Mario Pinggera, Pfarrer und Dozent für Kirchenmusik
Kommentar

Mario Pinggera: Der «Churer Priesterkreis» benimmt sich wie ein angeschossenes Wildschwein

Der Churer Priesterkreis zettelt eine Debatte über den Verhaltenskodex an. Pfarrer Mario Pinggera findet: Eine Verweigerungshaltung sollte keine Sache von langwierigen Debatten sein, sondern einzig und allein von den Personalverantwortlichen. Ein Gastkommentar.

Mario Pinggera*

Der «Churer Priesterkreis» richtet derzeit Schaden an. Und er schadet nur einem: sich selbst. Denn auch das salbungsvollste und nebligste Geschwafel über hehre Werte wie Moral, Kirchenrecht oder Katechismus täuschen nicht wirklich über die wahre Absicht hinweg: Bischof Joseph Bonnemain das Leben schwer zu machen. Sehr schwer. Ein winziger Passus des neuen Verhaltenskodex sowie die Ferienzeit begünstigen den Moment. 

Der Katechismus ist jahrzehntealt

Ebenso wahr ist, dass die unverdaute, verkorkste und geplatzte Bischofswahl hier ihre erwartete Wirkung zeigt. Ein befreundeter Jäger unterrichtete mich einst über ein Detail der Wildschweinjagd, nachdem ein lediglich angeschossener Keiler unberechenbar und gefährlich ist. Man könne sich nur noch auf den nächsten Baum flüchten.

Drei Gegner der päpstlichen Terna und damit auch von Joseph Bonnemain (v. l.): die Domherren Martin Bürgi, Roland Graf, Paul Schlienger.
Drei Gegner der päpstlichen Terna und damit auch von Joseph Bonnemain (v. l.): die Domherren Martin Bürgi, Roland Graf, Paul Schlienger.

Nun sind wir – so hoffe ich – nicht unter Wildschweinen, sondern unter Menschen, die einigermassen vernünftig reden und argumentieren können. Ja, es ist bekannt, was Kirchenrecht und Katechismus sagen. Aber: Beide Dokumente schreiben sich doch letztendlich das Heil der Menschen auf die Fahnen. Katechismen haben sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Der jetzige ist jahrzehntealt und die Welt ist heute eine andere. 

Für eine Kirche in der Welt von heute

Der Verhaltenskodex hingegen stammt aus dem Jahr 2022 und spricht für eine Kirche in der Welt von heute. Er entspringt einem Bedürfnis, das bis jetzt kein anderes Dokument abdecken konnte: die Verhinderung von Missbrauch jedweder Art: sexuell, spirituell und Machtmissbrauch. 

Bischof Joseph Bonnemain (rechts) stellt den Verhaltenskodex vor.
Bischof Joseph Bonnemain (rechts) stellt den Verhaltenskodex vor.

Auch der Kodex wird Missbrauch nicht zu 100 Prozent verhindern können, das kann kein Dokument. Aber er kann ihn massgeblich erschweren. Das wird er auch tun. Das ist sehr viel und auch gut so. Die Aussagen zur sexuellen Orientierung im Kodex sind ein zwingender Bestandteil und die Verantwortlichen sollen sich hüten, hier noch einmal den Stift anzusetzen. 

Putin und Kyrill hetzen gegen LGBTQI

Möglicherweise hat der Kodex jenes wichtige Quantum bereits in sich, was beim Katechismus einer Korrektur bedarf – und nicht umgekehrt! Homophobie ist eine durch die Jahrhunderte geisternde Krankheit, die Menschen zurücksetzt, verletzt hat und verletzt. Nicht zufällig findet sich dieses Gedankengut zuhauf in fundamentalistischen Kreisen aller Religionen, Konfessionen und Diktaturen.

Wladimir Putin bekreuzigt sich in der Osternacht 2022.
Wladimir Putin bekreuzigt sich in der Osternacht 2022.

Derzeit sichtbar bei Kriegstreiber Putin und seinem Adlatus Kyrill. Schon allein das ist Grund genug, sich so eine eiskalte Fratze der Unmenschlichkeit eben nicht aufzusetzen. In vielen Ländern sind – wenn nicht gleichgeschlechtliche Ehen – so doch registrierte Partnerschaften kein Problem mehr. In einer von Menschen ständig verdunkelten und bedrohten Welt ist die Liebe eines jeden Paares von unschätzbarem Wert, zeigt sie doch auf, dass es neben Krieg, Hass und dergleichen auch noch etwas anderes gibt.

Auch Reformierte müssen keinen «Segen für alle» spenden

Der Verhaltenskodex kann nicht alles leisten. Doch die Behauptung, hier werde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, trifft nicht immer zu. Dem Verhaltenskodex geht es ums Sensibilisieren, ums Reflektieren, ums Problematisieren. Das wird ein Einüben erforderlich machen. Aber der Kodex ist wichtig und gut, und das Mittragen dieses Anliegens der Bistumsleitung aller Seelsorgenden sollte selbstverständlich sein.

Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.
Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.

Das Argument, Menschen beim «Outing» zu helfen, sei eine «Zumutung», ist nicht zu unterschätzen. So etwas kann nicht von allen Seelsorgenden verlangt werden. Auch in der evangelischen Kirche gibt es Seelsorgende, die Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare aus Überzeugung nicht vornehmen. Das sollen sie auch nicht müssen. Aber sie könnten den Menschen eine andere seelsorgliche  Begleitung zur Seite stellen, die genau das überzeugend macht.

Was die Kirche von Lastwagenfahrern lernen kann

In meiner kürzlich abgeschlossenen Aus- und Weiterbildung zum Führen «Schwerer Motorfahrzeuge» (Führerscheinkategorien C+D) wurde mir vor allem eines bewusst: Mit 20 Tonnen Fahrzeuggewicht oder mehr ist der Lastwagenfahrer immer «der Stärkere». Genau daraus resultiert die immense Verantwortung, nämlich dafür zu sorgen, dass nichts – und vor allem niemand – unter die Räder kommt. Dafür gibt es ein ausgeklügeltes System von Spiegeln und es braucht Rücksichtnahme. Die Parallelen zur Seelsorge sind unübersehbar. 

Pfarrer Mario Pinggera hat neuerdings einen Lastwagen-Führerschein.
Pfarrer Mario Pinggera hat neuerdings einen Lastwagen-Führerschein.

Vom «Churer Priesterkreis» wünsche ich mir deshalb andere Töne und Inhalte. Der Krieg ist recht nahe und es ist geradezu grotesk, dass wieder einmal innerkirchlich mutwillig eine Debatte angezettelt wird, die flüssiger als flüssig ist: überflüssig.

Personalführung muss konsequent sein

Jeder grosse Betrieb in der Privatwirtschaft hat seinen Kodex, der beileibe nicht alles verhindert. Den auch nicht jeder gut finden muss. Der aber gegengezeichnet und befolgt werden muss. Eine Weigerung ist dann nicht mehr Sache von langwierigen Debatten, sondern einzig und allein von den Personalverantwortlichen. Das sollte bei uns nicht anders laufen.

* Mario Pinggera ist Pfarrer von Richterswil und Dozent für Kirchenmusik an der Theologischen Hochschule Chur.


Mario Pinggera, Pfarrer und Dozent für Kirchenmusik | © Raphael Rauch
30. April 2022 | 09:53
Lesezeit: ca. 3 Min.
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