Thomas Boutellier
Kommentar

Thomas Boutellier: Der «Churer Priesterkreis» braucht ein Realitäts-Coaching

Pfadi-Mann Thomas Boutellier hat beruflich viel mit Präventionsarbeit zu tun. Aber auch als Familienvater hat er kein Verständnis für das Verhalten des Churer Priesterkreises: «Wir müssen alles für sichere Orte in der Kirche tun.» Ein Gastkommentar.

Thomas Boutellier*

Das Bistum Chur hat als schweizweit erstes und bislang einziges Bistum einen Verhaltenskodex vorlegt, der im Gegensatz zu anderen Bistümern explizit für alle Mitarbeitenden gilt. 

Wir brauchen einen Kulturwandel

Die anderen Bistümer konzentrieren sich – wohl auch wegen der geringen in das Thema investierten Ressourcen – weitgehend auf die Mitarbeitenden mit einer Missio, was nebenbei bemerkt nur ein kleiner Teil der Angestellten in den Pfarreien sind. 

Franz Imhof vom Churer Priesterkreis nach der geplatzten Bischofswahl im November 2020.
Franz Imhof vom Churer Priesterkreis nach der geplatzten Bischofswahl im November 2020.

Der Verhaltenskodex im Bistum Chur steht also für eine kleine Revolution in der Schweiz – leider. Leider, weil der Inhalt des Verhaltenskodex im Jahr 2022 längst eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Aber irgendwann muss mit dem Kulturwandel begonnen werden – und lieber spät als nie.

Macht abgeben – das gefällt klerikalen Priestern nicht

Und vielleicht merken irgendwann auch die anderen Bistümer, dass es so nicht weitergehen kann. Die Schweizer Bischofskonferenz sollte einen Verhaltenskodex zur Verhinderung von Missbrauch, Machtmissbrauch und spirituellem Missbrauch in Kraft setzen, der schweizweit für alle kirchlichen Angestellten gilt.

Präsentation des Verhaltenskodex im Bistum Chur: Der Graubereich ist nicht strafrechtlich relevant, der Rotbereich schon.
Präsentation des Verhaltenskodex im Bistum Chur: Der Graubereich ist nicht strafrechtlich relevant, der Rotbereich schon.

Das, was das Bistum Chur leistet, ist ein grosser Schritt raus aus der Ecke, in die die katholische Kirche leider zu Recht gesteckt wird. Dass der «Churer Priesterkreis» dem Dokument die Unterschrift verweigert, ist wieder einmal typisch für einen Teil der katholischen Kirche. Mit dem Kodex müssen Leitungspersonen Macht abgeben. Und das gefällt klerikalen Priestern nicht: Lieber zurück in die Ecke und weiter über die angebliche Ungerechtigkeit jammern. Das kann man ja gut und hat viele Jahrzehnte funktioniert. 

Wohin gehen meine Kinder?

Verweigerer gibt es überall, in jedem Bistum, nicht nur in Chur. Aber auch hier ist Transparenz gefragt. Haben Bischof und Anstellungsbehörden geredet, erklärt, verordnet und die Unterschrift folgt trotzdem nicht, dann ist auch dies transparent zu machen. Auch gegenüber den Kirchenmitgliedern. Sie haben ein Anrecht darauf zu erfahren, wer sich dem Verhaltenskodex widersetzt. Datenschutz und Persönlichkeitsrecht hin oder her. Was haben die Verweigerer zu verstecken? 

Generalvikar Peter Camenzind (rechts) und Mitglieder der Biberbrugger Konferenz unterschreiben den Verhaltenskodex.
Generalvikar Peter Camenzind (rechts) und Mitglieder der Biberbrugger Konferenz unterschreiben den Verhaltenskodex.

Als Familienvater stelle ich mir die Frage: Wohin gehen meine Kinder? Und wenn ich das weiss, stelle ich mir die Frage: Sind sie dort sicher? Wer sich weigert, einen Verhaltenskodex zu akzeptieren, weigert sich in meinen Augen auch, alles dafür zu tun, sichere Orte zu schaffen. 

