An seinem 90. Geburtstag: Michael Schnieber (rechts) mit Leutkirchs Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle
International

Vom evangelischen Pfarrerssohn zur katholischen Stimme: Trauer um Michael Schnieber

Michael Schnieber war einer der wichtigsten katholischen Journalisten Süddeutschlands. Wegen der Abendmahlsfrage konvertierte er zum Katholizismus. Egal ob lokaler Immobilien-Skandal oder Flüchtlinge: Schnieber war Vollblut-Journalist und Vollblut-Katholik. Im Alter von 94 Jahren ist er gestorben. Persönliche Erinnerungen von kath.ch-Redaktor Wolfgang Holz.

Wolfgang Holz*  

Als Volontär wird man oft ins kalte Wasser geworfen. An diesem Tag ging es aber nicht um eine herausfordernde journalistische Recherche. Nein, es ging um eine menschliche Notsituation. Ein Redaktionskollege erschien alkoholisiert zum Dienst und bat den Volontär eilends, er möge doch nun an seiner Stelle schnell in die Redaktionskonferenz gehen und die Themen des Ressorts vortragen.

Wolfgang Holz ist kath.ch-Redaktor.
Wolfgang Holz ist kath.ch-Redaktor.

Schnieber löste Problemsituation menschlich

Michael Schnieber, 25 Jahre lang stellvertretender Chefredaktor der «Schwäbischen Zeitung «, hatte an diesem Tag die Redaktionsleitung inne. Selbstverständlich fiel ihm sofort auf, dass anstelle des diensthabenden Ressortleiters unverhofft der Volontär die wichtigsten News des Tages präsentierte. Schnieber liess sich nichts anmerken, kam aber sofort nach der Konferenz ins Ressort.

Michael Schnieber (rechts) bei seiner Verabschiedung. Links sein Nachfolger Rolf Dieterich, in der Mitte Verleger Heinz Gessler.
Michael Schnieber (rechts) bei seiner Verabschiedung. Links sein Nachfolger Rolf Dieterich, in der Mitte Verleger Heinz Gessler.

Als er den alkoholisierten Redaktor erblickte, sagte Schnieber zu ihm: «Sie gehen jetzt einfach nach Hause.» Die restlichen Mitglieder des Ressorts wies er an, ruhig weiterzuarbeiten. Das Problem war für den Moment gelöst. Sachlich. Menschlich. Unaufgeregt.

Souverän und professionell

Ein souveräner und humaner Auftritt von Michael Schnieber, der den damaligen Volontär beeindruckte und ihm bis heute, gut 30 Jahre später als Redaktor bei kath.ch, noch immer unvergessen bleibt.

Schnieber war auch sonst als stellvertretender Chefredaktor stets ein ruhiger und besonnener Zeitgenosse, der Rückgrat zeigte. In Diskussionen und Streitgesprächen unter Journalistinnen und Journalisten versuchte er immer neutral zu bleiben und nach rein professionellen Kriterien zu entscheiden. Ein Journalist von Schrot und Korn. Eine moralische Autorität. Imponierend.

Meinungsstarke, pointierte Kommentare

Als Verfasser gründlich recherchierter Texte und meinungsstarker, pointierter Kommentare ist Michael Schnieber noch heute in bester Erinnerung. Er war fast 30 Jahre lang Ressortleiter für Baden-Württemberg und interessierte sich auch dafür, was in der Schweizer Nachbarschaft lief.

Michael Schnieber, 2019, im Alter von 91 Jahren
Michael Schnieber, 2019, im Alter von 91 Jahren

«Kritisch, gern auch mit spitzer Feder, dabei immer journalistischer Sorgfalt und Fairness verpflichtet – so hat Michael Schnieber über all die Jahre hinweg seine berufliche Aufgabe gesehen», schrieb die Leutkircher Journalistin Sabine Centner anlässlich Michael Schniebers 90. Geburtstag.

Michael Schnieber bewies, dass auch der Lokaljournalismus keine Beisshemmung haben darf. Er deckte einen lokalen Immobilien-Skandal auf. «In bester Lage und in aller Stille», lautete der Titel und behandelte den «Leutkircher Vetterleshang». Oberhalb des idyllischen Stadtweihers hatten sich lokale VIPs schöne Bauplätze geangelt – ohne Ausschreibung, ohne Wettbewerb. 1973 erhielt Michael Schnieber dafür den Wächterpreis der deutschen Tagespresse.

Schlimme Erlebnisse der Kriegsgeneration

Geboren am 31. Mai 1928 in Chemnitz als sechstes Kind einer evangelischen Pfarrersfamilie, hat Michael Schnieber seine Kindheit und Jugend in Chemnitz, Leipzig und Dresden verbracht und teilte die schlimmen Erlebnisse dieser Kriegsgeneration.

Mit 15 Jahren wurde er als Luftwaffenhelfer einberufen. 1945 verlor er bei den Bombenangriffen auf Dresden sein Elternhaus. Mehrere Monate verbrachte er in amerikanisch-französischer Gefangenschaft.

