Letztes Abendmahl in Zeiten von Corona
Story der Woche

Warum die Covid-Diskussion in der Paulus-Akademie problematisch war

An der Paulus-Akademie ist es Ende November zu einem Eklat gekommen: SP-Nationalrat Fabian Molina und ein Vertreter der Pharma-Industrie hatten ein Podiumsgespräch zum Thema Covid kurzfristig abgesagt. Der Grund: Sie wollten nicht mit einer Impf-Kritikerin die Klingen kreuzen. Recherchen von kath.ch zeigen: Molinas Befürchtungen waren berechtigt.

Wolfgang Holz und Carlo Mertens

«Sehr kurzfristig teilte mir die Paulus-Akademie mit, dass neben Infektiologe Pietro Vernazza und mir schlussendlich Kati Schepis auf dem Podium vertreten sein werde. Ich kannte Frau Schepis nicht, die Moderatorin teilte mir aber im Vorgespräch mit, dass sie die Gefährlichkeit von Covid-19 leugnet und behauptet, es hätte nie eine Überbelastung der Spitäler gegeben», sagt der Zürcher SP-Nationalrat Fabian Molina über seine Last-Minute-Absage gegenüber kath.ch. 

«Den wahren Charakter» der Veranstaltung verschleiert

Daraufhin habe er sich über Schepis informiert und festgestellt, dass es sich dabei um eine bekannte Corona-Leugnerin handele, welche an Strafanzeigen gegen Swissmedic und impfende Ärzte beteiligt sei, extremistisches Gedankengut verbreite und in der Vergangenheit an Demonstrationen mit Rechtsextremen aufgetreten sei. 

Fabian Molina
Fabian Molina

Das Fass zum Überlaufen, sprich: der Grund für die letztendliche Absage Molinas hat aber auch noch mit einer anderen Sache zu tun. «Wie ich im Gespräch mit der Organisatorin der Paulus-Akademie feststellen musste, handelt es sich auch bei dieser um eine Corona-Massnahmengegnerin, die mich – ob bewusst oder unbewusst – über den wahren Charakter dieser Veranstaltung im Dunkeln gelassen hat.»

«Ich bin keine Massnahmengegnerin»

Dana Sindermann leitet den Fachbereich Wirtschafts- und Sozialethik an der Paulus-Akademie und war für die Veranstaltung verantwortlich. Sie widerspricht Fabian Molina: «Ich bin keine Massnahmengegnerin. Ich habe mich stets an die Massnahmen gehalten und bin gegen Corona geimpft.» Ihr gehe es um etwas anderes: Massnahmen sollen «gut und nachvollziehbar begründet» sein.

Dana Sindermann
Dana Sindermann

Fabian Molina liess sich nicht umstimmen. Er habe Besseres zu tun, als einen Abend lang falsche Behauptungen und Verschwörungsmythen zu widerlegen, und stelle sich auch nicht mit einer extremistischen Corona-Leugnerin auf eine Bühne. «Aus diesem Grund habe ich meine Teilnahme an der Veranstaltung wieder abgesagt. Ich bedaure sehr, dass die Paulus-Akademie als seriöse Institution derartigen extremen Positionen eine Plattform bietet.»

Über Absage «not amused»

Ursprünglich sei er von der Paulus-Akademie im August 2022 zur Podiumsveranstaltung zum Thema «Pharma und Profit in der Coronakrise» eingeladen worden, sagt Fabian Molina. Die Frage nach der Rolle und Verantwortung der Pharma-Industrie in der Covid-19-Pandemie sollte dabei unter wirtschafts- und sozialethischen Gesichtspunkten diskutiert werden.  

Nach der Absage war Dana Sindermann «not amused»: «Für eine Absage wenige Stunden vor Veranstaltung habe ich wenig Verständnis. Zumal die Begründung für den Rückzug auf die Person Kati Schepis spielten und nicht auf ihre Argumente», sagt Sindermann.

