Tony Jossen, ehemaliger Vize-Kommandant der Schweizergarde, im Gardemuseum in Naters VS.
Schweiz

Tony Jossen: Wie Papst Johannes Paul II. die Sowjets in die Schranken wies

Das Luzerner Nein zur Schweizergarde-Kaserne hat Tony Jossen (72) als «Stich ins Herz» empfunden. Die Schweiz würdige zu wenig, was der Vatikan für den Frieden tue. Vom Papst ist der ehemalige Vize-Kommandant begeistert: «Franziskus ist ein Friedensengel und seine Herkunft aus italienischem Blut und argentinischer Pampa macht das noch spannender.»

Beate Laurenti

Der Kanton Wallis unterstützt den Neubau der Schweizergarde-Kaserne mit einer Million Franken. Warum halten Sie das für sinnvoll?

Tony Jossen*: Das Wallis ist einer der Kantone, die über all die Jahrhunderte hinweg am meisten Gardisten gestellt haben. Zudem hatten wir schon immer eine enge Beziehung zum Vatikan und zur Garde. Es ist zudem dringend notwendig, dass die Unterkunft für die Gardisten menschenwürdig wird. Ausserdem wird der Neubau nicht durch den Kanton aus Steuergeldern an sich unterstützt. Der Staatsrat hat die Lotterie gebeten, sie solle doch aus ihrem Kulturfonds eine Million Franken bereitstellen. Und über diese Gelder verfügt ausschliesslich der Staatsrat, dem ich für diese noble Geste ganz herzlich danken möchte.

Im katholischen Luzern hat das Stimmvolk eine Spende für die Schweizergarde abgelehnt. Wie würde eine Abstimmung im Wallis ausgehen?

Jossen: Hier braucht es keine Volksabstimmung. Abgesehen davon: Das, was im Kanton Luzern geschehen ist, hat mir einen Stich ins Herz versetzt. Der Kanton Luzern stellte immerhin 24 Gardekommandanten von bisher 35. Aber ich habe auch ein wenig Verständnis für die «armen» Luzerner, weil sich der Kanton in den vergangenen Jahren dumm und dämlich sparen musste. Das ist bei uns hier glücklicherweise nicht der Fall.

«Es gibt auch hier ein paar Querschläger, die auf dem falschen, antivatikanischen Dampfer sind.»

Sind die Menschen hier im Wallis also nicht zwiegespalten?

Jossen: Ich bin davon überzeugt, dass gerade durch die intensiven Beziehungen zwischen den Gardisten und ihren Gemeinden die Abstimmung ganz anders verlaufen wäre. Es gibt natürlich auch hier ein paar Querschläger, die auf dem falschen, antivatikanischen Dampfer sind, wie die «Freidenker», die alles andere als frei denken, und Konsorten..

Tony Jossen (r.), ehemaliger Vize-Kommandant der Schweizergarde, und Garde-Kommandant Christoph Graf in Rom.
Tony Jossen (r.), ehemaliger Vize-Kommandant der Schweizergarde, und Garde-Kommandant Christoph Graf in Rom.

Trotzdem gibt es eine Diskussion im Kantonsrat…

Jossen: Man könnte jetzt hier ein Drama daraus machen. Leider gibt’s hier im Oberwallis ein Monopolmedium: den «Walliser Boten» und «Radio Rottu» – das ist praktisch die gleiche Redaktion. Es ist für Journalisten mühsam, immer neue Schlagzeilen zu suchen. Darum liegt es auf der Hand, den «Skandal» von Luzern ebenfalls zu bewirtschaften. Das gehört zum heutigen Infotainment und zur Verbreitung des Mainstreams. Die Demokratie muss das aushalten. Trotzdem habe ich ein gutes Verhältnis zur Redaktion, weil ich meine Bedenken auch immer mitteilen darf, was lange nicht bei allen Medien der Fall ist. Was die Berichterstattung zum Kasernenneubau angeht, vertreten die Gardisten allerdings zu 100 Prozent eine andere Meinung und werden diese auch kundtun.

«Der Heilige Stuhl leistet eine wichtige Friedensarbeit, die sehr wohl im Schweizer Interesse ist.»

Ein Argument gegen eine staatliche Unterstützung der Schweizergarde lautet: Die Schweizergarde vertritt vatikanische Interessen, nicht Schweizer Interessen.

Jossen: Ich hätte gerne gewusst, wie und wo die Schweiz die Garde unterstützt, wenn die Gardisten noch immer die Wehrpflicht-Ersatzabgabe an die Schweiz zu zahlen haben! Davon abgesehen, leistet der Heilige Stuhl eine wichtige Friedensarbeit, die sehr wohl im Schweizer Interesse ist. Ich erinnere mich an einen Besuch des damaligen sowjetischen Aussenministers Andrey Gromyko. Es war die Zeit der Solidarnosc in Polen, als der damalige Präsident Wojciech Jaruzelski den Kriegszustand ausrufen wollte. Gromyko wollte mit dem Papst sprechen, um zu sondieren, wie weit man gehen könne. Ich begleitete Gromyko zur Audienz. Wir waren gemeinsam im Lift, einen Meter voneinander entfernt und ich habe versucht, Small-Talk zu führen. Aber noch nie habe ich in so kalte, schwarze Augen geschaut wie bei diesem Mann. Er war wie ein Eisblock.

