborah Sacheli hat deshalb Anträge an drei Stiftungen gestellt. Zwei davon seien bereit, die Finanzierung zu übernehmen. «Diese Woche konnte ich die Frau informieren. Sie kann jetzt zum Zahnarzt gehen.»

Starkes Engagement in der Diakonie

Die katholische Kirche im Aargau engagiert sich stark in der Diakonie. Seit 2016 hat sie ein Netz von regionalen Sozialdiensten aufgebaut. Mittlerweile sind es zehn Sozialdienste – einer davon im Kanton Solothurn – an zwölf Standorten. Die Sozialdienste werden von den lokalen Kirchgemeinden, der Landeskirche und dem Hilfswerk Caritas Aargau getragen. Der jüngste Sozialdienst wurde am 1. August in Rheinfelden eröffnet.

Mit einem Unfall kommt die Not

Während die eine Familie dauernd knapp bei Kasse ist, präsentiert sich der Fall einer alleinerziehenden Mutter zweier Kinder anders. «Die Frau hatte eigentlich keine finanziellen Sorgen. Sie arbeitet zu 100 Prozent, bekommt Alimente. Dann passierte ein Unfall, der alles veränderte», sagt Deborah Sacheli. Weil die staatliche Unfallversicherung Suva den Unfall nicht anerkennt, werden keine Unfalltaggelder ausbezahlt – während drei Monaten hat die Frau also kein Einkommen.

Schweizer Franken.
Schweizer Franken.

Auch in diesem Fall stellte Deborah Sacheli ein Gesuch an eine Stiftung zur finanziellen Überbrückung der Notlage. Und sie stellte einen Antrag an die Suva, damit diese die Frage des Unfalls noch einmal anschaut. «Laut dem Arzt der Frau handelt es sich ganz klar um einen Unfall. Nun hoffen wir auf eine schnelle und positive Rückmeldung der Versicherung.»

18’000 Franken von Stiftungen

Seit der Eröffnung des Sozialdienstes habe sie insgesamt 18’000 Franken an Beiträgen von Stiftungen erhalten, sagt die Leiterin. «Das ist ein hoher Betrag. Die finanzielle Unterstützung ist tatsächlich ein grosses Thema in der Beratung.» Besonders bei Menschen, die an der Armutsgrenze lebten.

Deborah Sacheli (Mitte) und Emil Inauen (rechts) bei der Eröffnung des Kirchlichen Regionalen Sozialdienstes Rheinfelden im August 2023.
Deborah Sacheli (Mitte) und Emil Inauen (rechts) bei der Eröffnung des Kirchlichen Regionalen Sozialdienstes Rheinfelden im August 2023.

Manchmal sind es Menschen auf der Suche nach einer günstigen Wohnung. Oder solche, die auf Geheiss der Behörde eine billigere Wohnung suchen müssen, weil sie Sozialhilfebezüger wurden. Eine Herausforderung, wenn eine Wohnung für zwei Erwachsene und zwei Kinder nicht mehr als 1500 Franken kosten darf wie in der Gemeinde Rheinfelden. «Geldsorgen wegen teurer Mieten sind sehr präsent. Überhaupt spüre ich sehr stark, dass sich die Klienten wegen der allgemeinen Teuerung Sorgen machen», sagt Deborah Sacheli.

Administrative Unterstützung

Der Sozialdienst klärt ab, ob jemand Anspruch auf Sozialhilfe hat, auf staatliche Ergänzungsleistungen oder eine Prämienverbilligung. Deborah Sacheli hilft zudem beim Stellen der Anträge, die nicht selten online eingereicht werden müssen. «Manche Menschen sind dazu nicht in der Lage. Oder sie haben die Unterlagen nicht mehr, die man zusammen mit dem Antrag einreichen muss.»

Soziales System mit Lücken

Emil Inauen arbeitet bei Caritas Aargau und leitet die Kirchlichen Regionalen Sozialdienste (KRSD). Die Schweiz verfüge über ein gut ausgebautes System der sozialen Sicherheit, teilt er auf Anfrage mit. «Trotzdem weist dieses System Lücken auf. So wurde der Zugang zu staatlichen Leistungen in den letzten Jahren immer wieder erschwert», stellt er fest.

Ein Mann am Laptop.
Ein Mann am Laptop.

Stichwort ist hier die bereits von Sacheli erwähnte Digitalisierung. Laut Emil Inauen wurden die Stipendienanfragen, die Anmeldung für die Invalidenversicherung, für Prämienverbilligung und die Anmeldung bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren digitalisiert.

Ausserdem sei das Schweizer Sozialsystem unübersichtlich, die Menschen wüssten nicht, auf welche Leistungen sie Anspruch haben, so der Leiter der KRSD. Der Staat stelle heute nicht mehr sicher, dass alle Menschen die ihnen zustehenden staatlichen Leistungen in Anspruch nehmen könnten. «Hier springen wir ein und schaffen Zugang», schreibt Emil Inauen.

Sicht auf den ganzen Menschen fehlt

Luc Humbel war als Präsident der römisch-katholischen Landeskirche Aargau am Aufbau der Kirchlichen Regionalen Sozialdienste beteiligt. Der Staat leiste im Bereich der Sozialarbeit und bei Arbeitslosigkeit partielle Hilfe, es fehle die Sicht auf den ganzen Menschen, kritisiert er.

Luc Humbel, Präsident der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) und Kirchenratspräsident der Römisch-Katholischen Landeskirche im Aargau
Luc Humbel, Präsident der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) und Kirchenratspräsident der Römisch-Katholischen Landeskirche im Aargau

«Zu viele staatliche Stellen prüfen gerne vorab, ob sie überhaupt zuständig sind, bevor sie sich der Not von Menschen annehmen. Es fehlt eine ganzheitliche Betrachtung im Sinne eines Case managements.» Die kirchlichen Sozialdienste würden die staatliche Hilfe ergänzen, aber nicht ersetzen, so Luc Humbel.


Nicht alle können sich eine Behandlung beim Zahnarzt leisten. | © KNA
2. November 2023 | 17:00
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