Die Präsidentin Corinne Zaugg (r.) und ein Mitglied der "Unione Femminile Cattolica Ticinese" mit Bischof Valerio Lazzeri am Jubiläum
Schweiz

Tessiner Frauenorganisation wünscht gemeinsamen Weg mit Männern

Die katholische Frauenorganisation im Tessin hat am Sonntag ihr 100-Jahr-Jubiläum gefeiert. Die Präsidentin der «Unione Femminile Cattolica Ticinese» plädierte dabei für Dialog und Gleichwertigkeit von Frauen und Männern in der Kirche. Sie wollten nicht gegen etwas vorgehen, sondern gemeinsam unterwegs sein.

Redaction catt.ch und cath.ch / Adaption Regula Pfeifer

«Auch heute noch müssen wir gegen Stereotypen ankämpfen», sagte Corinne Zaugg in ihrer Rede an der Feier. «Der Weg zum Ziel ist lang.» Heute sei die wichtigste Aufgabe der Organisation, die Situation der Frauen in der katholischen Kirche zu erkennen und sie zu fördern. Das 100-Jahr-Jubiläum fand im Haus der «Unione Femminile cattolica ticinese» (UFCT) statt, in der «La Montanina» in Camperio.

Corinne Zaugg ist Präsidentin der UFCT. Sie folgte 2010 auf Carmen Pronini. Diese hatte die Tessiner Frauenorganisation während mehrerer Jahrzehnte geleitet. Die 100-Jahr-Feier hätte 2020 stattfinden sollen. Sie musste pandemiebedingt auf den 29. August 2021 verschoben werden.

Promis aus der katholischen Frauenwelt

Am Fest nahmen neben dem aktuellen Vorstand aus Anna Grandi, Rita Bertoldo, Liliana Manea und Corinne Zaugg auch die Ehrenpräsidentin Carmen Pronini, sowie Maria Teresa Candian von der Gemeinschaft Santa Teresa teil. Ebenfalls anwesend war eine Delegation des Laienapostolats aus der Westschweiz und Miriam Christen-Zarri vom Vorstand des Schweizerischen Frauenbundes.

Die Mehrheit der Mitglieder der «Unione Femminilie Cattolica Ticinese» (UFCT) gehört laut Zaugg einer Generation von Frauen an, die mit einer männlich geprägten Sicht auf die Theologie und die Heilige Schrift aufgewachsen sind.

Das Konzil und die Frauen

«Das Vatikanische Konzil ist vor mehr als 50 Jahren zu Ende gegangen. Es hat einen neuen Zugang zur Welt der Frauen vorgeschlagen und gab ihnen die Möglichkeit, Zugang zu theologischen Studien zu erhalten», konkretisiert die Tessiner Journalistin. «Es entstand eine Bewegung, die zahlreiche Theologinnen ermutigte, die Bibel mit einem neuen Blick zu lesen. Der Blick der anderen Hälfte des Himmels; diese hatte zuvor kein Werkzeug, um dies zu tun.»

Daraus resultierte eine andere, ergänzende Lektüre zu jener der Männer, die damals noch als die einzige betrachtet wurde. «Das war eine neue Perspektive, in vielerlei Hinsicht einzigartig, die viel zur Theologie beitrug», sagt Zaugg.

Ohren offen für alle Frauen

Die Tessiner Frauenorganisation organisiert Bildungs-, Gebets- und Reflexionsangebote zu Themen, die die Rolle der Frauen in der katholischen Kirche und in der Zivilgesellschaft beleuchten. Sie vermittelt zudem eine regelmässige Unterstützung im Flüchtlingszentrum von Chiasso und organisiert einen wöchentlichen spirituellen Marsch.

«Wir müssen die Kirche auch in ihrer Unvollkommenheit lieben.»

Corinne Zaugg, Präsidentin UFCT

«Unsere Vereinigung richtet sich an alle Frauen – und die sind zahlreich – die in den letzten Jahren die katholische Kirche auf leisen Sohlen verlassen haben», fügt Corinne Zaugg an. «Das Leben und der Entscheid dieser Schwestern lässt uns nicht gleichgültig. Im Gegenteil. Wir bleiben in der Kirche, weil wir spüren, dass die Kirche unser Haus ist, weil, wie  Papst Franziskus uns immer wieder erinnert, wir die Kirche auch in ihrer Unvollkommenheit lieben müssen.»