Sonnenuntergang in Leutkirch im Allgäu, Deutschland
Sonnenuntergang in Leutkirch im Allgäu, Deutschland

Seine berufliche Tätigkeit begann der Redaktor 1948 in Bamberg, ehe er 1959 zur «Schwäbischen Zeitung» nach Leutkirch wechselte. 34 Jahre, bis zum Beginn des Ruhestands 1993, blieb er der «Schwäbischen Zeitung» treu. Im Ruhestand diente sein Wissen schliesslich als Grundlage mehrerer Buchproduktionen, wie in Sabine Centners Artikel zu Michael Schniebers 90. Geburtstag nachzulesen ist.

«Die katholische Stimme Oberschwabens»

«Michael Schnieber war über Jahrzehnte hinweg die katholische Stimme Oberschwabens. Das hatte bei ihm allerdings gar nichts Verhocktes an sich», würdigt Joachim Rogosch den Verstorbenen. Der katholische Theologe Joachim Rogosch (66) ist ebenfalls Leutkircher und war Religionsredaktor der «Schwäbischen Zeitung». Später schrieb er das Buch «Wie christlich ist die CDU?».

Joachim Rogosch, katholischer Theologe und Publizist.
Joachim Rogosch, katholischer Theologe und Publizist.

Als Sohn eines evangelischen Pfarrers aus Sachsen sei Schnieber nach dem Zweiten Weltkrieg zur katholischen Kirche konvertiert – des Abendmahlsverständnisses wegen, sagt Rogosch. «Das heisst, dass alle katholischen Vollzüge bei ihm bewusst geschahen. Für den rechten Glauben setzte er sich mit der ihm eigenen Konsequenz ein. Ihm ging es um die Wahrheit, die sich in gelebter Menschlichkeit zu bewähren hatte, im Beruf und privat.»

«Glaubwürdig» und «unbestechlich»

Laut Rogosch gehören zu Schnieber die Attribute «glaubwürdig» und «unbestechlich». «Ob seine Kommentare zur Kirchenpolitik oder zur Freigabe der Abtreibung gelegen oder ungelegen kamen, war ihm egal», versichert Rogosch. «Ganz wie bei dem evangelisch-katholischen Augustinermönch und seinem ‘Hier stehe ich und kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen.’»

Rechts unten: Joachim Rogosch. In der Mitte sitzend: Michael Schnieber.
Rechts unten: Joachim Rogosch. In der Mitte sitzend: Michael Schnieber.

Der Vater dreier Töchter und Grossvater von sechs Enkelkindern war aber nicht nur aufrechter Katholik im journalistischen Sinn. Er zeigte stets auch bürgerschaftliches Engagement. Elf Jahre lang gehörte er dem katholischen Kirchengemeinderat von St. Martin an. Fünf Jahre war er Elternbeiratsvorsitzender der Grundschule Oberer Graben. Schon in den 1990er-Jahren betreute er zusammen mit seiner Frau Flüchtlinge aus Eritrea. 25 Jahre lang begleitete er Sternsingergruppen von Haus zu Haus.

Engagiert für Menschen mit Behinderung

Als Mitglied und langjähriger Vorsitzender des Freundeskreises der St.-Gallus-Hilfe wurde er für seine «engagierte Lobbyarbeit für behinderte Menschen und deren Angehörige» im Jahr 2005 mit dem Ehrenzeichen der Stiftung Liebenau ausgezeichnet.

Mit seiner Frau Elfriede war Schnieber 64 Jahre verheiratet. Sie starb 2021 im Alter von 96 Jahren. Was seine eigene Gesundheit anging, meinte er an seinem 90. Geburtstag damals im Interview mit der «Schwäbischen Zeitung» lapidar: «Ich bin zufrieden – auch wenn sich erste kleine Rostflecken zeigen.» Am 25. Februar ist er im biblischen Alter von 94 Jahren gestorben.

* Wolfgang Holz (60) stammt aus Leutkirch im Allgäu und ist seit 2022 Redaktor bei kath.ch. Von 1991 bis 2001 war er Volontär und Redaktor bei der «Schwäbischen Zeitung».

ZDF-Journalistin Michaela Pilters: «Michael Schnieber gehörte zur grossen alten Garde der Journalisten»

«Michael Schnieber gehörte zur grossen alten Garde der Journalisten. Der langjährige Ressortleiter Landesüberblick und stellvertretende Chefredaktor der «Schwäbischen Zeitung» hat kritischen und engagierten Journalismus stets gepaart mit grosser Menschenfreundlichkeit und Anteilnahme.

Er verband die Nähe des Lokaljournalisten mit der Distanz des politisch Interessierten und nahm auch nach seiner Pensionierung regen Anteil am gesellschaftlichen, politischen und kirchlichen Leben.

Aus seinem Glauben hat der katholische Publizist, der langjähriges Mitglied der Gesellschaft Katholischer Publizisten war, nie ein Geheimnis gemacht: Es war gelebte Selbstverständlichkeit für ihn. Seiner geliebten Familie, den Kindern, Enkel- und Urenkelkindern gilt meine Anteilnahme.»

Michaela Pilters war langjährige Leiterin der katholischen Religionsredaktion des ZDF. Sie würdigt auf Anfrage von kath.ch Michael Schnieber, mit dem sie über die Gesellschaft Katholischer Publizisten verbunden war.» (rr)


An seinem 90. Geburtstag: Michael Schnieber (rechts) mit Leutkirchs Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle | © Sabine Centner
1. März 2023 | 17:41
Lesezeit: ca. 4 Min.
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