In München gibt’s ein Berufsverbot

Die Botschaft des Evangeliums, das Lehramt und das Kirchenrecht haben viele nicht davon abgehalten, übergriffig zu sein. Das können nur Transparenz und Regeln. Dass man die Namen der Mitglieder des Priesterkreises auf der Website nicht findet, ist bezeichnend dafür, dass Transparenz nicht gewünscht ist. Warum wollen sie unbedingt unerkannt bleiben? Was haben sie zu verbergen?

Die Domherren Martin Bürgi (li.) und Roland Graf auf dem Weg ins bischöfliche Schloss im November 2020.
Die Domherren Martin Bürgi (li.) und Roland Graf auf dem Weg ins bischöfliche Schloss im November 2020.

Aus dem Erzbistum München und Freising weiss ich, dass Priester, die sich zunächst weigern, einen Präventionskurs zu machen, diesen in Präsenz besuchen müssen – eine Online-Fortbildung reicht dann nicht mehr. Und bevor sie diesen nicht absolviert haben, erhalten sie ein Berufsverbot. Konsequent.

Missbrauchsfälle im Turnsport führen zu einer Ethik-Charta

In der Welt ausserhalb der Kirchenmauern läuft gerade ein Prozess rund um eine Ethik-Charta an. Ausgelöst durch Missbrauchsfälle im Turnsport ist ein Jahr später ein Prozess in Gang gesetzt, der grösstmögliche Transparenz ermöglicht. Warum wir, die Kirche, das nicht schaffen sollen, will mir nicht in den Kopf. 

Thomas Boutellier, Verbandspräses der katholischen Pfadi Schweiz
Thomas Boutellier, Verbandspräses der katholischen Pfadi Schweiz

Immer wieder hören wir bei den Jugendverbänden die Forderung, dass unsere ehrenamtlichen Leitenden ausweisen müssen, dass sie «sauber» sind. Lachhaft, wenn man die Entwicklung anschaut. Die Leitenden verpflichten sich, selbstverständlich, die Werte und Regeln der Organisation zu beachten und umzusetzen. 

Wie verhaltensauffällige Kinder in der Schule

Ehrenamtliche in der Jugendarbeit tragen dazu bei, dass das Miteinander gelingt. Dass die Werte und Regeln die gleichen sind, die wir als Kirche lehren, muss nicht wieder erklärt werden. Mal tun sie das schriftlich, bei der Pfadi sogar in einem öffentlichen Versprechen. Aber sie müssen dann noch juristisch beweisen, dass sie sauber sind? Wie sollen wir Ihnen das erklären, wenn es Leitungspersonen gibt, die genau das für sich selber verweigern? 

Bischof Joseph Bonnemain predigt an der Chrisam-Messe.
Bischof Joseph Bonnemain predigt an der Chrisam-Messe.

Wie verhaltensauffällige Kinder in der Schule brauchen die Mitglieder des Churer Priesterkreises offenbar eine besondere Unterstützung beim Lernen. Bischof Joseph Bonnemain und die Landeskirchen sollten die Mitglieder des «Churer Priesterkreises» ein Spezialcoaching anbieten, in dem sie ihr Verhalten reflektieren können.

Die Sache Jesu braucht Begeisterte

Und in dem sie lernen können: «Die Sache Jesu braucht Begeisterte. Sein Geist sucht sie auch unter uns. Er macht uns frei, damit wir einander befrein.» Und nicht: Ich bin frei in meiner Entscheidung und unterschreibe das nicht. 

* Thomas Boutellier (42) ist Verbandspräses im Verband Katholischer Pfadi und Leiter der kirchlichen Fachstelle Jugend in Solothurn. Im Ehrenamt ist er Krisenverantwortlicher der Pfadibewegung Schweiz. Er ist beruflich und im Ehrenamt im Bereich Missbrauchs-Prävention und Intervention tätig.


Thomas Boutellier | © zVg
1. Mai 2022 | 07:58
Lesezeit: ca. 3 Min.
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