Weihbischof Alain de Raemy
Analyse

Warum gibt es im Bistum Lugano immer noch keinen neuen Bischof?

Seit einem Jahr wirkt Alain de Raemy im Tessin als apostolischer Administrator. Und noch immer gibt es keinen neuen Bischof in Lugano. Warum will Alain de Raemy dort bleiben? Eigentlich wäre er jetzt in der Westschweiz gefragt. Dort befindet sich das Bistum LGF im Krisenmodus. Aber de Raemy wartet lieber auf seine Chance im Tessin. Eine Analyse.

Charles Martig

Die Ausganglage ist klar: Ein apostolischer Administrator hat die Aufgabe, bei einer Sedisvakanz ein Bistum zu leiten, bis ein neuer Bischof gewählt ist. Weihbischof Alain de Raemy hat diese Aufgabe vor einem Jahr in Lugano übernommen. Und noch immer gibt es keine Aussicht auf einen Nachfolger auf dem Bischofssitz. Das grenzt an Arbeitsverweigerung. Oder könnte das Bistum Lugano aus Sicht des Vatikans als nachrangige Priorität gesehen werden?

Aufgabe des apostolischen Administrators am Beispiel Chur

Blenden wir zurück in die Lage des Bistums Chur beim Abgang von Vitus Huonder. Die Lage war kompliziert, die Fraktionen im Bistum zerstritten. Hier wurde Pierre Bürcher als apostolischer Administrator eingesetzt. Er hatte sein Amt vom 20. Mai 2019 bis zur Bischofswahl von Joseph Bonnemain am 21. März 2021 inne, also insgesamt 21 Monate. Dabei ist zu bedenken, dass die Wahl des neuen Bischofs zuerst im Domkapitel scheiterte. Also brauchte es Zeit, um eine Lösung zu finden. Das heisst: eine so lange Zeit unter der Leitung eines Administrators ist ungewöhnlich.

Ein Kanton, ein Bistum, ein Bischof

Im Tessin ist die Ausgangssituation vergleichsweise einfach. Ein Kanton, ein Bistum, ein Bischof. Gemäss einem Staatsvertrag zwischen der Eidgenossenschaft und dem Vatikan soll ein Tessiner aus dem Priesterstand der Diözese Lugano als neuer Bischof gewählt werden. Diese Klausel verhindert derzeit, dass Alain de Raemy als Bischof gewählt werden kann, obwohl er sich in der Südschweiz innerhalb eines Jahres gut akklimatisiert hat. Aber auch eine Petition zur Abschaffung dieser Tessiner-Klausel hat keine Lösung gebracht. Der Staatsvertrag wird nicht leichtfertig abgeändert. Alain de Raemy bleibt also in Wartestellung.

Kathedrale San Lorenzo in Lugano
Kathedrale San Lorenzo in Lugano

Alain de Raemy hat kein Interesse an Neubesetzung

Als apostolischer Administrator müsste Alain de Raemy die Bischofswahl in Lugano unterstützen. Aber er hat offensichtlich kein Interesse daran, dass ein Tessiner Bischof wird. Er wartet auf seine Chance, auf den Bischofsstuhl zu steigen. Aus dem Klerus des Bistums Lugano gibt es unterschiedliche Stimmen dazu. Nicht alle sind über den Stillstand bei der Bischofwahl glücklich.

Weihbischof Alain de Raemy im Gespräch, 2022
Weihbischof Alain de Raemy im Gespräch, 2022

Neben den Ambitionen von Alain de Raemy spielt ein anderer Faktor eine wichtige Rolle. Das Bistum Lausanne, Genf und Freiburg (LGF) läuft derzeit im Krisenmodus. Aus vatikannahen Kreisen ist zu hören, dass es in Rom echte Sorgen um den Zustand des Bistums gibt. Das Tessin hat also derzeit keine Priorität im Vatikan. Die Bischofswahl in Lugano segelt somit im Windschatten des Krisenbistums LGF.

Pikant daran ist die Verbindung dieser beiden Schauplätze. Alain de Raemy ist Weihbischof der Diözese LGF. Sein Heimatbistum ist derzeit in einer Notlage. Aber diese schwierige Lage ist für Alain de Raemy kein Grund, nach Freiburg zurückzukehren. Er will in Lugano bleiben und seine Chancen auf den Bischofssitz wahren.

Bistum LGF ist faktisch führungslos

Bischof Charles Morerod ist mit einer Notoperation lahmgelegt und muss sich seiner Genesung widmen. Der Generalvikar Bernard Sonney taucht ab wegen Vorwürfen zu sexuellen Übergriffen. Er lässt sein Amt seit 29. September ruhen. Somit ist das Bistum LGF faktisch führungslos. Damit die Verwaltung des Bistums LGF weiterläuft, hat ein interimistischer Laienrat die Geschäfte übernommen.  

Der Apostolische Administrator Alain de Raemy (vorne in der Mitte) beim Abschied von Ernesto Togni in Lugano am 14. November 2022.
Der Apostolische Administrator Alain de Raemy (vorne in der Mitte) beim Abschied von Ernesto Togni in Lugano am 14. November 2022.

Trotz Notlage im Bistum LGF meinte Alain de Raemy am 8. Oktober gegenüber catt.ch: «Nein, sagen wir, das Bistum liegt nicht in den Händen dieser vier Laien. Sie sind für die Arbeit der Kurie zuständig. Denn wir haben bereits Vertreter des Bischofs in den Kantonen der Diözese. In jedem Kanton gibt es einen Laienbeauftragten des Bischofs, der gewissermassen die Rolle des Bischofsvikars spielt. Und das funktioniert auch weiterhin. Ich denke, die Priorität bleibt für mich das Tessin. Das ist klar.»

Und was macht der Nuntius Martin Krebs?

Aus dem Umfeld der Schweizer Nuntiatur ist vorläufig keine Klärung für das Bistum Lugano zu erwarten. Obwohl Nuntius Martin Krebs bereits in Bern beim Bundesrat vorstellig wurde, ist derzeit keine konkrete Lösung in Sicht. Es scheint, dass der Vatikan mit dem «Providurium» in Lugano durchaus zufrieden ist.

Andere Fragen sind derzeit dringlicher: Untersuchungen wegen Vertuschung gegen fünf amtierende Mitglieder der Bischofskonferenz, unter anderem auch gegen Alain de Raemy. Ein führungsloses Bistum im Westen. Massiv steigende Kirchenaustritte in der Schweiz. Da müssen die Tessinerinnen und Tessiner wohl noch eine Weile auf ein «Happy End» warten.


Weihbischof Alain de Raemy | © Christian Merz
16. Oktober 2023 | 17:23
Lesezeit: ca. 3 Min.
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