Molina hätte etwas über die Verträge mit den Pharmafirmen sagen sollen

Sie könne verstehen, dass Fabian Molina keine epidemiologischen oder pharmazeutischen Fachdiskussion mit Naturwissenschaftlern hätte führen wollen. «Das wäre auch nicht Sinn der Diskussion gewesen», sagt Sindermann. Der Paulus-Akademie sei es um die Frage gegangen: Haben Pharmakonzerne übermässig viel Profit aus der pandemischen Lage geschöpft? Und ist ökonomisch motiviert versucht worden, auf Politik und Wissenschaft Einfluss zu nehmen? 

Blick vom Roche Tower.
Blick vom Roche Tower.

«Nationalrat Molina hätte hier viel zur Diskussion beitragen können, sowohl als Kritiker von Grosskonzernen als auch als Mitglied der Geschäftsprüfungskommission, als welcher er Einsicht in die Verträge hatte, die der Bund mit den Pharmafirmen über die Impfstoffe geschlossen hat», ist Sindermann überzeugt.

«Ernstzunehmende Punkte»

Aber war es seitens der Paulus-Akademie nicht ein bisschen fahrlässig, zu einem Corona-Podiumsgespräch eine Corona-Kritikerin einzuladen? Schliesslich ist es eine politische Erfahrung aus der Corona-Pandemie, dass Corona-Leugner oftmals jegliche argumentative Diskussion abwürgen.

Eingangsbereich der Paulus-Akademie in Zürich
Eingangsbereich der Paulus-Akademie in Zürich

Die Referentin der Paulus-Akademie winkt ab. «Wir waren uns nach intensiven Recherchen einig darin, dass die Pharmazeutin Kati Schepis, anders als es schnelle Google-Treffer vermitteln mögen, gut begründete und somit ernstzunehmende Punkte in die Corona Debatte einbringt. Diese Positionen gilt es dann eben im gemeinsamen Gespräch weiter zu prüfen.»

Klar und sachlich – stimmt das?

Sindermann ist sich bewusst, dass die Reflexion der Pandemie ein heikles Thema sei. «Der Auftrag der Paulus-Akademie ist es ja gerade, gesellschaftlich relevante Themen aufzunehmen, mögen sie noch so schwierig sein, und für die Diskussion dieser Themen geeignete Gesprächspartnerinnen und -partner zu finden. Meinungsvielfalt ist uns wichtig.» 

Zudem beweise das Video zur Veranstaltung, dass sowohl Frau Schepis als auch Professor Vernazza ihre Positionen klar, sachlich und gut verständlich vorbringen. 

Viele Allgemeinplätze

Doch stimmt das? Recherchen von kath.ch ergeben ein anderes Bild. Wer das Video mit Expertinnen und Experten bespricht, gewinnt den Eindruck einer qualitativ problematischen Veranstaltung. Es dominiert eine selektive Auswahl weniger Publikationen, die dann im weiteren Verlauf als «Fakten» angeführt und Grundlage einer moralischen Bewertung werden.

Allgemeinplätze wie «Demokratische Werte leben, das bedeutet kontroverse Diskussionen führen» bestimmen die Einleitung von Kati Schepis. Es sei unverständlich, dass der eingeladene Pharmavertreter (nicht genannt) und ebenso Fabian Molina ihre Teilnahme abgesagt hätten.

Pietro Vernazza fällt nicht durch Sachkenntnis aus

Pietro Vernazza, emeritierter Professor für Innere Medizin, zeichnet sich im Verlauf der Diskussion nicht sonderlich durch Sachkenntnis im Detail aus. Stattdessen gibt er Allgemeinplätze mit kritischem Unterton zum Besten. Als Argument wird die Meinungsfreiheit angeführt – ein gefährliches Argument, wenn nicht gleichzeitig strikt auf die Qualität der Evidenz geachtet wird. 

Pietro Vernazza
Pietro Vernazza

Denn leider ist es eine sehr verbreitete Vorstellung, gerade unter Medienschaffenden, dass es zur Demonstration von Meinungsvielfalt bei einem Laienpublikum genüge, konträre Meinungen gegeneinander antreten zu lassen, ohne dass die Qualität von angeblich wissenschaftlichen Aussagen unabhängig geprüft und bewertet wird. 

