Thomas Reschke: Frank Jehle war ein weitsichtiger Brückenbauer der reformierten Kirche
Der langjährige Universitätspfarrer und Lehrbeauftragte für evangelische Theologie an der Universität St. Gallen, Frank Jehle, ist verstorben. Thomas Reschke blickt auf die gemeinsame Zeit. «Seine Worte werde ich als Schatz dankbar im Herzen bewahren». Ein Nachruf.
Thomas Reschke*
Als vor 20 Jahren der reformierte Universitätsseelsorger Pfarrer Frank Jehle ein viel beachtetes Gedenkwort in der Kathedrale St. Gallen für den verstorbenen katholischen Kollegen Pfarrer und Professor Richard Thalmann sprach, hat mich dies tief berührt. Sein Nachruf zeugte von selten inniger freundschaftlicher Zusammenarbeit und Wertschätzung über Konfessionsgrenzen hinweg.
«Siamesische Zwillinge»
In den vier Jahren, in denen ich mit Frank Jehle eng zusammenarbeiten durfte – Frank sprach von uns als «siamesischen Zwillingen» –, habe ich diesen feinen Persönlichkeitszug von Frank, der von 1982 bis 2004 Universitätsseelsorger war, intensiv erleben dürfen.
Ich habe es sehr geschätzt, dass wir vor Veröffentlichung unsere eigenen Predigten und Texte austauschten. Dies zeugt von einem grossen Vertrauen und dem guten Willen, dem anderen nur das Beste zu wünschen. Diese vertrauensvolle Zusammenarbeit zeigte sich bis zu seiner Abschiedsvorlesung zur Einheit anhand der Dreieinigkeitsikone Andrej Rubljows, dessen anschliessende Feier ich als Katholik als Tätschmeister durchstrophen durfte.
Es war ein Glücksfall, mit Frank für die Studierenden gemeinsam interreligiöse Seminare durchzuführen, ebenso interkonfessionelle Vorlesungsreihen für die Öffentlichkeit. Unvergesslich bleibt mir die gemeinsame Vorlesungsreihe zum Thema: «Welchen Himmel meinen wir» im Sommer 2002. Da zeigte sich auch Franks Liebe zur bildenden Kunst und wir diskutierten, wer denn den schöneren Himmel habe.
«Der Pfarrer Jehle hat immer recht.»
Aussage eines Studierenden
Stets konnte Frank mit seinen klugen, durchdachten Voten zeigen, welch inneres Feuer in ihm brannte. Ein Studierender brachte das durchaus lobend gemeinte, schmunzelnde Bonmot: «Der Pfarrer Jehle hat immer recht und das Schlimme ist, dass er wirklich immer recht hat.» Frank hat sich wirklich weitsichtig und intensiv mit Glaubens- und Lebensfragen auseinandergesetzt. Seine Worte waren keine Worthülsen, sondern konnten Studierenden und Dozierenden ein Fels in der Brandung sein.
Sterile Buchstabengläubigkeit war ihm ein Gräuel
Die Bibel war für ihn als Quelle der Hoffnung zu lesen. Sterile Buchstabengläubigkeit war Frank ein Gräuel. Ob in Theologie oder im Alltag, Frank zeigte sich sehr weitsichtig: Selbst Jahre vor seiner Pensionierung hatte er schon ein schönes neues Daheim geschaffen, in dem er mit Marianne glückliche und auch akademisch fruchtbare Jahre erleben durfte. Dabei zeigte er sich stets interessiert, was an der HSG geschieht.
Frank Jehle hatte die Gabe, Persönlichkeiten an einen Tisch zu bringen: Bei unseren gemeinsamen Nachtessen hatten wir Kardinäle, Bischöfe, Rabbiner, Sikhs und unzählige Andere aus Politik und Wirtschaft zu Gast. Man spürte Franks Form der Achtsamkeit, die dem Gesprächspartner das Gefühl gab: Da ist jemand, der mir wirklich zuhört.
Begnadeter Homilet
Seine Engagements zeugten von seiner vielseitigen Vernetzung: Mitglied der Theologischen Konkordatsprüfungsbehörde, Vizepräsident und Incoming-Präsident der Synode, Co-Präsident der Evangelisch / Römisch-katholischen Gesprächskommission der Schweiz, Abgeordneter des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz, Vorstandsmitglied der Europäischen Studentenpfarrerkonferenz, Radioprediger etc. Die Studentenschaft der HSG ehrte ihn 2001 mit dem Mentorpreis SHSG.
Frank war ein begnadeter Homilet. Seine gedruckte Predigt, die er jedes Jahr zur Weihnacht an seine Freunde zu schicken pflegte, wird uns fehlen. Aber seine Worte werde ich als Schatz dankbar im Herzen bewahren.
* Thomas Reschke ist Diakon und seit 2001 katholischer Universitätsseelsorger an der HSG. Zudem ist er «Geschäftsführender Vorsitzender der Konferenz der katholischen Hochschulseelsorge der Schweiz/Conférence des aumôneries catholiques des hautes écoles suisses».
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