Was ist Inkulturation?

Ein österreichischer Lebensschutzaktivist hat sich vergangene Woche zum Diebstahl indigener Holzfiguren aus einer Kirche in Rom während der jüngsten Amazonien-Synode bekannt. Dies regt zur Diskussion über Inkulturation an.

Ein Lebensschutzaktivist stahl in Rom eine indigener Holzfiguren, die an der Amazonassynode gezeigt worden war, und warf das «Kultbild» in den Tiber.

Er habe die Figuren, die kniende schwangere Frauen darstellen, vor zwei Wochen in den Tiber-Fluss geworden, sagte der Wiener Alexander Tschugguel in einem am Montag von ihm veröffentlichten fünfminütigen Youtube-Video.

Gegen erstes Gebot verstossen

Mit der Aufstellung der «Kultbilder» in der unweit des Vatikan gelegenen Kirche Santa Maria in Traspontina sei aus seiner Sicht gegen das Erste Gebot (»Du sollst den Herrn, deinen Gott anbeten und ihm dienen») verstossen worden, so der Aktivist. Er habe die Figuren aus der Kirche entfernen wollen, um zu zeigen, dass es Laien gebe, die derartige Dinge nicht länger akzeptierten.

Der Diebstahl der Darstellungen der schwangeren Frauen, die das Leben und die Verbindung mit der Natur symbolisieren sollten und mit anderen symbolischen Gegenständen indigener Alltagskultur vor einem Seitenaltar in der Kirche Santa Maria in Traspontina aufgebaut gewesen waren, hatte in der letzten Synodenwoche für grosses Aufsehen gesorgt.

Holzfigur aus Amazonien in der Kirche Santa Maria in Traspontina in Rom.
Holzfigur aus Amazonien in der Kirche Santa Maria in Traspontina in Rom.

In Kommentaren in digitalen Medien waren die Figuren zuvor unter anderem als Fruchtbarkeitsgöttinnen oder «Götzenbilder» bezeichnet worden. Weihbischof Marian Eleganti sagte in einem Video, die Figuren, die «Pachamamas», seien in Rom «wie eine Monstranz» getragen worden.

Auf einem unmittelbar nach dem Diebstahl veröffentlichten Video war unter anderem zu sehen gewesen, wie die Holzfiguren von der Engelsbrücke in den Tiber gestossen wurden. Die Figuren wurden später von Carabinieri unbeschädigt aus dem Tiber geborgen.

«Sicher keine Heldentat»

Papst Franziskus bat danach diejenigen, die sich durch die Tat verletzt fühlten, um Verzeihung. Die Darstellungen seien Teil einer Randveranstaltung der Synode und «ohne götzendienerische Absicht» in der Kirche ausgestellt gewesen, so Franziskus.

Wiens Kardinal Christoph Schönborn nahm zur Entwendung der Holzfiguren indigener Völker aus einer Kirche in Rom mehrmals Stellung. «Dieser Akt war ungeheuerlich» und «sicher keine Heldentat», so Schönborn im Blick auf kirchliche Kreise, die den Täter dafür lobten.

Sensibilität für das Leben

Schönborn erinnerte daran, dass er als dienstältester Kardinal während der Synode in der ersten Reihe und somit unmittelbar gegenüber einer idigenen Statue gesessen sei, die eine nackte schwangere Frau mit Kind zeigt.

Die Statue sei für ihn Ausdruck für die Sensibilität der Indigenen für die Heiligkeit des Lebens, für die sich die katholische Kirche dezidiert einsetze, erklärte der Kardinal. «Das ist ein deutliches Bekenntnis für das Leben, das ist ›pro life’, was soll daran skandalös sein?»

Mutter Erde

Der Kardinal verwies auf den Sonnengesang der heiligen Franz von Assisi, in dem dieser von der «Mutter Erde, die uns trägt und nährt» spricht. «Dass die Indigenen die Mutter Erde in Verbindung bringen mit einer schwangeren Frau, was ist daran skandalös?» Selbst wenn man sich durch die Statue einer nackten schwangeren Frau provoziert fühle, sei das noch lange keine Rechtfertigung, sie in den Fluss zu werfen.

Der katholischen Kirche ist in ihren Gottesdiensten die direkte Verbindung zur Natur nicht fremd. Am Erntedankfest werden jeweils heimischer Früchte und Gemüse in der Kirche aufgestellt.

Reinigen und aufnehmen

Im Blick auf die Frage, wie die Kirche mit nichtchristlichen Kulturen und religiösen Ausdrucksformen umgehen solle, verwies der Wiener Erzbischof auf den kürzlich heiliggesprochenen Kardinal John Henry Newman (1801-1890) und dessen theologische Studien. Demnach habe die katholische Kirche in anderen Religionen immer Anknüpfungspunkte für die Verkündigung des Evangeliums gefunden. «In allen Religionen gibt es Elemente, die gereinigt, aufgenommen und christianisiert werden können», so Schönborn.

Auf welche Weise indigene Elemente in den Ortskirchen Lateinamerikas verknüpft werden beziehungsweise wie die christliche Botschaft mit indigenen und anderen Kulturen in Dialog treten soll, war eines der bei der Amazonien-Synode von 6. bis 27. Oktober im Vatikan diskutierten Themen. (kap/gs)

10. November 2019 | 06:46
Lesezeit: ca. 3 Min.
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