Kati Schepis wertet Studien ab

Kati Schepis befasst sich inhaltlich mit Studien. Sie sagt, das primäre Studienziel der Zulassungsstudien sei die Vermeidung von Bagatellsymptomen (plus PCR-Positivität) gewesen. Die Vermeidung von schweren Erkrankungen sei sekundäres Studienziel gewesen. Dabei ist das nicht richtig: In den Zulassungsstudien ging es vor allem um den Vergleich von zuvor definierten Erkrankungsereignissen in der Impf- und Kontrollgruppe. 

Kati Schepis
Kati Schepis

Kati Schepis hat alle nicht kontrolliert und randomisiert durchgeführten Studien grundsätzlich völlig abgewertet, geht nicht auf diese ein und es wird nicht klar, ob sie die aktuelle umfangreiche Literatur kennt. Das ist so unhaltbar. Es ist im Gegenteil sehr wichtig, nach Beginn der Anwendung in grossen Beobachtungsstudien Sicherheit und Effektivität von Impfungen genau zu bestimmen. Dies ist in verschiedenen Ländern erfolgt und entscheidende Wissensgrundlage. 

Die internationalen Meldedaten waren kein Thema

Es folgt die Frage an Pietro Vernazza, ob die breitflächige Impfempfehlung sinnvoll gewesen sei. Zunächst sollte nur in Altersheimen und medizinisches Personal geimpft werden. Sinnvoll sei es, alte Menschen zu impfen – aber Kinder sollten keinesfalls geimpft werden. Insgesamt seien kaum jüngere Menschen schwer erkrankt und gestorben.

"Extrem und unnötig" – die Gegner haben die Vorlage zum Covid-19-Gesetz mit starkem Geschütz bekämpft.
"Extrem und unnötig" – die Gegner haben die Vorlage zum Covid-19-Gesetz mit starkem Geschütz bekämpft.

Diese Aussage wird nur mit Daten aus zwei Tabellen belegt. Es gibt demgegenüber weltweit viele Studien, die das Risiko schwerer Erkrankung und Tod nach COVID-19 in grossen Kohorten untersucht haben und ebenso die Wirksamkeit der Impfung. Auf die internationalen Meldedaten zu Covid-19 und den Folgen für die Infizierten wird nicht eingegangen.

Nur zwei Datenquellen

Schepis vergleicht Influenza- und Corona-Todesfälle. Dies zeige, dass COVID-19 eher harmlos sei. Es gibt jedoch verschiedene grossangelegte Studien, die Influenza mit COVID-19 vergleichen und mehrheitlich zu dem Ergebnis kommen, dass die Auswirkungen von COVID-19 gravierender sind. Es wird nicht erwähnt, dass die Möglichkeit und Anzahl von Langzeitfolgen der SARS-CoV-2 Infektionen noch Gegenstand intensiver Forschung sind.

Von links Kati Schepis, Dana Sindermann und Pietro Vernazza.
Von links Kati Schepis, Dana Sindermann und Pietro Vernazza.

Kati Schepis hat sich nur zwei Datenquellen ausgewählt. Sie pickt Fakten heraus und übt Kritik an den Zulassungsstudien, wohingegen sie nichts zu den Postmarketing-Studien sagt (zum Beispiel England, Israel, USA), welche die Wirksamkeit der Impfung an grossen Kollektiven sehr gut quantitativ belegen. Sie kritisiert diese Studien pauschal als minderwertig, was nicht haltbar ist.

Meldesystem umgestellt

Sie übt Kritik an der Tatsache, dass die Statistik nicht zwischen Patienten unterscheide, die mit COVID-19 verstorben sind und solchen, die aufgrund von COVID-19 starben. Es wäre besser, würde man statisch genau wissen, ob COVID-19 Ursache des Todesfalls ist – oder nur eine unschöne Korrelation. 

