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True Crime in der Schweizergarde: Dreifachmord vor 25 Jahren gibt weiter Rätsel auf

Am 4. Mai 1998 sorgte eine Bluttat für Entsetzen: Ein Schweizergardist erschoss seinen Kommandanten, dessen Ehefrau und sich selbst. Früh gab der Tathergang Anlass zu Spekulationen.

Johannes Schidelko

Das Motiv für die Kurzschlusshandlung des 23-jährigen Wallisers Cedric Tornay schien rasch gefunden: verletztes militärisches Ehrgefühl. Der neue Kommandant, Alois Estermann, soll ihn gemassregelt und ihm eine erwartete Auszeichnung verweigert haben – was fatale Folgen für die berufliche Zukunft des jungen Gardisten gehabt hätte.

Der Ablauf der Bluttat war schnell erhellt: Tornay drang in die Dienstwohnung Estermanns ein, tötete ihn mit zwei Schüssen, verletzte dessen Frau tödlich mit einer einzigen Kugel. Und starb dann selbst an den Folgen eines weiteren Schusses.

Mord wenige Stunden nach Ernennung zum Kommandanten

Erst am Mittag des Mordtages hatte Papst Johannes Paul II. Estermann zum Kommandanten der Schweizer Garde ernannt. Estermann war 1980 als Quereinsteiger zur Garde gekommen. Bereits ein Jahr später hatte er sich hohe Verdienste bei der Rettung des Papstes beim Attentat vom Petersplatz erworben.

Attentat auf Papst Johannes Paul II.
Attentat auf Papst Johannes Paul II.

Der Dreifach-Mord passierte am 4. Mai. Er fiel also mitten in die Vorbereitungen zum Gardefest zwei Tage später. Am 6. Mai wird dem «Sacco di Roma» 1527 gedacht. An diesem Tag retteten die Schweizer Söldner den Papst vor marodierenden Landsknechten und verloren dabei 147 Mann. Bis heute werden am 6. Mai die neuen Rekruten vereidigt. 1998 aber fand anstelle des Zeremoniells die Aufbahrung dreier Leichen in der Gardekapelle statt

Wilde Spekulationen über Motive

Trotz rascher Aufklärung durch den Vatikan kam es schnell zu Spekulationen. War noch eine vierte Person im Zimmer? Auf dem Tisch standen vier Gläser. Und warum hatte niemand die Schüsse gehört? Ein Nachbar sprach nur von dumpfen Geräuschen. Steckte dahinter eine Spionage-Geschichte, eine Lovestory, ein Eifersuchtsdrama? Hatte Tornay eine Affäre mit der Kommandantengattin, eine homosexuelle Beziehung zu deren Mann? Oder handelte es sich gar um eine Dreierbeziehung?

Alois Estermann wenige Stunden vor seiner Ermordung
Alois Estermann wenige Stunden vor seiner Ermordung

Das Abschlussgutachten vom Februar 1999 bestätigte nach Autopsie, zahlreichen Tests und 38 Zeugenbefragungen die vatikanische Anfangsdarstellung. Tornay sei charakterlich unreif gewesen, konnte höflich und charmant, aber auch aggressiv und respektlos sein. Er habe gelegentlich Haschisch konsumiert. In seinem Gehirn habe man eine Zyste entdeckt. Hinzu seien Stress, Zukunftsangst um berufliche Perspektiven und eine akute Bronchitis gekommen. All diese Faktoren hätten die Kurzschlusstat ausgelöst.

Mutter zweifelte Abschlussgutachten an

Für den Vatikan war der Tötungsfall damit juristisch und kriminologisch abgeschlossen. Nicht aber für die Mutter Tornays. Sie äusserte von Anfang an Zweifel. Und machte sie mit Unterstützung von Anwälten öffentlich. Ihr Sohn sei ermordet worden. Er sei nicht Täter, sondern Opfer, sagte sie.

Waffenlager der Schweizergarde
Waffenlager der Schweizergarde

Dabei verwies sie auf einen angeblichen «vierten Mann», unterschiedliche Projektile und einen mutmasslich gefälschten Abschiedsbrief. Der Vatikan habe den Vorgang viel zu früh ad acta gelegt und keine anderen Spuren verfolgt. Ihr Versuch, den Fall 2004 vor die Schweizer Justiz zu bringen, blieb aber erfolglos.

Psychologischer Eignungstest seit 1998 Pflicht

Vier Monate nach der Tragödie ernannte der Papst einen neuen Kommandeur. Pius Segmüller, Oberst im Schweizer Generalstab und zuletzt mit Sicherheitsfragen in Bern betraut, ordnete für Garde-Bewerber einen psychologischen Eignungstest an. Und um die Dauer-Rivalitäten zwischen Deutsch- und Westschweizern abzufangen, machte er den Juristen Jean-Daniel Pitteloud zum ersten frankofonen Vize-Kommandanten.

Rekruten der Schweizergarde müssen seit 1998 einen Eignungstest machen
Rekruten der Schweizergarde müssen seit 1998 einen Eignungstest machen

Die Bluttat ist im Gardealltag heute kaum noch präsent. Darüber sei Gras gewachsen, hört man. Viele der neuen Hellebardiere, die am 6. Mai 2023 ihren Eid auf den Papst ablegen, waren damals noch nicht geboren. Und dennoch ist das Datum seither nicht nur mit den 147 Verstorbenen vom Sacco di Roma verbunden, sondern auch mit den drei Toten von 1998. (kna)


Schweizergardisten | © Vera Rüttimann
24. April 2023 | 14:00
Lesezeit: ca. 2 Min.
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