Der Moskauer Patriarch Kyrill I. (links) und Metropolit Hilarion.
Story der Woche

Ukrainischer Vatikan-Botschafter: Kyrill und Hilarion sind mitverantwortlich für alle Gräueltaten

Seit 100 Tagen herrscht Krieg in der Ukraine. «Ich bedauere sehr, dass die EU sich nicht auf Sanktionen gegen Patriarch Kyrill einigen konnte», sagt der ukrainische Vatikan-Botschafter Andrii Yurash. Er schätzt Papst Franziskus und Kurienkardinal Kurt Koch.

Raphael Rauch

Engagiert sich Papst Franziskus genug für die Ukraine?

Andrii Yurash*: Ich stehe in einem fruchtbaren Austausch mit dem Heiligen Vater. Er unterstützt die Ukraine, wo er nur kann. Eine besondere Geste bedeutet uns sehr viel: Der Heilige Vater hat eine alte Ikone aus der Ukraine aus dem Vatikanischen Museum zu sich geholt. Eigentlich ist die Ikone restaurierungsbedürftig. Aber der Papst hat sie in seinem Privatzimmer aufgestellt und betet vor ihr jeden Tag für die Ukraine. 

Andrij Jurasch, Botschafter der Ukraine beim Heiligen Stuhl, und Papst Franziskus am 7. April 2022 im Vatikan.
Andrij Jurasch, Botschafter der Ukraine beim Heiligen Stuhl, und Papst Franziskus am 7. April 2022 im Vatikan.

Wie bewerten Sie die Arbeit von Kurienkardinal Kurt Koch, dem vatikanischen Ökumene-Minister?

Yurash: Kurt Koch ist eine sehr wichtige Person für die Beziehungen zur Ökumene, also auch zur orthodoxen Welt. Ich habe ihn kürzlich getroffen. Das Treffen sollte eine halbe Stunde lang gehen – am Ende wurden es fast anderthalb Stunden. Kurt Koch wollte alle Details zur aktuellen Situation in der Ukraine wissen. Ich bin dem Kardinal sehr dankbar dafür, dass er sich dafür eingesetzt hat, dass Papst Franziskus das geplante Treffen mit Patriarch Kyrill absagt. Kurt Koch hat verstanden, dass es aufgrund der geopolitischen Situation das falsche Signal wäre, wenn der Heilige Vater den Patriarchen treffen würde. Schliesslich unterstützt Kyrill Putins Angriffskrieg.

Kurienkardinal Kurt Koch (rechts) mit dem Botschafter der Ukraine am Heiligen Stuhl, Andrii Yurash.
Kurienkardinal Kurt Koch (rechts) mit dem Botschafter der Ukraine am Heiligen Stuhl, Andrii Yurash.

Ist Ihnen Kardinal Koch nicht zu diplomatisch?

Yurash: Die Situation ist für ihn nicht einfach. Über viele Jahre stand er in regem Austausch mit Moskau. Nicht nur mit Metropolit Hilarion, sondern mit vielen Persönlichkeiten der russischen Kirche. Nun muss er seinen bisherigen Kurs korrigieren. Was hilfreich ist: Ich kenne Kardinal Koch bereits aus Istanbul. Zum Fest des Heiligen Andreas gibt es jedes Jahr eine Delegation des Heiligen Stuhls, die den Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus besucht. Ich war acht Jahre lang für die ukrainische Regierung für Religionsfragen zuständig. Von daher bin ich Kurt Koch mehrmals in Istanbul begegnet. Seine Ansprachen und Einschätzungen sind mir immer sehr positiv aufgefallen. Wir haben einen guten Draht und unser Kontakt wird auch künftig sehr produktiv sein.

Andrii Yurash, Botschafter der Ukraine beim Heiligen Stuhl
Andrii Yurash, Botschafter der Ukraine beim Heiligen Stuhl

Wie schätzen Sie den Moskauer Aussenminister ein, Metropolit Hilarion?

Yurash: Hilarion hat zwei Gesichter. In der Schweiz und in der westlichen Welt zeigt er ein freundliches Gesicht. Er inszeniert sich als Brückenbauer zwischen dem Westen und der russisch-orthodoxen Kirche. Dabei schweigt er zum Kriegstreiben Putins und zur metaphysischen Legitimation des Krieges durch Patriarch Kyrill. Er distanziert sich nicht – dabei bedeutet Schweigen Zustimmung. Ich bedauere sehr, dass die EU sich nicht auf Sanktionen gegen Patriarch Kyrill einigen konnte. Dabei sind Kyrill und Hilarion mitverantwortlich für alle Gräueltaten, die wir gerade in dieser schrecklichen, barbarischen Situation erleben.

