Joseph Ratzinger (l.), Erzbischof von München und Freising, und Papst Johannes Paul II. am 5. November 1979 im Vatikan.
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Theologe macht Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger für Vertuschung verantwortlich

Wie konnte es zur systematischen Vertuschung von Missbrauchsfällen kommen? Der Theologe KlausKienzler macht dafür Papst Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger mitverantwortlich. Denn Missbrauchsfälle wurden unter das päpstliche Geheimnis gestellt.

«Im Jahre 2001 versandte Kardinal Ratzinger im Namen des Papstes an alle Bischöfe der Welt das geheime Schreiben «De delictis gravioribus». Darin befahl er, dass die Missbrauchsfälle nicht an die Öffentlichkeit gelangen durften, sondern an ihn gesandt werden mussten. Der Hintergrund waren die skandalösen Missbrauchsfälle der 1990er-Jahre in den Vereinigten Staaten, die meist nicht vor kirchliche Gerichte kamen, sondern vor staatliche. Das Ergebnis waren Zahlungen in Millionenhöhe – längst sind daraus Milliarden geworden. 

Da wollte der Vatikan natürlich nicht zusehen, und der Papst beauftragte deshalb den Präfekten, ein Dekret zu erlassen. Aber damit nicht genug, es wurde als «Päpstliches Geheimnis» firmiert, sprich, wer es nicht geheim hielt, hatte mit schwersten Kirchenstrafen zu rechnen. Mit allerschwersten Strafen, wohl bis zum Entzug des Bischofsamtes, wurde gedroht. Soweit der Inhalt des Geheimschreibens.

Interessant ist die Vorgeschichte von Ratzingers Dekret. Es ist die Verschärfung von «crimen sollicitationis» von Kardinal Ottaviani aus dem Jahre 1962. Dieser Text ordnet in allen kirchenrechtlichen Einzelheiten die Fälle des Missbrauchs und die entsprechenden Verfahren dazu. Entscheidend dabei ist die völlige Geheimhaltung des rein innerkirchlich rechtlichen Verfahrens und die Androhung streng kirchenrechtlicher Strafen bei Zuwiderhandlung. 

Diese Vorgeschichte wirft ein überaus erhellendes Licht auf die Nachgeschichte. Denn später als emeritierter Papst Benedikt XVI. geht Ratzinger in seiner 80 Seiten langen Verteidigung der Missbrauchsstudie von München auf das Dekret von 1962 ein – allerdings auf eine seltsame Weise. Denn er führt aus, er habe zwar davon gewusst, das Dekret aber nicht gekannt. Wollte er sich damit herausreden, ihm seien die Pflichtverletzungen in München gar nicht recht bewusst gewesen? Jedenfalls hat er das in «De delictis gravioribus» streng nachgeholt. Wie dem auch sei, seine Aussage wirft doch ein vielsagendes Licht auf die damalige Einstellung der Bischöfe und der Kirche. Das Dekret 2001 war die Antwort darauf.

Warum aber halten sich die Bischöfe bis heute daran? Dazu hat der Regensburger Professor Wolfgang Beinert auf etwas aufmerksam gemacht. Im Jahre 1987 hat eben derselbe Glaubenspräfekt Ratzinger schon einen «Treueeid» auch für Bischöfe eingeführt. Das ist ein Eid zur Treue auf den Papst, ohne den keiner Bischof werden kann. Das ist wohl der eigentliche Grund, warum die Bischöfe so gehandelt haben. Verständlich? Nein! Diese Treue zu dem Eid mag zwar honorig erscheinen, ist aber nicht zu halten. Denn es ist kaum anzunehmen, dass der liebe Gott, vor dem der Eid abgelegt wird, zustimmt, dass der Bischof, der den Eid ablegt, zum Kumpanen eines Täters wird, indem er ihn gehen lässt, versetzt oder dessen Taten vertuscht, und es ihm ermöglicht, sich wiederum zu vergehen, vielleicht über Jahre hinweg.»

Klaus Kienzler ist emeritierter Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Augsburg. Er kritisiert in einem Gastbeitrag für die «Süddeutsche Zeitung» (10. März) Papst Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. (rr)


Joseph Ratzinger (l.), Erzbischof von München und Freising, und Papst Johannes Paul II. am 5. November 1979 im Vatikan. | © KNA
11. März 2023 | 09:32
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