Alessandro Diddi, Hauptstrafverfolger beim Gerichtsprozess zum vatikanischen Finanzskandal im Staatssekretariat
Vatikan

Total 73 Jahre Haft? – Urteil im Vatikan-Finanzprozess kommt am Samstag

Im Prozess um verlustreiche Millionendeals im Vatikan fällt das Urteil am Samstag. Dann könnte erstmals in der Geschichte der katholischen Kirche ein Kardinal von einem Vatikan-Gericht wegen Finanzdelikten verurteilt werden. Die Strafanträge von Staatsanwalt Allessandro Diddi werden als «sehr hart» beurteilt, ein Freispruch trotzdem als Option angesehen.

Den Termin des Urteils teilte Richter Giuseppe Pignatone am letzten Dienstag mit, dem 85. Verhandlungstag. Mit der Urteilsbegründung wird erst in einigen Wochen gerechnet. Die Parteien können Einspruch einlegen.

Kardinal Giovanni Angelo Becciu, 2018 im Vatikan.
Kardinal Giovanni Angelo Becciu, 2018 im Vatikan.

Erstmals Kardinal angeklagt

Prominentester Angeklagter in dem Prozess, der seit Juli 2021 läuft, ist Kardinal Angelo Becciu. Der 75-jährige Italiener soll die Hauptverantwortung für ein fragwürdiges Immobiliengeschäft des vatikanischen Staatssekretariats in London tragen. Ab 2014 investierte die zentrale Kirchenleitungsbehörde einen dreistelligen Millionenbetrag in das Luxusgeschäftsgebäude. Später musste es unter hohen Verlusten verkauft werden. Zum Zeitpunkt des Deals hatte Becciu als Substitut die zweitwichtigste Position im Staatssekretariat inne.

Die Richter Giuseppe Pignatone (l.) und Carlo Bonzano (r.) bei der Anhörung im Strafprozess um den Finanzskandal im Staatssekretariat vor dem vatikanischen Strafgericht am 27. Juli 2021 im Vatikan.
Die Richter Giuseppe Pignatone (l.) und Carlo Bonzano (r.) bei der Anhörung im Strafprozess um den Finanzskandal im Staatssekretariat vor dem vatikanischen Strafgericht am 27. Juli 2021 im Vatikan.

Der Kardinal soll zudem mit Vatikan-Zahlungen an Sozialorganisationen in seiner Heimat Sardinien Verwandte begünstigt haben. Und er soll eine Mitschuld daran tragen, dass eine angebliche geopolitische Expertin den Vatikan mutmasslich um mehrere Hunderttausend Euro betrog. Das Geld, das ihr für die Befreiung einer entführten Ordensfrau in Mali anvertraut wurde, gab die Becciu-Bekannte laut Anklage für Luxusgüter aus.

Über sieben Jahre Haft für Becciu?

Vatikan-Staatsanwalt Alessandro Diddi fordert sieben Jahre und drei Monate Haft sowie eine Geldstrafe von rund 10’000 Euro für Becciu. Der Kardinal und seine Anwälte weisen alle Anschuldigungen zurück.

Auch den weiteren neun Angeklagten drohen Haft- und Geldstrafen. Unter ihnen befindet sich der Schweizer René Brülhart, der frühere Direktor und Präsident der päpstlichen Finanzmarktaufsicht. Diddis Strafanantrag für Brülhart lautet auf drei Jahre und acht Monate Haft sowie auf eine Strafzahlung von über 11’000 Euro. Der Staatsanwalt wirft ihm Amtsmissbrauch vor, unter anderem, weil er in der Londoner Affäre nicht eingegriffen und verdächtige Zahlungen nicht gestoppt haben soll.

Der Schweizer Finanzexperte René Brülhart – Archivbild von 2016.
Der Schweizer Finanzexperte René Brülhart – Archivbild von 2016.

Strenger Staatsanwalt

«Diddi hat seine Rolle mit beträchtlicher Strenge interpretiert», zitiert die NZZ Fausto Gasparroni, den Vatikanisten der italienischen Nachrichtenagentur Ansa. Gasparroni hat als Beobachter an allen 85 Verhandlungstagen teilgenommen. Diddis Strafanträge werde von internen und externen Beobachtenden als sehr hart beurteilt, schreibt die NZZ. Denn: Nicht weniger als 73 Jahre Haft forderte der Promotore für alle Angeklagten.

Papst Franziskus habe diesen Prozess unbedingt gewollt, heisst es in der NZZ, mit Berufung auf italienische Vatikanisten. Dennoch stehe ein Freispruch als Option im Raum. Dies als eine der überraschenden Wendungen im Pontifikat von Papst Franziskus. (cic/rp)


Alessandro Diddi, Hauptstrafverfolger beim Gerichtsprozess zum vatikanischen Finanzskandal im Staatssekretariat | © KNA
14. Dezember 2023 | 15:00
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