"Public Eye" macht auf Verbindungen von Patriarch Kyrill zur Schweiz aufmerksam.
"Public Eye" macht auf Verbindungen von Patriarch Kyrill zur Schweiz aufmerksam.

Kyrill soll ein Chalet und Bankvermögen in der Schweiz besitzen.

Yurash: Wie alle Oligarchen, die Putins Krieg unterstützen, muss auch Kyrills Vermögen blockiert werden. Kyrill tut nichts, um den Krieg zu beenden – und ist daher mitverantwortlich.

Andrii Yurash, Botschafter der Ukraine beim Heiligen Stuhl, und Papst Franziskus am 7. April 2022 im Vatikan.
Andrii Yurash, Botschafter der Ukraine beim Heiligen Stuhl, und Papst Franziskus am 7. April 2022 im Vatikan.

Wie schätzen Sie die Entwicklungen der letzten Woche ein? Die russisch-orthodoxe Kirche in Kiew hat sich von Moskau distanziert. Ist das Symbolpolitik – oder werden gerade die kirchlichen Karten in der Ukraine neu gemischt?

Yurash: Ich denke, es ist eine Kombination aus beidem. Ohne den Krieg gäbe es diesen Schritt nicht. Was die Synode letzten Freitag beschlossen hat, ist eine Antwort auf die neuen Realitäten, in denen wir seit dem 24. Februar leben. Die orthodoxe Kirche will sich nicht weiter von Moskau vereinnahmen lassen, weil sie sonst für die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht mehr glaubwürdig wäre. Was der Schritt von letzter Woche genau bedeutet, wissen wir aber noch nicht. Es gibt, Stand heute, noch keine schriftliche, veröffentlichte Version des Kirchenstatuts. Und bis heute fehlen zwei entscheidende Stichworte: Autonomie oder Autokephalie, also die kirchenrechtliche Unabhängigkeit von Nationalkirchen.

Maria und die Kiewer Sophienkathedrale: Dieses Bild hängt in der Botschaft der Ukraine beim Heiligen Stuhl.
Maria und die Kiewer Sophienkathedrale: Dieses Bild hängt in der Botschaft der Ukraine beim Heiligen Stuhl.

Welche Position nimmt Ihre Regierung in diesem Konflikt ein?

Yurash: In der Ukraine sind Kirche und Staat getrennt. Von daher halten wir uns zurück und können nur eine Bewertung abgeben, wenn es um juristische Fragen geht. Der aktuelle, unklare Zustand ist für uns nicht ideal – aber die Regierung mischt sich nicht ein. Mit Sorge beobachten wir, dass drei Diözesen weiterhin zu Moskau gehören wollen, etwa die Diözesen auf der Krim. Dies deutet darauf hin, dass sich durch die Beschlüsse der Synode tatsächlich etwas tut. Es gibt sehr intensive Verhandlungen mit der Moskauer Synode. Denn Moskau hat offiziell erklärt, dass jede Entscheidung, die in Kiew getroffen wird, von der Moskauer Synode genehmigt werden muss. 

Gelebte Ökumene: Fotos von Patriarch Bartholomäus und Papst Franziskus in der Botschaft der Ukraine beim Heiligen Stuhl.
Gelebte Ökumene: Fotos von Patriarch Bartholomäus und Papst Franziskus in der Botschaft der Ukraine beim Heiligen Stuhl.

Diplomatie lebt auch von «soft power». Wie wichtig war der Sieg der ukrainischen Gruppe «Kalush Orchestra» beim Eurovision Song Contest für die Moral der Ukrainerinnen und Ukrainer?

Yurash: Die Ukraine hat nicht erst beim Eurovision Song Contest gewonnen, sondern kurz nach dem Angriff Putins am 24. Februar. Niemand hat mit dem Kampfgeist und dem Durchhaltewillen der ukrainischen Nation gerechnet. Alle gingen davon aus, dass die Ukraine in zwei oder drei Tagen fallen wird. Doch jetzt weiss die internationale Gemeinschaft: Diesen Krieg wird die Ukraine gewinnen. Wir werden unsere Unabhängigkeit bewahren und unser Territorium zurückerobern.

* Andrii Yurash (53) ist seit März 2022 Botschafter der Ukraine beim Heiligen Stuhl. Von 2014–2020 war er Direktor der Abteilung für religiöse und ethnische Angelegenheiten des Kulturministeriums und von 2020 bis zu seinem Amtsantritt in Rom Leiter der Abteilung für religiöse Angelegenheiten im Sekretariat des Ministerkabinetts. Andrii Yurash hat vorletzte Woche Erzbischof Paul Richard Gallagher, den vatikanischen Aussenminister, in die Ukraine begleitet. 


Der Moskauer Patriarch Kyrill I. (links) und Metropolit Hilarion. | © zVg
3. Juni 2022 | 05:00
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