Video-Konferenz in Rom im März 2022: Papst Franziskus und Kardinal Kurt Koch mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill und Metropolit Hilarion.
Schweiz

Kurt Koch kritisiert Patriarch Kyrill: «Ein solches Verhalten muss jedes ökumenische Herz erschüttern»

Kurienkardinal Kurt Koch (72) verteidigt die Vatikan-Diplomatie: Der Schlüssel zum Frieden in der Ukraine liege in Moskau. Deswegen halte Papst Franziskus «alle Türen offen». Koch sagt, er sei erschüttert, dass Patriarch Kyrill den Krieg religiös legitimiere.

Raphael Rauch

Der Heilige Stuhl und die Schweiz intensivieren ihre Zusammenarbeit. Wie erleben Sie Ihr Heimatland im Ukraine-Krieg?

Kurienkardinal Kurt Koch*: Wir erleben eine neue Situation. Die Schweiz diskutiert die Frage der Neutralität neu. Bundespräsident Cassis ist in Bern an einer Friedensdemonstration aufgetreten, zu der Präsident Selenskyj zugeschaltet wurde. Nationalratspräsidentin Kälin ist in die Ukraine gereist. Sie begründet ihre Reise damit: Wir müssen auf der Seite des Völkerrechts stehen. Bereits früher haben Bundesräte betont, dass Neutralität und Solidarität zusammengehören. Dies finde ich richtig.

Auf schwieriger Mission: Kardinal Kurt Koch in Rom.
Auf schwieriger Mission: Kardinal Kurt Koch in Rom.

Ist Papst Franziskus ein Putin-Versteher?

Koch: Papst Franziskus will den Krieg beenden – auch indem er alle Türen offen lassen will, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn man die Türe zuschlägt zu Akteuren, die den Schlüssel für den Frieden in der Hand haben, kommt man dem Frieden nicht näher. Der russische Präsident ist zweimal in Rom beim Papst gewesen. Direkt nach Beginn des Kriegs ist der Papst zur russischen Botschaft beim Vatikan gegangen. Das macht sonst kein Staatsoberhaupt. Normalerweise werden die Botschafter einbestellt. Der Papst tut alles, was in seiner Macht steht, um auf den Frieden hinzuwirken.

«Wir sind nicht Kleriker des Staates, wir sind Hirten für das Volk – und müssen gemeinsam Lösungen für den Frieden finden.»

Kurt Koch zitiert Papst Franziskus.

Sie waren bei der Video-Konferenz dabei, als der Papst mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill und Metropolit Hilarion gesprochen hat. Wie haben Sie das Gespräch erlebt?

Koch: Der Papst hat zuerst den Patriarchen reden lassen. Er hat ausführlich seine Sicht von den Ursachen für den Krieg dargelegt. Der Papst ist auf diese politische Sicht nicht eingetreten, sondern hat klargestellt: Wir sind nicht Kleriker des Staates, wir sind Hirten für das Volk – und müssen gemeinsam Lösungen für den Frieden finden. 

Der russische Patriarch Kyrill in der Osternacht.
Der russische Patriarch Kyrill in der Osternacht.

Dem «Domradio» haben Sie gesagt, Sie sind sich nicht sicher, ob diese Botschaft beim Patriarchen angekommen ist.

Koch: Was ich damit meinte: Ich kann nicht in das Herz des Patriarchen sehen. Ich kann nur sehen, wie er reagiert.

«Wir müssen dranbleiben.»

Was ist das für ein Gefühl, an einer Video-Konferenz teilzunehmen, die Weltgeschichte schreiben könnte – man das Gegenüber aber nicht überzeugen kann?

Koch: Der Krieg in der Ukraine ist schrecklich und, wie der Papst immer wieder betont, absurd. Und er ist für so viele Menschen tödlich. Man muss deshalb alles tun, um diesen furchtbaren und sinnlosen Krieg zu beenden. Auch wenn man bei diesem Bemühen Rückschläge in den diplomatischen Beziehungen in Kauf nehmen muss, muss man dranbleiben.

Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. Hier bei einem Treffen in Havanna, 2016.
Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. Hier bei einem Treffen in Havanna, 2016.

Eines Ihrer Highlights als Kardinal war die Begegnung von Franziskus und Kyrill auf Havanna und die Unterzeichnung der Erklärung von Havanna. Müssen wir diese Begegnung nun relativieren?

Koch: Ich zähle die Begegnung von Havanna nicht zu meinen Verdiensten. Ohne die Initiative und den Willen von Patriarch Kyrill wäre es nicht zu diesem Treffen gekommen. Heute haben die Beziehungen einen völlig anderen Charakter erhalten. Denn wenn ein derart furchtbarer Krieg sogar religiös legitimiert wird, muss ein solches Verhalten jedes ökumenische Herz erschüttern. Ich bin deshalb froh, dass Papst Franziskus das im Juni vorgesehene Treffen mit Patriarch Kyrill abgesagt hat. Es wäre wohl zum grössten Teil missverstanden worden. Dennoch muss der Dialog weitergeführt werden.

Wladimir Putin bekreuzigt sich in der Osternacht 2022.
Wladimir Putin bekreuzigt sich in der Osternacht 2022.

Wann wird der Papst nach Moskau reisen, um Putin zu treffen?

Koch: Bislang hat der Papst vom russischen Präsidenten keine Antwort auf seinen Wunsch erhalten.

«Weitere Gespräche haben nicht mehr stattgefunden.»

Was sagt Metropolit Hilarion, der Aussenbeauftragte des Moskauer Patriarchats?

Koch: Nach dem Zoom-Meeting habe ich dem Metropoliten nur noch die Absage des Treffens im Juni mitgeteilt. Weitere Gespräche haben nicht mehr stattgefunden.

Ökumene-Beraterin Barbara Hallensleben und Kurt Koch beim Ratzinger-Schülerkreis-Treffen im September 2021.
Ökumene-Beraterin Barbara Hallensleben und Kurt Koch beim Ratzinger-Schülerkreis-Treffen im September 2021.

In den letzten Tagen hatten Sie die Vollversammlung des vatikanischen Ökumenerates. Welchen Impuls nehmen Sie aus der Ukraine mit?

Koch: Wir hatten eine lange Zoom-Sitzung mit Grosserzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, der uns eingehend über die Situation in der Ukraine berichtet hat. Diese hybride Begegnung ist sehr bewegend gewesen. Er hat uns auch mitgeteilt, dass sein Name oben auf der Liste der Menschen, die umgebracht werden sollten, gestanden hat. Aber er lebt in einer grossen Zuversicht. Ich erlebe die griechisch-katholische Kirche in der Ukraine als eine sehr gläubige Gemeinschaft, die auch in den dramatischen Ereignissen aus dem Glauben Hoffnung schöpft.

«Darüber entscheidet der Papst und nicht Pater Werlen.»

Der frühere Abt von Einsiedeln, Martin Werlen, stellt öffentlich die Frage: Wann reisen Sie nach Kiew?

Koch: Er hat meines Wissens nicht gefragt, sondern den Papst aufgefordert, auch mich nach Kiew zu schicken. Meine Antwort: Wenn mein Kommen in der Ukraine gewünscht wird und der Papst damit einverstanden ist, werde ich nach Kiew reisen. Aber darüber entscheidet der Papst und nicht Pater Werlen. Zudem teile ich seine Meinung nicht, dass man in Moskau auf mich hören würde, wenn man dort nicht einmal auf den Papst hört.

* Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch (72) ist Präsident des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen, also Franziskus’ Ökumene-Minister.


Video-Konferenz in Rom im März 2022: Papst Franziskus und Kardinal Kurt Koch mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill und Metropolit Hilarion. | © KNA
7. Mai 2022 | 16:44
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