Ort des Dialogs

Die Frauenorganisation empfiehlt sich – gemäss Zaugg – als Ort der Reflexion, an dem weiter am Dialog zwischen Männern und Frauen in der katholischen Kirche gearbeitet wird.

«Wir plädieren für den Dialog, nicht um zu betonen, dass wir gleich sind – tatsächlich sind wir, zum Glück, sehr unterschiedlich», so Zaugg. «Wir plädieren dafür, weil wir uns sagen: Wir sind gleichwertig.» Damit helfe die Frauenorganisation der Kirche, sich gegenüber dem weiblichen Reichtum zu öffnen. Dieser Kirche, die seit Jahrhunderten gewohnt sei, männlich zu sein.

Nach elf Jahren an der Spitze der Frauenorganisation stellt Corinne Zaugg weiterhin fest: «Wenn Frauen zu einer Aktivität oder einer Konferenz einladen, antworten darauf ausschliesslich Frauen. Umgekehrt, wenn Männer einladen, wird dies als Aufforderung an alle verstanden.»

Dieser unbewusste Mechanismus bestraft laut Zaugg die Frauen. Und er wiederhole sich ohne böse Absicht. «Diesem Automatismus liegt die Gewohnheit zugrunde, Behauptungen von Männern als generell und objektiv zu bewerten. Demgegenüber werden Aussagen von Frauen als subjektiv verstanden», so Zaugg.

Wunsch nach einem gemeinsamen Weg

«Es ist schwierig verständlich zu machen: Doch die Grundlage unseres Weges, unserer Begegnung und unserer Diskussion ist nicht die Lust, ‘gegen’ etwas vorzugehen, sondern der Wunsch, ‘gemeinsam’ unterwegs zu sein», sagt Corinne Zaugg mit einer Spur Enttäuschung in der Stimme.

Und sie präzisiert: «Wir denken nicht, wir hätten die Antworten für die Zukunft der Kirche. Wir möchten einfach gern zusammen – Männer und Frauen – über die Zukunft nachdenken und davon träumen.»

Anerkennung vom Bischof

Nach dem kulinarischen und geselligen Teil stiess Bischof Valerio Lazzeri um halb Vier zur Festgesellschaft, um einen Gottesdienst zu leiten. In seiner Ansprache an die Frauen äusserte er Dankbarkeit und Anerkennung. Er anerkannte die Kraft der Frauen für die gesamte Diözese. Für die Feier wurde der kostbare Kelch an den Altar gebracht, den Bischof Aurelio Bacciarini 1922 eingeweiht hatte. Der Kelch war damals mit Spenden der Mitglieder der «Unione» gekauft worden und wird seither in der Basilika Sacro Cuore von Lugano verwendet.

Die Präsidentin Corinne Zaugg (r.) und ein Mitglied der «Unione Femminile Cattolica Ticinese» mit Bischof Valerio Lazzeri am Jubiläum | © catt.ch
31. August 2021 | 16:43
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Katholische Frauenorganisation im Tessin 1920 gegründet

Der Journalist Lugi Maffezzoli hat vor kurzem ein Buch über die Geschichte der «Unione Femminile Cattolica Ticinese» (UFCT) herausgegeben. Demnach stand am Ursprung der Frauenorganisation die Zeitschrift «Vita femminile». Diese wurde 1914 gegründet und von der jungen Concettina Croci geleitet. Daraus sei das Bedürfnis entstanden, die verschiedenen Frauengruppen im Tessin zu vereinen. Unterstützt vom damaligen Bischof von Lugano, Aurelio Bacciarini, kam es am 24. Oktober 1920 zur offiziellen Gründung der UFCT.

Die UFCT engagierte sich zuerst für die jungen Frauen, die die Täler verliessen, um in den Städten zu arbeiten. Ab den 1930er-Jahren setzte sie sich für das Frauenstimm- und -wahlrecht ein, das 1971 angenommen wurde. Bei der ersten Wahl in den Tessiner Kantonsrat kamen drei der acht Frauen aus den Reihen der UFCT, erzählt der Autor. Weiter setzte sich die UFCT für die Aus- und Weiterbildung der Frauen ein. (rp)