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Kommentar

Vatikan muss in Sachen Missbrauch handeln und Archive öffnen

Der Bericht der Zürcher Historikerinnen und Historiker hat es in sich. Er zeigt: Akten zu sexuellem Missbrauch wurden teilweise vernichtet. Archive wurden unseriös geführt. Das systemische Problem bleibt bestehen, solange die Nuntiatur in Bern und der Vatikan abblocken. Aufarbeitung ist dann nur im Stückwerk möglich.

Charles Martig

Der Bericht der Universität Zürich legt ein System offen. In der katholischen Kirche der Schweiz wird vertuscht und verdrängt – bis heute. Exemplarische Fälle im Bericht des Pilotprojekts zeigen auf, dass es nicht am guten Willen liegt. Der Kulturwandel hat schlicht und einfach nicht stattgefunden. Die Kirche hat ein systemisches Problem.

«Der Schock der Pilotstudie sitzt tief.»

Nur so lässt sich erklären, dass sowohl Renata Asal-Steger, RKZ-Präsidentin, als auch Bischof Joseph Bonnemain an der Medienkonferenz vom 12. September diesen Kulturwandel dezidiert forderten. Der Schock der Pilotstudie sitzt demnach tief.

Renata Asal-Steger (l.) und Bischof Joseph Bonnemain an der Pressekonferenz zur Pilotstudie.
Renata Asal-Steger (l.) und Bischof Joseph Bonnemain an der Pressekonferenz zur Pilotstudie.

Die Bischofskonferenz wartet mit einem ganzen Massnahmenplan auf: Einführung einer nationalen unabhängigen Meldestelle, Verbot der Aktenvernichtung in Missbrauchsfällen, psychologische Tests für angehende Mitarbeitende. Es ist ein nachvollziehbares Paket. Aber es ist lediglich ein Plan. Seit Jahren fordern Missbrauchsbetroffene grundlegende Haltungsänderungen in der Kirche.

«Wir schauen auf die berühmte ‹Spitze des Eisbergs›.»

Die Pilotstudie zu sexuellen Übergriffen in der katholischen Kirche hat nach einem Jahr 1002 Fälle zum Vorschein gebracht. In den nächsten drei Jahren – bei der Fortsetzung des Forschungsprojekts, die bereits für 2024-2026 in Auftrag gegeben ist – werden es noch viele mehr werden. Wir schauen auf die berühmte «Spitze des Eisbergs», wie die Historikerin Marietta Meier es nennt.

Projektleiterinnen der Pilotstudie: Marietta Meier (l.) und Monika Dommann.
Projektleiterinnen der Pilotstudie: Marietta Meier (l.) und Monika Dommann.

«Viele Priester wurden international versetzt. Ihre Spuren verlieren sich.»

Die Pilotstudie konzentriert sich auf die Schweiz. Sie zeigt aber auch auf, dass viele Priester international versetzt wurden, sobald bekannt wurde, dass sie sexuelle Übergriffe begangen hatten. Die Spuren verlieren sich in den Schweizer Nachbarländern – auch in Liechtenstein – sowie in den Missionen.

Für die historische Forschung ist es entscheidend, dass die apostolischen Archive ebenfalls geöffnet werden. Nur so können internationale Versetzungen und Sexualdelikte von Priestern nachverfolgt werden. Hier sperrt sich aber die Nuntiatur in Bern. Papstbotschafter Martin Krebs hat der Universität Zürich eine Absage erteilt. Das hinterlässt einen «katholischen Geschmack», wie es der Jesuit Klaus Mertens nennen würde.

«Wichtig wären die Missbrauchsakten aus dem vatikanischen Archiv.»

Noch wichtiger wären die Missbrauchsakten aus dem vatikanischen Archiv. Seit der Meldepflicht bei sexuellen Übergriffen an Minderjährigen gehen die Akten von verdächtigten oder straffälligen Priestern direkt an das Dikasterium für die Glaubenslehre. Für die weitere historische Forschung ist es entscheidend, dass die Historikerinnen Zugang zum Vatikan erhalten.

Blick in die Räume des Archives im Vatikan.
Blick in die Räume des Archives im Vatikan.

Bischof Joseph Bonnemain hat an der heutigen Medienkonferenz versprochen, dass er persönlich bei Papst Franziskus vorstellig wird, falls die römische Kurie den Zugang zu den Missbrauchsakten abblockt. Bonnemain sagt dazu: «Ich bin überzeugt, dass diese Öffnung der vatikanischen Archive kommen wird. Wenn nötig, werde ich mich mit diesem Anliegen persönlich an den Papst wenden.»

Ob es nur Floskeln waren, wird sich zeigen. Fest steht aber: An dieser Aussage wird er in Zukunft gemessen werden.

Bischof Joseph Maria Bonnemain vor den Medien
Bischof Joseph Maria Bonnemain vor den Medien

«Das Vertuschen, Versetzen und das Nicht-Melden von Tätern widerspricht der christlichen Moral.»

Das Vertuschen, Versetzen und das Nicht-Melden von Tätern widerspricht der christlichen Moral – das dürfte auch schon vor der Veröffentlichung der Pilotstudie allen klar gewesen sein. Dürfte. Denn gerade laufen apostolische Voruntersuchungen gegen vier amtierende Bischöfe. Sie sollen Missbrauch vertuscht und Täter gedeckt haben. Ein aktives Mitglied der SBK soll gar selbst missbraucht haben.

Die Voruntersuchung gegen die Schweizer Bischöfe ging am 23. Juni vom Vatikan aus. Nun ist es auch an der römischen Kurie, dass sie die Archive mit den Missbrauchsakten aus der Schweiz freigibt. Nur so kann Glaubwürdigkeit wieder hergestellt werden.


Chefredaktor Charles Martig im Newsroom von kath.ch | © Regula Pfeifer
12. September 2023 | 17:28
Lesezeit: ca. 3 Min.
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