Veronika Bachmann
Schweiz

Veronika Bachmann: In der «Sündenfallerzählung» taucht der Begriff Sünde nicht auf

In der Paradieserzählung geht es um die Menschwerdung und das Menschsein. Die Bibel gebe einen Ansporn, einen möglichst guten Umgang zu finden «mit der nicht immer leichten Aufgabe, Mensch zu sein und es mit anderen Menschen zu tun zu haben», sagt die Theologin Veronika Bachmann.

Jacqueline Straub

Sie schreiben im Buch «Bibel falsch verstanden» einen Beitrag über die Paradiesgeschichte. Inwiefern wurde der Sündenfall falsch verstanden?

Veronika Bachmann*: Genau gesehen schreibe ich im Buch nur über die Schlange im Garten Eden, die man im Christentum mit dem Teufel gleichzusetzen begann. Aber tatsächlich ist es schon allein die Bezeichnung «Sündenfallerzählung», die nicht auf den Text passt, wenn man genau liest, was in der Bibel steht.

«Der Begriff ‹Sünde› oder ‹Sündenfall› taucht nicht auf.»

Inwiefern?

Bachmann: Mit der Geschichte von der Erschaffung der Menschen im Garten Eden liegt uns eine theologisch tiefsinnige, aber zugleich unterhaltsame Erzählung über das Menschsein und insbesondere über den Unterschied zwischen Menschen und Gott vor.

Adam und Eva, Orvieto.
Adam und Eva, Orvieto.

Die Paradiesgeschichte wird immer mit dem Sündenfall in Verbindung gebracht. Taucht der Begriff «Sünde» in dieser Erzählung auf?

Bachmann: Nein, der Begriff «Sünde» oder «Sündenfall» taucht nicht auf. Erzählt wird, wie die Menschen überhaupt dazu gekommen sind, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, um dann – in der Konsequenz – bewusst schlecht oder gut handeln zu können. Die biblischen Texte setzen voraus, dass Menschen zu dieser Unterscheidung fähig sind. Die Paradieserzählung erklärt, wie es dazu kam. Und sie setzt voraus, dass wir Menschen über diese Unterscheidungsfähigkeit ein Stück gottgleich sind. Am Ende der Erzählung will Gott vermeiden, dass die Menschen auch noch von der Frucht des Lebensbaumes essen. Damit nämlich würden sie unsterblich und tatsächlich gottgleich werden. Gott verbannt sie daher aus dem Garten Eden.

Brudermord. Hauptportal des Doms von Speyer
Brudermord. Hauptportal des Doms von Speyer

Das Buch Genesis schreibt weder vom Teufel noch von Sünde. Von was dann?

Bachmann: Die Paradieserzählung versucht vor allem zu erklären, warum Menschen so sind, wie man sie kannte: Als Wesen, die sich verfehlen, die grundsätzlich aber auch an einem guten Lebenswandel festhalten können. Davon, dass es verlockend sein kann, gerade in schwierigen Momenten nicht auf guten Pfaden zu bleiben, handelt dann die direkt an die Paradiesgeschichte anschliessende Erzählung von Kain und Abel.

Kain tötete Abel…

Bachmann: Kain konnte es nicht verkraften, dass Gott nur das Opfer seines Bruders, aber nicht auch sein Opfer angenommen hat. Abel deswegen zu töten, wird im Text als Sünde hingestellt, der Kain trotz Kränkung nicht hätte verfallen sollen.

«Beide biblischen Erzählungen wollen gar nicht den Ursprung des Bösen erklären.»

Bei der Erzählung von Kain und Abel taucht offensichtlich der Begriff der Sünde auf.

Bachmann: Genau. Wenn man in der Bibel eine Sündenfallerzählung finden möchte, wäre also diese Erzählung passender als die Paradieserzählung. Beide biblischen Erzählungen wollen aber eben eigentlich gar nicht den Ursprung des Bösen erklären.

Sondern?

Bachmann: Sie wollen Menschen eher einen Spiegel vorhalten und ihnen zeigen, wie sie sind. Dass die Unterscheidungsfähigkeit zwischen Gut und Böse als göttlicher Zug gedeutet wird, finde ich dabei sehr spannend. Für mich wird damit greifbar, dass man schon in biblischer Zeit sehr gut darum wusste, wie gross die Verantwortung der Menschen für das Wohlergehen der Welt ist – und dass mit dem Scheitern der Menschen auch viel auf dem Spiel steht.

Adam und Eva im Paradies: Glasfenster der Kapelle am Zürcher Unispital.
Adam und Eva im Paradies: Glasfenster der Kapelle am Zürcher Unispital.

Die kirchliche Tradition sieht die Vertreibung aus dem Paradies durchweg negativ. Wie schaut das Buch Genesis darauf?

Bachmann: Mir scheint es im positiven Sinne um Menschwerdung zu gehen, die in der Paradieserzählung beschrieben wird. Die Alternative zu unserem durchaus anstrengenden Leben, das noch dazu durch eigenes und fremdes Fehlverhalten sehr leidvoll sein kann, würde darin bestehen, gewissermassen blind im Garten Eden zu leben. Die Bibel gibt uns einen Ansporn, mit der nicht immer leichten Aufgabe, Mensch zu sein und es mit anderen Menschen zu tun zu haben, einen möglichst guten Umgang zu finden. Dass Gott durchaus an der Menschheit verzweifeln kann, wenn sie dies nicht schafft und in Spiralen von Gewalt und Übel hineinrutscht, davon handelt die biblische Sintfluterzählung ein paar Kapitel später. Das wäre eine nächste spannende Erzählung für ein Gespräch.

*Veronika Bachmann ist habilitierte Alttestamentlerin. Sie leitet den Fachbereich «Theologie und Religion» an der Paulus Akademie in Zürich. Sie ist zudem Privatdozentin an der Universität Tübingen.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Das Buch «Bibel falsch verstanden. Hartnäckige Fehldeutungen biblischer Texte erklärt» von Thomas Hieke und Konrad Huber ist im Verlag Katholisches Bibelwerk erschienen. Darin schreibt Veronika Bachmann einen Beitrag zu «Adam und Eva – durch Satan zu Fall gebracht?»


Veronika Bachmann | © Jacqueline Straub
13. August 2023 | 07:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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