Papst Franziskus bei einer Audienz mit den neuen Gardisten am 6. Mai 2022 im Vatikan.
Papst Franziskus bei einer Audienz mit den neuen Gardisten am 6. Mai 2022 im Vatikan.

Was ist dann passiert?

Jossen: Normalerweise sind Aussenminister 20 Minuten beim Heiligen Vater. Dann ist Schluss, das ist diplomatische Gepflogenheit. Gromyko kam aber erst nach mehr als einer Stunde zurück, bleich im Gesicht und unbeweglich. Ich habe mich gefragt: «Was ist da wohl passiert?» Also habe ich mich zuerst um das Wohlergehen des Papstes gekümmert.  Aber da war alles in Ordnung. Am nächsten Morgen wollte ich wissen, was passiert war. Der Papst hatte dem Aussenminister gesagt: «Wenn der erste sowjetische Panzer die russisch-polnische Grenze überfährt, dann bin ich nicht mehr Papst, dann bin ich Pole, gehe sofort zurück und stehe meinen Landsleuten bei.» Es ist kein Panzer gerollt.

Tony Jossen bei einem Rundgang im Gardemuseum.
Tony Jossen bei einem Rundgang im Gardemuseum.

Wie beurteilen Sie das?

Jossen: Das war eben vatikanische Weltpolitik. Das macht der Vatikan auch. Nur wird das nicht an die grosse Glocke gehängt, was viele nicht sehen oder sehen wollen. Es geht eben nicht immer nur um strukturelle «Problemchen» wie wir sie in der sogenannten wohlstandverfressenen, westlichen Kirche immer meinen von heute auf morgen lösen zu müssen. Es geht um sehr viel mehr. Man kann das auch heute an der Arbeit von Papst Franziskus sehen.

«Franziskus geht an die Grenzen des Machbaren für einen Mann, der körperlich extrem angeschlagen ist.»

Was beeindruckt Sie an Papst Franziskus?

Jossen:  Franziskus geht an die Grenzen des Machbaren für einen Mann, der körperlich extrem angeschlagen ist. Er ist ein Friedensengel und seine Herkunft aus italienischem Blut und argentinischer Pampa macht das noch spannender. Auch wenn das vielleicht für manch eingefleischten Vaticani nicht immer leicht zu verstehen ist.

Der Vatikan als Kulisse über dem Eingang des Gardemuseums in Naters VS.
Der Vatikan als Kulisse über dem Eingang des Gardemuseums in Naters VS.

Wird es die Schweizergarde auch in Zukunft geben?

Jossen: Ja. Irland – ein mehr oder weniger katholisches Land, wenn man von der Abtreibungsfrage mal absieht – hat dem Vatikan vor einiger Zeit eine Offerte gemacht: «Wir übernehmen sämtliche Kosten, wenn die Schweizergarde entlassen wird und die Iren künftig als Leibgarde dienen.» Dann hat der Vatikan gesagt: «Kommt nicht in Frage. Die Dienste, die die Garde über mehrere Jahrhunderte geleistet hat, sind viel zu wichtig.» Ausserdem kommen jedes Jahr zur Vereidigung mindestens ein General aus der Armee, in der Regel auch ein Bundesrat oder eine Bundesrätin als Vertreter der Eidgenossenschaft und viele sogenannten VIPs. Da nehmen mehrere tausend Menschen teil. Man kann da nicht einfach sagen: «Jetzt ist Schluss».

«Inzwischen ist die Schweizergarde auch karitativ für die Obdachlosen in Rom tätig.»

Was bedeutet es Ihnen, Gardist zu sein?

Jossen: Die Garde ist ein militärisches Korps, das auch polizeiliche Aufgaben erfüllt. Sie dient als Leibwache dem Schutz des Papstes, schützt den päpstlichen Palast und kontrolliert die Grenzübergänge im Vatikan. Gardisten sind also – wenn man so will – Grenzpolizei, Bodyguards, Ordnungsdiener und Ehrenformation des Heiligen Vaters in einem. Inzwischen ist die Schweizergarde auch karitativ für die Obdachlosen in Rom tätig. Die jungen Männer engagieren sich, sind gewissenhaft – und das auch über den aktiven Dienst hinaus. Diese Rolle verträgt sich nicht mit «Sauereien» in Uniform. Das Auftreten muss stets korrekt sein.

Heute ist Papst Johannes Paul II. ein Heiliger. Wie haben Sie ihn als Mensch erlebt?

Jossen: Er war barmherzig. Ich erinnere mich an mehrere Sonntagnachmittage mit 40 Grad im Schatten. In Rom ist die Siesta eigentlich heilig. Aber nicht für Papst Johannes Paul II.  Es kamen Busse mit Hunderten von polnischen Pilgerinnen und Pilgern. Natürlich hatte er seine Landsleute empfangen! Wie sie mit ihm zusammen auf Polnisch gesungen und gebetet haben, werde ich als berührende Erlebnisse mit ins Grab nehmen. Auch seine grosse Marienverehrung und die Erinnerung daran, mit welcher Tiefe dieser Mensch gebetet hat.

* Tony Jossen-Vogel (72) stammt aus Naters VS. Von 1984 bis 1986 war er Vize-Kommandant der Schweizergarde.


Tony Jossen, ehemaliger Vize-Kommandant der Schweizergarde, im Gardemuseum in Naters VS. | © Beate Laurenti
31. Oktober 2022 | 12:07
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