Dieser Kritikpunkt ist zum Teil richtig, aber vor allem verursacht durch die Meldungen von Todesfällen, in denen zunächst nicht genau differenziert wurde, ob die Menschen ursächlich an COVID-19 verstorben waren oder ob die Menschen eigentlich ganz andere gesundheitliche Probleme hatten – und obendrein noch eine SARS-CoV-2 Infektion bekamen. In Deutschland ist das Meldesystem diesbezüglich umgestellt worden.

Eine reine Behauptung, die sich nicht belegen lässt

Auch sonst bleiben in der Paulus-Akademie fragwürdige Behauptungen unwidersprochen. Schwangere seien angeblich nicht durch COVID-19 gefährdet – was nicht der wissenschaftlichen Erkenntnis entspricht –, aber es gebe Hinweise auf ein schweres Risiko durch die Impfung mit einem neuartigen mRNA Impfstoff, was nicht korrekt ist. Es wird die Frage diskutiert, ob Omikron per se milder verläuft oder eher die zunehmende Basisimmunität für die geringere Pathogenität verantwortlich sei. Es gäbe eine Angstmache vor einer möglicherweise noch schlimmeren Variante.

Der Asthmaspray «Budesonid» sei diskreditiert worden, um den Absatz von therapeutischen monoklonalen Antikörpern zu fördern, behauptet Professor Vernazza. Eine reine Behauptung, die sich nicht belegen lässt. Zum begrenzten Wert der inhalativen Steroidgabe gibt es klinische Studien.

Viele Behauptungen, keine Belege

Weitere Behauptungen lauten: Swissmedic habe die Zulassungskriterien gesenkt, weil sie von der Pharmaindustrie gesponsort werde. Bill und Melinda Gates finanzierten Swissmedic, um Impfstoffe für die Dritte Welt zu beschaffen. Die Impfallianz «Gavi» habe zum Ziel, den Profit der Pharmaindustrie zu steigern. Dabei würden Pharmagewinne bereits mit Steuergeldern gemacht.

Die BionTech-Gründer Sahin und Türeci hätten als Autoren einer «New England Journal of Medicine»-Publikation keine Interessenskonflikte angegeben. Dabei werden in der Publikation und den einsehbaren Erklärungen die Beschäftigungsorte (Firmen) aller Autoren klar genannt einschliesslich der gehaltenen Patente.

Fehlgeburten durch Impfungen?

Insgesamt wird die Verflechtung von Pharmaindustrie, Wissenschaft und der Politik kritisiert – dabei ist das grundsätzlich für alle Wirtschaftsbereiche zutreffend.

Zum Abschluss liefert Kati Schepis ein Feuerwerk an angeblichen schwersten Nebenwirkungen: Spikeproteine verursachten Thrombosen, Krebserkrankungen und die Fehlgeburten nähmen impfbedingt zu. Der Anstieg der Übersterblichkeit in der Schweiz und die Geburtenrückgänge um 15 Prozent hätten keine anderen plausiblen Gründe als die Impfung. Doch auch hierfür hat sie keine wissenschaftlichen Belege.

Es gibt gute Daten – was für die Thesen von Vernazza und Schepis nicht gilt

Die Paulus-Akademie wäre gut beraten gewesen, auf die Bedeutung der Infektion für Folgeerkrankungen einzugehen. Denn hierzu gibt es zum Teil gute Daten – was für die Thesen von Vernazza und Schepis nicht gilt.

Was denkt Dana Sindermann von der Paulus-Akademie mit etwas zeitlicher Distanz über die Veranstaltung Ende November? Die Paulus-Akademie habe ihr «Bestes gegeben, eine ausgewogene Diskussion zu ermöglichen», sagt Dana Sindermann. Diese sei nicht zustande kommen wegen der Absagen. «Gerade die sehr kurzfristige Absage von Fabian Molina finde ich nicht okay, zumal er die Möglichkeit gehabt hätte, sich zu den Aussagen der zwei anderen Podiumsteilnehmenden zu positionieren.»

Und was denkt sie über die Analyse von kath.ch? »Der Artikel vertritt fachlich genau die Perspektive, die uns auf dem Podium gefehlt hat.»


Letztes Abendmahl in Zeiten von Corona | © KNA
13. Januar 2023 | 09:37
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