Valentin Groebner
Schweiz

Valentin Groebner: «Das Vergnügen an den Dingen und religiöse Überzeugungen sind problemlos vereinbar»

In seinem neuen Buch schreibt der Kulturhistoriker und Geschichtsprofessor Valentin Groebner übers Aufheben und Wegwerfen. In der aktuellen Folge des Podcasts «Laut und Leis» erzählt er von Lieblingsgegenständen wie seinem Komboloi, einer Art griechischem Rosenkranz. Er erklärt, wann Dinge zur Last werden können und weshalb der Wunsch nach Reduktion so verlockend ist.

Sandra Leis

Im Büro des Geschichtsprofessors Valentin Groebner an der Universität Luzern reichen die Bücher-Regale bis zur Decke. Doch, welch eine Überraschung, ein paar Regale sind leer. «Über jedes leere Regal bin ich wahnsinnig froh und auch ein bisschen stolz. Denn vorher standen die Bücher zweireihig. Es war alles voll, und ich habe nichts mehr gefunden», sagt Groebner.

Das Aufräumen sorgte für mehr Ordnung, und es liess ihn auf Bücher, Notizen und Briefe stossen, die er komplett vergessen hatte und die ihm jetzt nützlich sind für künftige Forschungsprojekte.

Auslöser war das Sortieren des Nachlasses der Eltern

«Aufheben, Wegwerfen. Vom Umgang mit schönen Dingen», so heisst das neue Buch von Valentin Groebner. Das Thema beschäftigt ihn, seit er sich vor einiger Zeit mit dem Nachlass seiner Eltern beschäftigen musste. Was bleibt, was kommt weg?

Pflanzen in einer Wohnung
Pflanzen in einer Wohnung

Er sei sehr froh, dass er nicht jeden einzelnen Gegenstand aus dem Haushalt seiner Eltern in die Hand habe nehmen und entscheiden müssen, was damit passieren soll. Er habe das mit seinen Brüdern gemeinsam gemacht, sagt Groebner. «Und da geht’s dann ganz schnell, dass jemand sagt, das möchte ich haben. Und ein anderer sagt, das möchte ich echt nicht haben, das lassen wir jetzt zum Verschwinden bringen.»

Ist der Briefwechsel zwischen den Grosseltern erhaltenswert?

Gleichwohl nennt der gebürtige Wiener drei Kriterien, nach denen er den Nachlass sortiert hat: Handelt es sich um eine Kuriosität? Ist das Ding schön und haltbar? Gibt es einen Zeugniswert? Das heisst zum Beispiel: Ist der Briefwechsel zwischen den Grosseltern mütterlicherseits erhaltenswert, weil er 80 oder 90 Jahre alt ist?

Selbst die Hutterer erlauben den Besitz einer «Kischte»

In der Bergpredigt sagt Jesus: «Sammelt Euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen. Sondern sammelt Euch Schätze auf Erden.»

Jesus auf dem Priestermantel.
Jesus auf dem Priestermantel.

Diese Maxime dürfe man nicht allzu eng auslegen, sagt Groebner und verweist auf den Historikerkollegen Frank Trentmann und dessen Buch «Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute» (erschienen 2017). Trentmann mache klar, dass religiöse Überzeugungen und materieller Besitz sich nirgendwo und zu keiner Zeit in einem strikten Gegensatz befunden haben. Weder im Christentum noch im Islam noch im Buddhismus. Das heisst: «Das Vergnügen an den Dingen und feste religiöse Überzeugungen sind problemlos vereinbar.»

Selbst die Religionsgemeinschaft der Hutterer, die bis heute keinen Privatbesitz kennt, erlaubt jeder erwachsenen Person den Besitz einer sogenannten «Kischte» für die persönlichsten Utensilien.

Die lange Tradition der Gebetsketten

Religionsgemeinschaften zelebrieren ihren Glauben auch mittels Gegenständen. Sehr beliebt sind etwa Gebetsketten: Der Islam kennt sie, der Hinduismus; hoch im Kurs sind sie auch in der katholischen Tradition mit dem Rosenkranz.

«Gebetsketten sind Erinnerungsstützen, damit man die richtige Anzahl zur richtigen Zeit nicht wieder vergisst, um beispielsweise die schönsten 99 Namen Allahs aufzuzählen», sagt Groebner. Etwas in den Fingern zu haben, sei sehr hilfreich, weil Kopf und Körper zusammen funktionieren.

Ein Komboloi in der Hosentasche beruhigt

In seiner Hosentasche trägt Valentin Groebner ein Komboloi, eine Art griechischen Rosenkranz. Entdeckt hat er es vor vielen Jahren auf einem Flohmarkt in Boston und wollte es unbedingt haben. Nicht aus religiösen, sondern aus persönlichen Gründen: «Kleine geschliffene Steine an einer Schnur in der Hosentasche zu haben, beruhigt. Man kann mit der Kette herumspielen. Sie ist schön, hat das richtige Gewicht, und sie macht freundliche kleine Geräusche, wenn die Perlen aneinanderstossen.»

Eigentum verpflichtet und kann zur Last werden

Eigentum ist nicht nur schön und beruhigend, Eigentum verpflichtet auch. Die Dinge müssen gepflegt, gewartet und abgestaubt werden. «Das Akkumulieren und Bewahren ist eine grosse und fast unerfüllbare Aufgabe; und ein Gefängnis, das man selbst gebaut und bezahlt hat», schreibt Groebner.

Gefängnis sei ein sehr starkes Wort, sagt er im Podcast. «Doch die Last des eigenen Sammelns würde ich nicht unterschätzen. Das heisst, die Art und Weise, wie die eigenen Besitztümer ab einem bestimmten Zeitpunkt auch die eigene Beweglichkeit und Bewegungsfreiheit einschränkt.»

Die Sehnsucht nach Reduktion und Einfachheit

Deshalb erstaunt es auch nicht, dass insbesondere Menschen aus den Wohlstandsländern sich nach Reduktion und Einfachheit sehnen. Slogans wie «Simplicity is beautiful» oder Bücher wie «Magic Cleaning» von Marie Kondo finden ihr Publikum immer wieder aufs Neue. Und das Schöne dabei: «Reduktion ist so verlockend, weil sie wie eine Fastenkur nie endgültig ist: Man kann jederzeit zurückkehren in die Welt der überflüssigen Dinge, aber gereinigt und geschmückt mit dem Glamour der eigenen Askese.»

Es sind solche Sätze, welche die Lektüre des Buches zu einem erkenntnisreichen Vergnügen machen.

Das Buch: Valentin Groebner: «Aufheben, wegwerfen. Vom Umgang mit schönen Dingen», Konstanz University Press 2023. 174 Seiten.


Valentin Groebner | © Sandra Leis
25. August 2023 | 06:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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